SPD-Regierungsbilanz „Wir haben uns tatsächlich um Politik gekümmert“

Die SPD attestiert sich selbst eine herausragende Regierungsarbeit – und probt wenige Monate vor der Wahl mit der „Ehe für alle“ noch den Zwergenaufstand. Anberaumt wurde die Pressekonferenz aber aus einem anderen Grund.

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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz steht am 27.06.2017 in Berlin neben den SPD-Bundesministern, um nach vier Jahren großer Koalition Bilanz zu ziehen. Neben ihm stehen Fraktionschef Thomas Oppermann (l-r), Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (verdeckt), Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, Bundesfamilienministerin Katarina Barley, Außenminister Sigmar Gabriel, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz und Bundesjustizminister Heiko Maas. Quelle: dpa

Berlin Wie ein Fußballteam laufen sie auf. Als erster natürlich der Kapitän, SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz. Dann folgt die Mannschaft: Arbeitsministerin Andrea Nahles, Familienministerin Katarina Barley, Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, Umweltministerin Barbara Hendricks, Außenminister, Vizekanzler und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel sowie Justizminister Heiko Maas. Im Gänsemarsch erreichen sie das Podium. Quasi als Begleitteam sind auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und Staatsministerin Aydan Özoğuz mit von der Partie.

In der kommenden Stunde an diesem Dienstagmorgen wird Schulz vor der Hauptstadtpresse darlegen, was der „sozialdemokratische Teil“ der Bundesregierung in dieser Legislatur „Herausragendes“ geleistet und welchen furchtbaren „Reformstau“ die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hinterlassen hat. Er wird poltern, was mit den Koalitionspartnern CDU und CSU alles nicht möglich war und rechtfertigen, warum die SPD knapp 90 Tage vor der Bundestagswahl nun noch einen Aufstand macht. Ob Gabriel nun tatsächlich Spieler, Hilfstrainer oder Teamchef ist, bleibt dabei offen.

Zunächst ergreift natürlich Schulz das Wort. „Wir sind das Innovationszentrum der Regierung, der Motor“, verkündet der SPD-Kanzlerkandidat. Alles, was in dieser Legislaturperiode erreicht worden sei, habe gegen „enorme Widerstände“ erkämpft werden müssen. „Wir hätten noch erfolgreicher sein können, wenn uns der Koalitionspartner nicht daran gehindert hätte“, meint Schulz. „Deswegen müssen wir die künftige Regierung führen.“ Dann weist er auf sein Team, das rechts und links von ihm Platz genommen hat.

Nahles habe etwa den Mindestlohn durchgesetzt, den Missbrauch von Leiharbeit eingedämmt, die Rente mit 63 verwirklicht. Barley – oder eher ihre Vorgängerin Manuela Schwesig – habe die Frauenquote als „Meilenstein in der Frauenpolitik des Landes“ durchgesetzt und mehr Investitionen in Kitaplätze erkämpft. Maas habe sich mutig im Kampf gegen Rechts gezeigt, die Rechte von Verbrauchern auf die Tagesordnung gesetzt, Markwächter geschaffen und das Sexualstrafrecht verschärft.  Hendricks habe das Pariser Klimaabkommen ausgehandelt, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht und Umweltpolitik zum Jobmotor gemacht. Auch Zypris sei im neuen Amt irgendwie tätig, lässt Schulz durchblicken.

Und dann natürlich der Vizekanzler, Ex-Wirtschaftsminister und aktueller Außenminister Sigmar Gabriel. „Er hat in allen Ämtern Herausragendes geleistet“, schwärmt Schulz. Er sei der Spiritus Rektor des Koalitionsvertrags. Er habe die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt. Er habe das Ceta-Abkommen gegen so viele Widerstände durchgesetzt. Er habe 15.000 Arbeitsplätze bei Tengelmann gerettet. Nun stehe er in der Tradition sozialdemokratischer Außenminister wie Brandt und Steinmeier. „Wir haben uns tatsächlich um Politik gekümmert“, befindet Schulz stolz, ohne das als Politiker selbstverständlich zu finden.


„Die Enten sind hinten fett“

Allerdings ist es für den SPD-Kanzlerkandidaten auch nicht leicht, gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) anzukommen, die es qua Amt automatisch jeden Tag in die Tagesschau schafft. EU-Gipfel, Wirtschaftstag, kommende Woche G20-Gipfel in Hamburg – Schulz, der kein bundespolitisches Amt bekleidet, muss zusehen, wie er für die Öffentlichkeit sichtbar wird und Medienaufmerksamkeit bekommt. Also am besten Ereignisse inszenieren, so wie diesen Dienstag mit der kompletten Ministerriege.

Um besonders hervorzuheben, wie gut es die Sozialdemokraten gemacht haben, erinnert Schulz noch einmal an die schwarz-gelbe Vorgängerregierung. Das Wort „Gurkentruppe“ muss dabei natürlich fallen. Union und FDP seien „heillos zerstritten“ gewesen, erinnert Schulz. Sie hätten Steuersenkungen versprochen und nur die „Mövenpick“-Steuer gemacht. Der Schuldenberg sei gewachsen, bei der Sicherheit sei gespart worden, bei der Energiewende habe es einen „milliardenteuren Zickzackkurs“ gegeben.

„Wir haben sofort angefangen, den Reformstau der schwarz-gelben Regierung aufzulösen“, erklärt Schulz, der zum Start dieser Legislatur noch Präsident des Europäischen Parlaments im fernen Brüssel war. Ohne Koalitionspartner wäre sogar noch mehr gegangen, ist Schulz überzeugt und verweist auf die gescheiterten Projekte wie das Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit, die Solidarrente, eine Verschärfung der Mietpreisbremse, eine „sinnvolle“ Erbschaftsteuer und ein völliges Aufbrechen des Kooperationsverbots.

Er sei „froh und stolz“, dass der erfolgreiche Teil der Regierung heute hier sei, sagt Schulz. Er selbst, so betont der SPD-Kanzlerkandidat, habe sich entschieden, dieser Regierung nicht anzugehören. „Ich will die Regierung ablösen“, betont er. Dass ihm dadurch eine Bühne in der Öffentlichkeit fehle, mag Schulz nicht gelten lassen. „Regierungsämter dürfen nicht als Plattform für den Wahlkampf missbraucht werden“, findet er. Andere mögen das aber anders sehen.

Gabriel, der ein begnadeter Wahlkämpfer ist, mag das anders sehen. Publikumswirksam hält er ein Schreiben aus dem November 2015 hoch. Das sei an Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer gegangen. Darin habe er dafür plädiert, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren und die „Ehe für alle“ zu schaffen. „Seitdem verweigert die Union die Umsetzung“, wettert Gabriel. Erst im März habe es einen letzten gescheiterten Versuch gegeben.

Immerhin nutzt auch Schulz das Thema „Ehe für alle“, um die Kanzlerin anzugehen. Die war am Montagabend von einem klaren Nein der CDU zur gleichgeschlechtlichen Ehe abgerückt und hatte verkündet, sie wünsche sich eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“.

Für Schulz ein guter Anlass den Aufstand zu proben, wenn auch nur einen Zwergenaufstand. „Wir wollen die Gewissensentscheidung herbeiführen“, verkündete der SPD-Kanzlerkandidat. „Das muss man nicht auf die lange Bank schieben, sondern noch eine Entscheidung in dieser Woche herbeiführen.“ Ein abstimmungsreifer Antrag aus dem Bundesrat liege vor. Merkel habe einen „Move“ gemacht. „Wir nehmen sie jetzt beim Wort“, versprach Schulz.

Mit letzter Konsequenz will Schulz die „Ehe für alle“ allerdings nicht durchziehen. „Wir lassen die Koalition nicht platzen“, gibt er zu. „Die Union muss entscheiden, ob sie ihrer Kanzlerin folgt.“

Dann kommt noch die – angesichts von Schulz‘ durchweg positiver Bilanz der SPD-Regierungsarbeit –  provokative Frage, ob Merkel die SPD „alle gemacht“ habe. „Mich nicht. Ich bin noch fit und frisch“, versichert Schulz. Und verweist auf die jüngste Umfrage vom Dienstagmorgen, nach der die SPD einen ganzen Punkt auf 26 Prozent zulegt. Dass auch CDU/CSU gewinnt, auf 37 Prozent, kann da getrost vernachlässigt werden. Schulz zitiert lieber Altbundeskanzler Gerhard Schröder, der immer sagte: „Die Enten sind hinten fett.“  

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