SPD Schulz lästert über Bierzelt-Merkel

Der SPD-Kandidat spottet über Angela Merkels neues Interesse an Europa: „Anderen kommt die Erkenntnis über die Notwendigkeit einer starken EU ein bisschen später. Den einen auf Gipfeln, den anderen in Bierzelten.“

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Martin Schulz gibt sich kämpferisch. Quelle: dpa

Berlin Es ist kurz nach 19 Uhr, als Martin Schulz am Montagabend im dunklen Anzug und geblümter Krawatte auf die Bühne mit dem roten „Vorwärts-Banner“ springt. Die SPD-Mitgliederzeitschrift hat zum traditionellen Sommerfest geladen. Und in der roten Backstein-Kulisse der Berliner Kulturbrauerei darf der SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef natürlich nicht fehlen.

Schulz gibt sogleich die Bierzelt-Merkel: Eine starke Europäische Union sei angesichts „der Trumps und Putins und Erdogans“ der beste Schutz für die Demokratie, die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und Europa, ruft Schulz den Hunderten Gästen zu. Europa sei eine Wertegemeinschaft. Es gehe um gegenseitigen Respekt der Bürger und Völker voreinander, der Kooperation miteinander und die „unveräußerlichen Menschenrechte“ für jeden einzelnen. „Dieses ist genau das Gegenteil von dem, was der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika repräsentiert“, ruft Schulz. „Deshalb ist das Gebot der Stunde, sich diesem Mann mit allem, was wir vertreten, in den Weg zu stellen.“

Das klingt ähnlich wie die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die am Sonntag nach dem enttäuschenden G7-Gipfel auf Sizilien in einem Münchener Bierzelt mit Blick auf US-Präsident Donald Trump sagte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“

Doch SPD-Kanzlerkandidat Schulz beansprucht er die eigentlichen Urheberrechte an der Trump-Kritik sogleich für sich. Seit vielen Jahrzehnten kämpfe er für ein starkes Europa. „Anderen kommt die Erkenntnis über die Notwendigkeit einer starken Europäischen Union ein bisschen später. Den einen auf Gipfeln, den anderen in Bierzelten“, setzt er einen Seitenhieb auf Merkel.

Dann kritisiert Schulz die „Pauschalisierer, die Hassprediger, diejenigen, die die Völker gegeneinander ausspielen wollen“. Die Europäer müssten sich entscheiden, ob sie die Kleinstaaterei oder Renationalisierung wollten, wie sie in Warschau oder Budapest propagiert werde oder eine starke EU als Wertegemeinschaft, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit ökonomischer Stärke verknüpfe. Zudem müsse sich Deutschland der „fatalen Aufrüstungslogik“ entgegenstellen, „die Trump uns aufzwingen will.“

An dieser Stelle gibt es großen Applaus. Kein Wort von Schulz über schlechte Umfragewerte für die SPD, die jüngst verlorenen Landtagswahlen, das zeitweilige Wahlkampf-Chaos oder gar die aktuelle Häme von Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. 

„Als ich kam, wurde die Sonne noch ein bisschen strahlender“, ruft Schulz stattdessen gutgelaunt. „Das war eine Bitte, die ich vorgetragen hatte, damit wir kein Gewitter kriegen, damit wir in fröhlicher Atmosphäre und Offenheit miteinander reden können“, witzelt er und geht von der Bühne.

Dann stürzen sich die SPD-Mitglieder auf den Kanzlerkandidaten. Er muss Selfies machen, Poster und Eintrittskarten signieren und bekommt einiges Schulterklopfen. In diesem Moment ist die Begeisterung der Anhänger für Schulz ungebrochen. „Tach, die Herren“, läuft er später über den Hof und schüttelt Hände.


„Nicht irritieren lassen“

„Vier Monate bis zur Bundestagswahl sind noch eine lange Zeit“, hört man SPD-Mitglieder sich gegenseitig Mut machen. „Nur keinen Defätismus“. SPD-Urgestein und moralisches Gewissen der Partei, Wolfgang Thierse brummt: „Wie immer in der SPD ist die Stimmung gut gemischt.“ Es gebe Skeptiker und Melancholiker, „muntere Leute“ und auch eine ziemlich kämpferische Stimmung. „Wer ist Peer Steinbrück?“, zuckt Thierse die Achseln, bevor er sich seinem Kartoffelsalat und Grillfleisch zuwendet.

Ein Stück weiter steht SPD-Vize und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Von einer Krise der SPD will sie nichts wissen. Es gebe einen großen Rückhalt für Martin Schulz in der Partei, an der Basis herrsche noch immer Aufbruchstimmung. „Das unterscheidet sich von der medialen Wahrnehmung“, meint Schwesig. Und die viele Neumitglieder interessierten sich für das Auf- und Ab in den Umfragen gar nicht. „Die sind eingetreten, weil sie erkannt haben, dass sie runter müssen vom Sofa in dieser unruhigen Welt.“  Und Steinbrücks Einlassungen?  „Peer Steinbrück spricht nicht für die SPD“, sagt Schwesig eisig. „Wir werden weiter auf das Thema Gerechtigkeit setzen.“ Es spiele vor Ort eine Rolle. Die Mieten stiegen, in Pflegesituationen fühlten sich viele im Stich gelassen. „Es ist nicht so, dass die Probleme weg sind“, meint Schwesig.

Während die Musik über den Hof der Kulturbrauerei dröhnt und Bier und Wein fließen, ist Schulz unablässig unterwegs. „Lieber Genosse“, begrüßt er einen alten Weggefährten. „Der Kampf geht weiter“, verspricht er. Schon am Nachmittag hatte er in der Landesgruppe Baden-Württemberg der SPD-Bundestagsfraktion für Geschlossenheit geworben. Er sei nicht nur mitreißend gewesen, sondern auch sehr authentisch, berichtet ein Teilnehmer. Darum werde die SPD auch die Delle in den Umfragen in den kommenden Monaten ausgleichen können.

Ebenfalls zum Vorwärts-Fest erschienen ist die SPD-Linke Hilde Mattheis. „Wir wollen im September gewinnen. Das ist keine Parole, die alle ausschreien“, sagt sie. „Es ist Zeit, Wahlkampf zu machen und sich nicht irritieren zu lassen.“ Als nächstes gelte es, ein gutes Regierungsprogramm aufzustellen. „Wir müssen unsere Botschaften setzen“, fordert sie – und sendete dann selbst noch eine in Richtung der zuletzt auffällig sozial-liberal orientierten Parteiführung: „Die SPD darf sich keine Tür zuschlagen.“ Wenn die Partei zum Thema Gerechtigkeit wirklich überzeugen wolle, müsse sie auch dafür sorgen, dass sie eine Machtoption habe. „Dazu gehört Offenheit, auch gegenüber der Linkspartei.“

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