Wer einen flapsig-spaßigen Polit-Talk erwartet hatte, der wurde am Sonntag im Berliner Willy-Brandt-Haus eines besseren belehrt. Die SPD hatte zum Zukunftskongress geladen, um über das Programm für die Bundestagswahl 2017 zu ventilieren. Publikumswirksam sollte hier Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel befragen.
Doch das endete nicht etwa in einer TV-Show Marke „Circus HalliGalli“, sondern in einer bedachtsamen Unterredung. Ernsthaft und nachdrücklich fragte Heufer-Umlauf nach dem richtigen Umgang mit der AfD. Launige Einwürfe kamen allenfalls von Gabriel, der Heufer-Umlauf konsequent duzte, während dieser artig beim „Sie“ blieb.
„Die massenhafte Einwanderung nach Deutschland hat den Menschen Angst gemacht“, sagte Gabriel vor Hunderten SPD-Mitgliedern und Interessierten in der SPD-Zentrale. Ihnen müsse nun klargemacht werden, dass die Politik sie nicht vergesse. „Die Leute sagen, für die Bankenrettung habt ihr Milliarden, für die Flüchtlingskrise habt ihr Milliarden, aber um nach 40 Jahren eine anständige Rente zu zahlen, dafür ist kein Geld da“, erklärte Gabriel. Für die SPD müsse es darum gehen, eine soziale Politik für alle zu machen.
Die Geschichte der SPD
Ferdinand Lassalle gründet am 23. Mai den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) in Leipzig, der Vorläufer der SPD. Das Datum gilt als Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie.
Auf einem Parteitag in Erfurt gibt sich die SPD ein neues Programm und wird zur Massenpartei - für die Rechte von Arbeitern.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ruft der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin die Republik aus. SPD und USPD bilden für kurze Zeit eine Revolutionsregierung.
Nach den Wahlen zur Nationalversammlung wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert Reichspräsident.
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar endet die Weimarer Republik. Die Sozialdemokraten lehnen am 23. März das Ermächtigungsgesetz ab, im Juni verbietet Hitler die SPD. In der Folge werden zahlreiche Sozialdemokraten verfolgt, ermordet und in Konzentrationslagern eingesperrt.
SPD und KPD werden in der sowjetischen Besatzungszone unter Druck zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereint.
Mit dem Godesberger Programm wandelt sich die SPD im Westen von einer Klassen- zu einer pluralistischen Volkspartei.
Zum ersten Mal ist die SPD in der Bundesrepublik an einer Regierung beteiligt: der Großen Koalition mit der CDU/CSU.
Willy Brandt ist Bundeskanzler der SPD/FDP-Koalitionsregierung. Nach seinem Rücktritt wegen der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume folgt ab 1974 Helmut Schmidt als Kanzler (bis 1982).
West- und Ost-SPD vereinigen sich zu einer gesamtdeutschen SPD.
Dritter SPD-Bundeskanzler wird Gerhard Schröder (bis 2005). Die SPD regiert mit den Grünen. Mit dem Namen Schröder sind auch die umstrittenen Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“ verbunden.
Die SPD kommt mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier auf nur 23 Prozent der Stimmen und verliert ihre Regierungsbeteiligung. Nach der Wahlniederlage wird Sigmar Gabriel zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Ob es nicht gefährlich sei, wenn die SPD die AfD-Wähler zurückholen wolle, fragte Heufer-Umlauf. „Muss die SPD nicht eine klare, kompromisslose Alternative zur Politik der AfD sein, ohne jedes Aufweichen?“ Es sei falsch, einen Teil der Gesellschaft auszuschließen, hielt Gabriel dagegen. „Ich bin kein Gegner von Klarheit, aber von Rigorosität“, sagte Gabriel. Die Politik dürfe unangenehmen Fragen nicht aus dem Weg gehen.
Überall werde davon gesprochen, wie der anständige Bürger sein sollte, warf Heufer-Umlauf in die Debatte. Da müssten die Leute der SPD doch die Tür einrennen, meinte er als Anspielung auf die Umfragen, bei denen die Partei bleiern nur zwischen 21 und 23 Prozent liegt. „Machen sie doch“, witzelte Gabriel mit Blick auf die gut gefüllte Veranstaltung.
Kein Wort verloren Gabriel und Heufer-Umlauf indes über den Umstand, dass es noch keine Klarheit darüber gibt, wer die SPD in den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 führen soll. Als Parteichef hat Gabriel das „erste Zugriffsrecht“ auf die SPD-Kanzlerkandidatur. Allerdings hat er sich bislang noch nicht festgelegt, was Kritiker ihm zunehmend als Zaudern auslegen. Doch die K-Frage blieb außen vor.
Werbung für Steinmeier
In einer kurzen Rede hatte Gabriel zu Beginn der Veranstaltung jedoch einen Politikwechsel gefordert. Deutschland bleibe unter der Zerstrittenheit von Angela Merkel und Horst Seehofer unter seinen Möglichkeiten. „Wer seit Monaten um die Frage kreist, wer zu welchem Parteitag eingeladen wird, der zeigt, dass der Kompass für die Menschen in Deutschland verloren gegangen ist“, sagte Gabriel. „Deshalb braucht unser Land eine andere Führung und eine andere Richtung.“ Das gehe nur mit der Sozialdemokratie.
Der SPD-Chef sprach sich für Investitionen und gegen eine „Sparpolitik“ aus. Wer das Land besser machen wolle, müsse auch investieren, etwa in Bildung, Infrastruktur und innere Sicherheit. „Die Schwarze Null ist weit weniger wichtig als der Schutz des Rechtsstaats nach innen und nach außen“, sagte Gabriel.
Dann zog sich der Parteivorsitzende zunächst zurück, um mit Klaas Heufer-Umlauf „noch einen Kaffee zu trinken“. Unterdessen beantworteten in der „Twitter-Townhall“ SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, die SPD-Vize und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer Bürgeranfragen über das Internet.
Am Rande des SPD-Zukunftskongresses hatten die führenden Sozialdemokraten auch dafür geworben, dass Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck wird. „Frank-Walter Steinmeier ist der ideale Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten“, sagte Dreyer dem Handelsblatt. Das sähen auch viele Bürger so. Deshalb sei es richtig, dass die SPD das auch wirklich deutlich mache. „Nun müssen CDU und CSU, aber auch die anderen Parteien zur Klarheit kommen, ob sie einen besseren Kandidaten haben“, forderte sie. Ob es doch noch einen gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition geben könne, müsse der Parteivorsitzende entscheiden. „Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir den sehr guten und souveränen Kandidaten haben“, sagte Dreyer.
„Ich freue mich über den Zuspruch für Frank-Walter Steinmeier“, erklärte auch SPD-Vize und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig dem Handelsblatt. Sie sei aber nicht überrascht, weil Steinmeier das Amt des Bundespräsidenten „klasse ausfüllen“ würde. „Ich finde Kanzlerin Merkel kleinkariert, weil sie nur auf das Parteibuch schaut“, sagte Schwesig.