Es läuft. Bis 2020 soll das Steueraufkommen um 135 Milliarden Euro steigen. Eine Zunahme um 20 Prozent gegenüber 2015, prognostizierten die Fachleute im Mai. Aber es läuft noch viel besser. Allein im ersten Halbjahr 2016 stiegen die Steuereinnahmen doppelt so stark wie erhofft. In dieser Zeit häufte der Staat Überschüsse in Höhe von 18,5 Milliarden Euro an, trotz der Flüchtlingskosten. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der bisher hauptsächlich als knurriger Kassenwart amtiert, kann nicht mehr umhin, über Steuerentlastungen nachzudenken.
Doch wie viel weniger viel wollen die Regierenden ihren Bürgern abnehmen? Grundfreibetrag, Kindergeld, Kinderfreibetrag sowie der Steuertarif sollen im Zuge des Existenzminimumberichts angepasst und Auswirkungen der sogenannten kalten Progression korrigiert werden, sagte Schäuble am Dienstag in Berlin zum Auftakt der Haushaltsberatungen des Bundestages. Angesichts der geringen Preissteigerung sei aber nur mit „begrenzten Auswirkungen“ zu rechnen. Zu den in Aussicht gestellten Steuer-Anpassungen ist die schwarz-rote Koalition allerdings größtenteils verpflichtet.
Wie zuvor Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) bezifferte auch Schäuble den Spielraum für mögliche Steuersenkungen für die Zeit nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 auf jährlich 15 Milliarden Euro. Damit könnten und sollten vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet werden, bekräftigte Schäuble. Einen entsprechenden Vorstoß hatte er bereits im Frühjahr gemacht.
Die laufende Haushaltswoche dürfte nicht nur zum Schaulauf der Finanzpolitiker werden. Einerseits wecken die Überschüsse ungeahnte Möglichkeiten – beim Geldausgeben, beim Steuersenken, für den Schuldenabbau. Andererseits stehen mit Blick auf die Bundestagswahl in zwölf Monaten die Steuerpläne der einzelnen Parteien zur Diskussion, gewissermaßen als Puzzleteile für das große politische Spiel: Wer will mit wem zu welchen Bedingungen Deutschland regieren?
Das besondere Augenmerk richtet sich diesmal auf die Grünen. Verharrt die Partei im rot-rot-grünen Block, oder ist Schwarz-Grün denkbar, nachdem diese Allianz 2013 noch scheiterte? Zumindest denken einige Grüne inzwischen laut über eine Alternative nach, ohne gleich Ausschlag zu bekommen. „Ob Schwarz-Grün zu einer realistischen Option wird, entscheidet am Ende der Wähler“, sagt Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Über die öffentlichen Überschüsse sagt Janecek: „Ich würde jeweils ein Drittel verwenden, um die Schulden zurückzufahren, Familien gezielt zu entlasten und in die Infrastruktur wie zum Beispiel in die Sanierung von Schulen zu investieren.“ Das klingt fast wie Wolfgang Schäuble.
Woran Steuersenkungen scheitern dürften
SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bringt es derweil nur auf einen Zweiklang. „Zum einen die Belastungen für kleinere und mittlere Einkommen senken, zum anderen in Bildung, Forschung und unsere digitale Infrastruktur investieren, um diese auf Weltklasseniveau zu heben“, sagt Gabriel, während seine Parteigenossinnen Andrea Nahles (Arbeitsministerin) und Manuela Schwesig (Familienministerin) schon mit den Hufen scharren, um weitere Sozialleistungen durchzudrücken (und die Überschüsse auf diese Weise kleinzukriegen).
Dass die Schnittmengen der Grünen mit der SPD letztlich größer sind als mit CDU und CSU, dafür sorgt der Wirtschaftsflügel der Union. Dessen Vertreter Carsten Linnemann weist darauf hin, dass die Steuerlastquote seit 2010 deutlich gestiegen ist, von 21,4 auf 22,8 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. Macht 40 Milliarden Euro zusätzlich. Mit solch einem Batzen ließe sich der sogenannte „Mittelstandsbauch“ straffen, womit der starke Tarifanstieg zwischen 8653 und 13 669 Euro zu versteuerndem Einkommen gemeint ist. Auch sollte der Spitzensteuersatz von 42 Prozent (plus Soli) später greifen, findet Linnemann, nicht schon bei 53 000 Euro. Der Ausfall für den Fiskus würde nur einem Drittel der erwarteten Steuermehreinnahmen entsprechen. Linnemann: „Wir haben erstmals die Chance, Steuern zu senken und nicht gleichzeitig Schulden oder eine Gegenfinanzierung machen zu müssen.“
Steuern: So viel Geld nimmt der Bund bis 2020 ein
Nach Informationen des Bundesfinanzministeriums hat der Bund im vergangenen Jahr (2015) 281,6 Milliarden Euro durch Steuergelder eingenommen.
Quelle: BMF (Arbeitskreis Steuerschätzungen), Stand: Mai 2016
Für das Jahr 2016 prognostizieren Experten noch etwas höhere Steuereinnahmen des Bundes als im Vorjahr, nämlich 290,1 Milliarden Euro.
2017 soll die 300-Milliarden-Euro-Marke überschritten werden. Die geschätzten Steuereinnahmen des Bundes liegen bei 301,8 Milliarden Euro.
Für das Jahr 2018 sagt der Arbeitskreis "Steuerschätzung" 315,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen des Bundes voraus.
328,2 Milliarden Euro werden es - laut Expertenschätzungen - im Jahr 2019 sein.
2020 werden die Steuernahmen des Bundes bei schätzungsweise 339,9 Milliarden Euro liegen.
Doch ambitionierte Steuersenker wie Linnemann dürften spätestens am Föderalismus scheitern. Denn über die wichtigsten Steuern kann der Bund nicht allein bestimmen. Einige Länder tun sich jedoch mit Steuerentlastungen unendlich schwer. Allen voran Nordrhein-Westfalen. Das rot-grün regierte Bundesland kommt trotz Rekordeinnahmen nicht aus den roten Zahlen: Mit einem negativen Finanzierungssaldo von 360 Millionen Euro in den ersten sieben Monaten von 2016 bildet NRW das Schlusslicht. Weit vorne glänzt Bayern mit einem Überschuss von 1,5 Milliarden.
Doch selbst wenn der Bundesrat Steuersenkungen blockieren würde, hätte die Bundesregierung – wenn sich die Koalitionspartner einig wären – eine Option: Der Solidaritätszuschlag ist eine reine Bundessteuer und erbringt inzwischen 16 Milliarden Euro. Nach bald drei Jahrzehnten deutscher Einheit ließe sich ihr Wegfall einfach begründen und vor allem: gut verkraften.