SPD-Sozialpolitik Der Abschied vom Äquivalenzprinzip

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will mit dem Äquivalenzprinzip im Rentensystem brechen. Quelle: REUTERS

Leistung und Gegenleistung – das Äquivalenzprinzip ist seit Bismarck die Grundlage des Deutschen Rentensystems. Genau mit diesem Prinzip will Arbeitsminister Heil brechen. Er hat dafür ein paar gute Argumente.

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Wenn eine Partei Vorschläge für die nächste oder übernächste Wahlperiode formuliert, handelt es sich meist um eher grundsätzliche, dafür aber ambitionierte Reformideen. Will ein Minister hingegen einfach nur umsetzen, was bereits im Koalitionsvertrag steht, sind die Vorschläge kleinteiliger. Schließlich wird normalerweise das gemacht, was bereits in vielen Wahl- und Parteiprogrammen angekündigt wurde. Und Gesetzesinitiativen stammen von Fachbeamten aus den Ministerien, nicht aus den Parteizentralen.

Bei der SPD läuft es dennoch gerade umgekehrt: Die Partei hat zwei sozialpolitische Vorschläge präsentiert. Was Andrea Nahles unter der Überschrift „Sozialstaat 2025“ für die Arbeitslosenversicherung empfiehlt, ist eine Fortsetzung des Bekannten unter anderem Label. Statt „Hartz IV“ soll die Absicherung für Arbeitslose künftig „Bürgergeld“ heißen, außerdem sollen ältere Arbeitslose deutlich länger das höhere Arbeitslosengeld erhalten. Überraschend ist das beides nicht – und weit entfernt von Vorschlägen, die beispielsweise der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Entbürokratisierung des Hartz-Systems macht.

Arbeitsminister Hubertus Heil hingegen hat für die Gesetzliche Rentenversicherung gerade eine Reform angekündigt, die es in sich hat. Dabei soll er seinen Vorschlag eigentlich mit der Union noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Dafür stehen im Koalitionsvertrag genaue Vorgaben. Doch die neue Grundrente, mit der Heil die Alterseinkünfte von drei bis vier Millionen Ruheständlern um teilweise mehrere hundert Euro anheben will, ist ein viel ambitionierteres Projekt. Mit ihrer Einführung käme der Abschied von einem Prinzip, mit dem die Rentenversicherung über Jahrzehnte hinweg stabil und erfolgreich war.

Nach dem Äquivalenzprinzip hängt die Rente von der Höhe der Beiträge ab, es gilt die Idee von Leistung und Gegenleistung. In der Praxis wurde dieser Grundgedanke zwar immer durch viele steuerfinanzierte Leistungen ergänzt – für Mütter, Kranke oder Geringverdiener. Doch am Prinzip hielten alle Arbeitsminister bisher fest. Eine steuerfinanzierte Grundsicherung nach skandinavischem Vorbild lehnten die Verantwortlichen stets ab. Ihre wichtigstes Argument war die Stabilität und Akzeptanz des bestehenden Systems, das seit Bismarcks Zeiten viele Krisen überstand. Bei steuerfinanzierten Leistungen könnten Regierungen viel kurzfristiger Renten erhöhen oder kürzen – im Wahlkampf oder in einer Konjunkturflaute, hieß es stets.

Hubertus Heil hat nun einen Vorschlag gemacht, der das Rentensystem viel stärker am Ziel der Armutsvermeidung ausrichtet. Steuerzahler sollen dafür einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag aufbringen. Und er hat dafür ein paar überzeugende Argumente: Das Vertrauen ins Rentensystem ist ohnehin geschwunden und die Vorstellung, mit einem beitragsfinanzierten System werde keine Rentenpolitik nach Wahlterminen und Kassenlage gemacht, erwies sich als falsch. CDU und CSU profilierten sich im Wahlkampf mit der Idee einer höheren Mütterrente, die SPD mit der „Rente ab 63“ für langjährig Versicherte. Die Vorbehalte gegen ein stärker durch Steuern finanziertes Rentensystem stimmen so nicht mehr. Hinzu kommt: Altersarmut ist momentan eher ein Randproblem. Aber dieses Problem wird größer, wenn in Ostdeutschland die Generation der Wendeverlierer ins Rentenalter kommt. Besser wäre allerdings, wenn Heil zum Ausgleich für die Kosten für sein Projekt durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen würde – etwa durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Dann könnte sein Rentenkonzept auch als Blaupause für die nächste oder übernächste Wahlperiode taugen.

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