SPD-Mitgliederentscheid Dann doch lieber die Pest

Es bleibt die Frage: Schafft die SPD den Neuanfang? Quelle: REUTERS

Die SPD-Mitglieder hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie haben sich gegen die Cholera entschieden. Das Ergebnis zeigt allerdings den desolaten Zustand der Partei – und die Gefahren für unser politisches System.

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Zwei Drittel der SPD-Mitglieder sind dafür, dass die Partei in eine große Koalition geht – so oder so ähnlich lauten nun die Schlagzeilen.

Auf den ersten Blick stimmt die Aussage. Nur hält sie einer genaueren Betrachtung nicht stand. Und das gleich aus zwei Gründen, die den desolaten Zustand der SPD offenbaren: Dass man das Bündnis zwischen SPD, CDU und CSU noch immer als „Große Koalition“ bezeichnet, ist eher der Tradition als der Realität geschuldet. Außerdem hat sich nur eine äußerst knappe Mehrheit der Sozialdemokraten aktiv für eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen.

Das Ergebnis des Mitgliederentscheids sieht im Detail so aus: Von den knapp 464.000 Stimmberechtigten haben sich gut 78 Prozent beteiligt; es gibt rund 240.000 gültige Ja-Stimmen. Das macht allerdings nur 51,7 Prozent echte Anhänger – und eben nicht 66 Prozent.

Der typische Einwand auf diese Rechnung lautet, niemand wisse, wie jenes Fünftel, das sich nicht beteiligt hat, abgestimmt hätte. Das stimmt. Angesichts des sozialdemokratischen Chaos der vergangenen Monate erscheint die Annahme, dass es sich dabei um große Fürsprecher einer Koalition handelt, allerdings mutig. Wahrscheinlicher dürfte sein, dass sich darunter viele befinden, die einer erneuten Koalition skeptisch gegenüberstehen, gleichzeitig aber die mutmaßlich schlimmen Folgen von Neuwahlen fürchteten.

Fest steht, dass nur die knappe Mehrheit der Sozialdemokraten das Bündnis mit der Union wirklich für den besseren Weg hält. Und das trotz eines Koalitionsvertrages, der eine klare SPD-Handschrift trägt. Somit zeigt das Ergebnis des Mitgliederentscheids, was bereits der Sonderparteitag in Bonn vor wenigen Wochen offenbart hat: Die Partei ist gespaltener denn je. Die Angst vieler Genossen, dass sie zwar die Cholera abgewendet haben, die Pest sich aber bereits wieder ausbreitet, ist groß.

Egal, ob man der Partei nahesteht oder nicht: Niemand sollte sich ernsthaft wünschen, dass die SPD bald mit der Fünfprozent-Hürde kämpft - so wie es viele sozialdemokratische Parteien in Europa inzwischen tun. Eine Volkspartei ist die SPD schon länger nicht mehr, mit allen negativen Folgen, die sich daraus für die Stabilität unseres politischen Systems ergeben. Der quälende Prozess einer Regierungsbildung ist nur das jüngste Beispiel dafür.

Allerdings sollte niemand die Probleme sprachlich kitten. Dass noch immer so viele von einer großen Koalition sprechen und sich sogar des verniedlichenden Begriffs der GroKo bedienen, hat mit der tatsächlichen Lage nichts zu tun. Inzwischen kommen Union und SPD in Umfragen zusammen auf weniger als die Hälfte der Stimmen. Also jene Parteien, die 1972 noch fast 91 Prozent der Stimmen (bei mehr als 91 Prozent Wahlbeteiligung) auf sich vereinten.

Wie falsch das Gerede von der GroKo ist, zeigen selbst jene Bundestagswahlen, die noch nicht ganz so lange zurückliegen. 1990 kamen Union und FDP auf knapp 55 Prozent, 2009 immerhin noch auf fast 49 Prozent. Aus heutiger Sicht waren das fast schon Super-GroKos.

Ob es jemals wieder ein Bündnis aus Union und SPD geben wird, das den Namen „Große Koalition“ verdient, hängt vor allem von zwei Fragen ab: Kann die Union in der nahenden Post-Merkel-Ära das Erosionsschicksal der SPD verhindern? Und erneuert sich die SPD nun tatsächlich?

Die Antwort auf die erste Frage wird man erst in ein paar Jahren geben können. Die Antwort auf die zweite Frage ist leichter: Wenn die SPD-Führung den seit einer halben Ewigkeit angekündigten Erneuerungsprozess nun nicht ernsthaft lostritt, wird der heutige Tag vermutlich nur ein weiteres Kapitel im nunmehr seit fast 15 Jahren dauernden Niedergang der einst stolzen SPD sein. Um so schnell wie möglich gegenzusteuern, sollten die Sozialdemokraten gleich die nächste Chance nutzen und bei der Nominierung ihrer Minister ein klares Erneuerungssignal setzen. So wie es der Kanzlerin bereits gelungen ist.

Das sind die Reaktionen auf das SPD-Votum
Olaf Scholz "Wir haben jetzt Klarheit: Die SPD wird in die nächste Bundesregierung eintreten", sagte der kommissarische Parteichef Olaf Scholz am Sonntag unmittelbar nach Verkündung des Ergebnisses des Mitgliederentscheides. Quelle: dpa
Martin SchulzDer frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat das Ja der SPD-Mitglieder zu einer Neuauflage der großen Koalition begrüßt. „Ich bin froh über das Ergebnis“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Es könne Deutschland und Europa nach vorne bringen und die SPD stärken. Zwei Drittel der SPD-Mitglieder haben für die GroKo gestimmt und damit den Weg für die Bildung einer neuen Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) frei gemacht. Schulz hatte den Koalitionsvertrag mit ausgearbeitet. Nach dem Ende der Verhandlungen trat der immer stärker in die Kritik geratene Parteichef zurück. Auch den Plan, Außenminister zu werden, gab er nach zwei Tagen auf. An der Basis war es zu massivem Protest gekommen, da Schulz zuvor den Gang in ein Kabinett von Merkel kategorisch ausgeschlossen hatte. Quelle: REUTERS
Angela MerkelCDU-Chefin Angela Merkel hat sich erleichtert über die unerwartet deutliche Zustimmung der SPD-Mitglieder zu einer neuen großen Koalition gezeigt. „Ich gratuliere der SPD zu diesem klaren Ergebnis und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes“, twitterte die CDU im Namen Merkels am Sonntag. Quelle: AP
Kevin Kühnert Er sei enttäuscht, sagte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert. Der GroKo-Gegner kündigte an, der Regierung künftig auf die Finger schauen zu wollen. „Wenn Kritik nötig ist, dann wird sie von uns kommen.“ Die SPD müsse sich nun programmatisch erneuern. „Wir werden dieser Partei auch so lange aufs Dach steigen, bis wir das Gefühl haben, das passiert jetzt in einem ausreichenden Rahmen.“ Quelle: dpa
Emmanuel MacronFrankreichs Präsident Emmanuel Macron gratuliert Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem kommissarischen SPD-Chef Olaf Scholz zur Neuauflage der großen Koalition und kündigt eine Zusammenarbeit zur Stärkung Europas an. "Das ist eine gute Nachricht für Europa", teilt Macrons Büro mit. "Frankreich und Deutschland werden in den kommenden Wochen gemeinsam an neuen Initiativen arbeiten, um das europäische Projekt voranzubringen." Quelle: REUTERS
Andrea NahlesDie designierte SPD-Vorsitzende Andrea Nahles spricht von einem guten Ergebnis. "Ich bin froh, dass jetzt so gekommen ist", sagt sie zu Reuters. Quelle: dpa
Malu DreyerDie stellvertretende SPD-Vorsitzende und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, hat die Zustimmung des SPD-Basis zur Fortsetzung einer großen Koalition erfreut aufgenommen. „Das ist ein klares Ergebnis und ein starkes Signal“, sagte sie am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Besonders hob sie die hohe Wahlbeteiligung von 78 Prozent bei dem Mitgliederentscheid hervor. „Ich denke, dieses Ergebnis gibt uns jetzt auch die Kraft nach dieser intensiven Diskussion, dass wir jetzt unsere Aufgaben in großer Geschlossenheit angehen werden.“ Sie sei „sehr froh“. Nach den Versammlungen, bei denen die SPD-Spitze für eine Fortsetzung der Koalition mit CDU und CSU geworben hatte, hatte sie bereits ein „gutes Gefühl“. Zur Zitterpartie nach der Bundestagswahl sagte Dreyer: „Es war eine anstrengende Zeit.“ Aber sie habe es genossen, dass die SPD und ihre Mitglieder wirklich so intensiv an der Debatte teilgenommen hätten. Nun könne die SPD geschlossen und mit einer guten Diskussionskultur in die Erneuerung der Partei gehen. „Wir wollen gut regieren, aber andererseits auch unsere Partei nach vorne bringen.“ Quelle: dpa
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