Stadtplanung Deutsche Städte sind hässlich

Die Düsseldorfer "Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt" beklagt die Hässlichkeit des öffentlichen Raums und ruft nach einem Stadtbaumeister.

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Junge Leute sitzen auf der Fußgängerbrücke im Medienhafen in Düsseldorf Quelle: dpa

Dass jedermann nach seiner eigenen Fasson selig werden möge, ist ein Versprechen, mit dem erst die Moderne ernst gemacht hat, nicht nur in Glaubensfragen, sondern auf dem gesamten Feld der Kultur. Was gut und schön ist, bleibt heute dem Urteil des Einzelnen überlassen, der empfindlich reagiert auf die Gängelung seines Geschmacks. Konvention und Herkommen gelten nicht mehr viel in Zeiten des „Anything goes“. Der Pluralität der Lebensformen folgt die Pluralität des Stils auf den Fuß. Das gilt erst recht für die Kunst: Schriftsteller, Komponisten und Maler haben sich längst befreit von der Autorität einer normativen Ästhetik – und wir verbuchen diese Emanzipation als Gewinn, gilt Freiheit doch als höchstes Kulturgut, um derentwillen man auch Hässlichkeit in Kauf zu nehmen hat.

Zig Baustile in einer Straße
Allein in der Architektur stößt die Toleranz des Publikums rasch an Grenzen. Architektur bedeutet nämlich Zwangskonsum, man kann sie nicht ignorieren. Die Folgen des befreiten Bauens fallen, vor allem in den Innenstädten, unangenehm ins Auge: Häuser, die sich in Material und Geschosshöhen um die Nachbarschaft nicht scheren, Straßen und Plätze, deren Möblierung zum Fortlaufen ist. Doch inzwischen formiert sich Widerstand, gerade in der Architektenzunft. Der Wert intakter städtischer Räume wird wiederentdeckt. So versteht sich das Deutsche Institut für Stadtbaukunst in Dortmund als Speerspitze einer Bewegung für „dauerhaftes und schönes Bauen“. Dieser Tage hat es auf Initiative des Architekten Christoph Mäckler und des Architekturhistorikers Wolfgang Sonne zur dritten „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ nach Düsseldorf in die Rheinterrassen geladen, um, so Mäckler in seiner Einleitung, die Sprachlosigkeit zwischen Architekten und Architekten, zwischen Stadtplanern und Bürgern zu überwinden.

Bessere Architekten sind nötig
Wie schwierig das ist, zeigte gleich das erste Streitgespräch zwischen den Architekten Hans Kollhoff und Christoph Ingenhoven. Kollhoff, Protagonist einer traditionsbewussten Moderne, beschwor eine Bürgerlichkeit ohne Bürgertum, die mit dem Stolz auf das Eigentum die gelungene architektonische Gestalt wiederentdeckt. Eine konventionsfeindliche Moderne habe darin versagt, bewohnbare städtische Außenräume zu schaffen. „95 Prozent der Menschen, für die wir bauen“, rief er mit Prophetenstimme aus, „verstehen unsere Bauten nicht, sie leiden und werden in die Shopping-Center getrieben, um dieses Leiden zu vergessen.“ Ingenhoven, der Architekt des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21, hingegen warnte vor der „Romantik“ einer rückwärtsgewandten Architektur, die Zuflucht sucht in den Konventionen des guten alten Städtebaus. „Wie sollten diese Konventionen aussehen?“, fragte er mit Blick auf die chaotisch anmutende architektonische Produktion in Städten wie Tokio oder Shanghai. Die Welt sei „keine Baulücke“, in die man sich harmonisch einzufügen habe. Auch die beste Vorschrift garantiere keine gute Architektur, weshalb es schlicht darauf ankomme, die schlechten Architekten möglichst nicht bauen zu lassen.

Den Durchschnitt fördern

Ein Schiff fährt in Köln an den Kranhäusern (l) und dem Dom vorbei den Rhein hinunter Quelle: dpa

Da war man dankbar, dass der Wiener Architekturtheoretiker Georg Franck daran erinnerte, dass Architektur ein Mannschaftssport ist, der durchaus auf Regeln beruht, auf technischen, handwerklichen, rechtlichen und nicht zuletzt auch ästhetischen Konventionen, auf eine Formensprache also, deren Einhaltung architektonische „Wohlgeformtheit“ ermöglicht. Wenn allein die innovative Überwindung von Konventionen zähle, so Frank, könnten nur noch Genies gute Häuser. Es komme indes darauf an, den guten Durchschnitt zu fördern, anstatt einen Kult der Auffälligkeit zu pflegen, der Kooperation und die Kunst des Ensemblespiels demonstrativ verweigert.
Doch was ist ein gutes Ensemble? Am Beispiel des Düsseldorfer Medienhafens wurde augenfällig, dass das freie Spiel der Architekturkräfte keineswegs zu einem gelungenen Ganzen führt – und trotzdem vom Publikum goutiert wird, das die aufmerksamkeitsheischenden Düsseldorfer Häuser, so ein Diskussionsteilnehmer, „wie Tiere im Zoo“ bestaunt. Weitgehend einig war man sich darüber, dass Begriffe wie Innovation oder Zeitgemäßheit in der Architektur wenig taugen. „Die Forderung nach Zeitgenossenschaft ist tautologisch“, sagte Wolfgang Sonne. Entscheidend sei nicht die Innovationskraft einer Fassade, sondern ihre Schönheit, die es erlaubt, „mit Vergnügen an ihr vorbei zu spazieren“.

Architekten sprechen nicht miteinander
Überhaupt: Die Fassade. Fritz Neumeyer von der TU Berlin beschrieb in einem brillanten Vortrag die Ressentiments einer konstruktiv begründeten Moderne gegenüber der Fassade. Sie sei als „Maskerade“, als „Ballast“ abgestreift worden zugunsten eines aufgelockerten Zeilenbaus, der nur noch die „edle Einfalt kahler Kanten“ kennt. Verlorengegangen sei dabei die „Kunst der Ritualisierung von Übergängen“ zwischen „Innen und Außen“, die „Tiefe der Oberfläche“: Erst die Fassade, so Neumeyer, forme und umschließe den öffentlichen Raum, gebe ihm Atmosphäre, mache ihn allererst zu einem „erfahrbaren Raum“, sie sei das entscheidende „Kommunikationsinstrument“, mit dem sich ein Gebäude am Ort bewährt.

Wie weit sich die Städte nach 60 Jahren Wohlstand von dieser Kunst entfernt haben, zeigte der Bauunternehmer Paul Bauwens-Adenauer eindrucksvoll am Beispiel seiner Heimatstadt Köln: Achtzig bis neunzig Prozent der Architekturen sprechen nicht miteinander, schauen nicht nach links und nach rechts. „Wir brauchen einen Stadtbaumeister, der alle Gremien berät“, rief Bauwens-Adenauer, „vom Oberbürgermeister bis zum einzelnen Architekten“ – und der auch noch die letzte Bürgerinitiative hinter sich bringt. Der Architekturhistoriker und Architekt Vittorio Magnago Lampugnani forderte in der Schlussdiskussion gar einen Stadtarchitekten, der es sich zutraut, das ganze Bild der Stadt zu entwerfen, „wie ein einzelnes Stück Architektur“. Dem mögen alle möglichen Planungshürden, vom Verwaltungsrecht bis zur Bürgerbeteiligung, im Weg stehen, es hätte aber, wie ein Witzbold zum Schluss der Konferenz bemerkte, immerhin den Vorteil, dass endlich ein Schuldiger gefunden wäre für all die Bausünden der Stadt, in der man lebt.

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