SPD-Parteitag „Unsere Ziele sind knackig, ohne Frage“

Quelle: dpa

Der SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal über einen dringend nötigen Booster für die Energiewende, das Schicksal von Nord Stream 2 und einen verwandelten Kevin Kühnert.

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Bernd Westphal ist wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag in Berlin Lars Klingbeil zum Co-Vorsitzenden neben Saskia Esken gewählt, Ex-Jusochef Kevin Kühnert wird neuer Generalsekretär.

WirtschaftsWoche: Herr Westphal, Kanzlerwahl von Olaf Scholz am vergangenen Mittwoch, Bundesparteitag an diesem Samstag – welche Stimmung überwiegt gerade in der SPD: die reine Regierungseuphorie oder doch Sorge vor den großen Herausforderungen?
Bernd Westphal: Der Respekt vor den Aufgaben ist überall spürbar, zweifellos. Aber die Freude über den Wahlerfolg, die Verständigung auf den Koalitionsvertrag und der feste Wille, jetzt mit Elan zu regieren, überwiegt. Auf dem sehr unterschiedlichen Humus der drei Koalitionspartner kann etwas Gutes, etwas sehr Gutes wachsen.

Was genau soll da erblühen?
Der Titel „Mehr Fortschritt wagen“ steht für die neue Dynamik, die notwendig ist, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfest zu machen. Zur Transformation unseres Standortes, unserer Industrie und der Energieversorgung gibt es keine Alternative. Das ist mittlerweile nicht nur der Politik, sondern auch jeder Chefetage klargeworden.

Jeder?
Gut, fast jeder. Die Skepsis, die Widerstände gegenüber dem Klimawandel, die kritischen Kommentare über die Energiewende und über die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft werden seltener.

Sind die Ziele der Ampel bei Klimaschutz und Energiewende nicht zu ambitioniert, um erreichbar zu sein?
Sie sind sehr knackig, ohne Frage. Alles ist auf das Erreichen des Pariser 1,5-Grad-Ziels ausgerichtet. Aber wir müssen eben auch aufholen, was in den vergangenen Jahren versäumt wurde. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien benötigt mehr als einen Booster, die Wasserstoffwirtschaft verlangt Milliarden an Investitionen – staatlich wie privat. Genehmigungen und Bau müssen schneller gehen. Wir werden jetzt zum Treiber der Veränderungen.

Wir haben Olaf Scholz in den Debatten um das Klimaschutzgesetz eher nicht als großen Treiber wahrgenommen.
Das war in einer anderen Koalition. Jetzt ist Olaf Scholz Bundeskanzler und weiß sehr genau, welche Voraussetzungen für die Wirtschaft geschaffen werden müssen, damit sie sich wandelt. Nehmen Sie als Beispiel die Grundstoff- und Rohstoffindustrie in seiner Heimatstadt Hamburg. Olaf Scholz hat das Wissen und die Erfahrung, um die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Energiewende und Transformation der Wirtschaft gelingen.

Konkreter, bitte.
Ab 2023 werden wir die EEG-Umlage aus dem Haushalt finanzieren. Das wird den Strompreis spürbar senken – und die Elektrifizierung vorantreiben. Mit zwei Prozent  der Landesfläche schaffen wir Raum für den Ausbau der Windenergie und durch Standardisierung und Digitalisierung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzen wir Realisierungszeiten. Wasserstoffelektrolyse wird von 5 auf 10 Gigawatt bis 2030 erhöht.

Sie haben in den Koalitionsverhandlungen das Wirtschaftskapitel mitverhandelt. Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Vorhaben jenseits der Energiewende?
Die Fachkräftebasis erhalten und ausbauen. Fehlende Fach- und Arbeitskräfte gefährden sonst Wirtschaftswachstum. Die Ausbildung muss attraktiver gestaltet und das Einwanderungsrecht verbessert werden. Industrielle Strukturen, Handwerk und Mittelstand sowie Start-up- und Gründerförderung werden wir stärken. Zusätzlich sichern wir den Export und Lieferketten durch Zugang zu globalen Märkten sowie wertebasierten, fairen Handel. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes werden wir die Ratifizierung von Ceta und weiteren Freihandelsabkommen prüfen.

Ihr grüner Koalitionspartner schlägt allerdings außenpolitisch neue, schärfere Töne an. Mehr Härte etwa gegen China oder Russland – zur Not auch unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Einschläge.
China ist der EU bei den Verhandlungen zum Investitionsabkommen in den Themen Gleichbehandlung der Investoren, Reziprozität, Marktzugang oder Transparenz bei Subventionen sehr weit entgegengekommen. Das ist zunächst positiv zu bewerten.

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Und wie stehen Sie zur Gaspipeline Nord Stream 2?
Bei Nord Stream 2 werbe ich dafür, dass es kein politisches Thema wird, sondern ein privatwirtschaftliches Projekt bleibt. Die Bundesnetzagentur prüft unabhängig die beantragte Betriebsgenehmigung. Es wäre nicht gut, wenn die Pipeline in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hineingezogen würde. Wir müssen dringend die Kriegsdynamik durchbrechen und durch kluge Diplomatie deeskalieren.

Es soll also bei der deutschen Maxime bleiben: Erst kommt der Maschinenbauexport, dann die Moral?
Diese Lesart mache ich mir nicht zu eigen. Selbstverständlich verleugnen wir niemals unsere liberalen, freiheitlichen und demokratischen Grundsätze. Es wäre allerdings Unsinn, unsere Handels- und Wirtschaftsbeziehungen allein danach ausrichten zu wollen. Mit weniger Kontakt, Kooperation, Handel und Wohlstand erreichen wir gar nichts.

Zum Schluss noch einmal zurück zur SPD und dem Parteitag. Wie sehr freuen Sie sich eigentlich auf den neuen Generalsekretär Kevin Kühnert?
Kevin Kühnert hat in den vergangenen zwei Jahren einen exzellenten Job gemacht und viel gelernt. Er wird die SPD weiter modernisieren, unser Profil schärfen und die Kampagnenfähigkeit erhöhen.

Mehr zum Thema: Saskia Esken und Lars Klingbeil werden das neue Führungsduo der SPD. Wofür steht die Doppelspitze? Jedenfalls nicht für ökonomische Impulse.

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