




In der Spionageaffäre erwartet die Bundesregierung nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung in Kürze eine Antwort der USA zum Umgang mit den Listen von US-Spähzielen. Noch in dieser Woche, spätestens jedoch Anfang kommender Woche werde klar sein, ob die Suchwort-Listen (Selektoren) dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags übergeben werden dürfen, wie das Blatt (Donnerstagausgabe) unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichtete. Ob die Selektoren-Liste an die Vertreter des PKGr weitergegeben werden darf, werde derzeit mit einer Anfrage an den Stabschef des Weißen Hauses, Denis McDonough (45), geklärt.
Der Bundesnachrichtendienst schränkte als Reaktion auf die Affäre nach einem anderen Medienbericht die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst NSA drastisch ein. Nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR werden seit Beginn dieser Woche in der Station im bayerischen Bad Aibling keine Internet-Verkehre, die bislang an den US-Geheimdienst weitergeleitet wurden, mehr erfasst.
Demnach habe der BND in Absprache mit dem Kanzleramt zuvor eine Forderung an die USA übermittelt: Zu jeder Person oder Institution, die die NSA an die Deutschen übermittelt hatten, müsse eine ausdrückliche Begründung für die Überwachung geliefert werden. Die Aufforderung sei eine Reaktion auf die jüngsten Enthüllungen gewesen, wonach der BND der NSA über Jahre geholfen haben soll, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Nach kurzer Prüfung habe die NSA erklärt, keine Begründungen liefern zu können. Dies sei in kurzer Zeit kaum möglich.
Mit dem Ende der Internet-Erfassung würden im bayerischen Bad Aibling, wo 120 Mitarbeiter des BND sowie einige NSA-Techniker arbeiten, nur noch Fax-Verkehre und Telefongespräche abgefangen. Anders als bei Internet-Suchbegriffen habe die NSA hierfür bereits in der Vergangenheit eine Begründung für die geplante Überwachung liefern müssen, heißt es in diesem Bericht weiter.
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Der BND soll der NSA über Jahre geholfen haben, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs in Bad Aibling viele Suchmerkmale wie Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern, die gegen deutsche und europäische Interessen verstießen. 40.000 davon sortierte der BND nach eigenen Angaben über die Jahre aus. Mehrere Tausend unzulässiger Selektoren fielen aber erst in der aktiven Suche auf. Das Geheimdienst-Kontrollgremium und der NSA-Untersuchungsausschuss haben dringend Einsicht in die Liste mit den unzulässigen US-Spähzielen verlangt.
Am Donnerstag will der NSA-Untersuchungsausschuss mehrere BND-Mitarbeiter vernehmen. Die Abgeordneten wollen Details zu der Zusammenarbeit mit der NSA in der BND-Abhörstation in Bad Aibling erfahren.
Nach Informationen der „Welt“ hat sich inzwischen auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in die Affäre eingeschaltet. Die für Spionageabwehr zuständige Abteilung habe vom BND die Liste der von der NSA eingeschleusten Suchbegriffe angefordert, meldet das Blatt unter Berufung auf Sicherheitskreise. Geprüft werden solle, ob deutsche Bürger, Institutionen und Konzerne im Visier der NSA standen.





Die Regierungen in Berlin und Washington arbeiten auch als Reaktion auf die BND-NSA-Affäre an einer neuen Grundlage für die Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Länder. Es gebe solche Gespräche, wurde der Deutschen Presse-Agentur ein entsprechender Bericht der „Rheinischen Post“ (Donnerstag) bestätigt. Nach dpa-Informationen wird der Ausgang der Verhandlungen in der Bundesregierung allerdings als offen eingeschätzt.
Ähnliche Verhandlungen wurden bereits aufgenommen, nachdem 2013 bekanntgeworden war, dass die NSA jahrelang Merkels Handy abgehört hatte. Damals verliefen die Gespräche wegen der harten Haltung der US-Seite weitgehend im Sande.