Aber liegt das nicht vor allem an der mangelnden Legitimation der Organe?
Genau. Diese Defizite der demokratischen Legitimation der europäischen Organe sind aber auf absehbare Zeit unaufhebbar. Es fehlt der Europäischen Union an allem, um zu einem wirklichen einheitlichen Bundesstaat zu werden. Vor allem fehlt der zivilgesellschaftliche Unterbau, die kritische Öffentlichkeit, eine europäische Parteien- und Medienlandschaft. Mit 27 Mitgliedern müssen wir konstatieren: Wir sind viel zu ungleich, um zu einem gemeinsamen Bundesstaat zu verschmelzen. Mit den sechs Gründungsmitgliedern wäre das vielleicht noch möglich gewesen.
Aber ziehen wir nicht sogar genau die falschen Schlüsse, wenn wir, statt neue Legitimität zu schaffen, immer mehr Aufgaben über Organe wie die EZB, den ESM oder die Euro-Gruppe erledigen? Keines dieser Gremien ist vom Volk gewählt.
Machen wir uns nichts vor: Niemand profitiert von der europäischen Integration mehr als die Exekutive. Dieser Trend besteht schon lange, in der Krise wird er vollends offensichtlich. Im Zusammenspiel mit den Märkten, die jede Äußerung eines Regierungschefs als gesetzgeberische Tatsache auslegen, verstärkt er sich noch.
Da könnte das Verfassungsgericht doch einen Ausweg bieten. Wenn es heute klar sagen würde, bis dahin dürft ihr mit dem Grundgesetz gehen, dann müsste sich die Politik darauf berufen.
Das hat das Bundesverfassungsgericht doch mit dem Lissabon-Urteil versucht. Aber das Gericht entscheidet eben auch nicht im politik- und wirtschaftsfreien Raum. Und der Druck eines Szenarios, in dem es am Ende vielleicht heißt, das Verfassungsgericht hat den Euro gesprengt, ist natürlich immens.
Darf so etwas ein Gericht leiten? Es legt doch nur die Verfassung aus – und wenn dabei herauskommt, dass etwas unzulässig ist, dann kann es ja nichts dazu.
Von außen lässt sich das leicht sagen. Das Problem ist aus meiner Sicht, dass zum Beispiel der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel – das Scheitern des Euro würde ein Scheitern Europas bedeuten – einen Sachzwang konstruiert, den es so nicht gibt. Natürlich weiß niemand, was passiert, wenn sich die Währungsunion auflöst. Aber genauso wenig wissen wir, was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher. Deshalb sollten wir die Sache tatsächlich entwicklungsoffen diskutieren.
...und auch ein Ende des Euro in die Abwägung einbeziehen?
Zumindest sollte man beginnen, darüber nachzudenken, ob beim rastlos voranschreitenden europäischen Integrationsprozess alles richtig gelaufen ist. Der kannte ja immer nur eine Richtung: inhaltliche Intensivierung und territoriale Expansion, und zwar beides gleichzeitig. Vielleicht sollten wir den Prozess zur Abwechslung einmal entschleunigen und in Ruhe auf das erreichte Ergebnis zurückschauen. Möglicherweise kommt man dann zu dem Schluss: Vieles ging zu schnell, und manches hätten wir besser ganz gelassen.