Städtebau Im Ruhrgebiet wächst das Elend - und der Neid

Der Strukturwandel hat im Ruhrgebiet auch nach 40 Jahren noch kein Ende gefunden – im Osten ist er schon lange vorbei. Hinter rußgeschwärzten wie frisch sanierten Fassaden verbirgt sich triste Wirklichkeit. Hat das Ruhrgebiet wirklich Grund zum Selbstmitleid – oder vielleicht doch die besseren Chancen?

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Die Gewinner und Verlierer des Aufbau Ost
Eine alte Frau verlaesst mit ihrem Hund ein Haus in Duisburg-Bruckhausen, Quelle: dapd
"Marietta-Bar-Areal" im Nordabschnitt des Breiten Weges in Magdeburg wird am Neubau für ein Geschäftshaus gearbeitet. Quelle: ZB
Die quer durch das Ruhrgebiet verlaufende Autobahn A40 ist in Essen kaum befahren. Quelle: dpa
Die Bundesstraße 95 zwischen Chemnitz und Leipzig Quelle: dpa/dpaweb
Ein Bauarbeiter schwingt den Hammer auf der Baustelle für die neue Schwimmhalle des SV Halle Quelle: dpa
Eine Frau geht am 18.02.2012 in Oberhausen an einer Kaufhof Filiale vorbei, die bald geschlossen wird und mit dem Räumungsverkauf wirbt Quelle: dpa
Das Bürogebäude in Mülheim an der Ruhr, in dem die Firma Globudent Quelle: dpa/dpaweb

Das Thema wurde zum Thema, als Franz Müntefering (SPD) Ende der Neunzigerjahre noch zuständig war für den Verkehr und das Wohnungswesen in Deutschland. Vor allem die Stadtplaner aus dem Osten rannten ihm damals die Ministeriumstüren ein und bettelten um Geld, bewaffnet mit Tabellen, roten Zahlen und ganz vielen Pfeilen, die südwärts zeigten: „Hilfe, wir schrumpfen!“ Und was tat Franz Müntefering, der große Meister des lakonischen Satzes? Er schüttelte den Kopf und sagte, fürs Schwinden und Schrumpeln sei er nicht zuständig: „Ich bin nicht Abbruchminister. Ich bin Bauminister.“

Natürlich gab es ein paar Jahre später trotzdem eine Kommission, einen Wettbewerb und ein Bund-Länder-Programm; man taufte es „Stadtumbau Ost“ und stattete es mit 2,5 Milliarden Euro aus; das war damals eine Menge Geld. Und natürlich erwies sich das Programm als „Erfolgsgeschichte“, jedenfalls dann, wenn man den evaluatorischen Fähigkeiten von Münteferings Nachfolger Wolfgang Tiefensee (SPD) Vertrauen schenkt: Die „Verknüpfung von Rückbau und Aufwertung“, so Tiefensee 2008, habe Ostdeutschland „attraktive Stadtbilder“ und eine „neue Lebendigkeit“ beschert.

Mehr Fairness

Gern geschehen, sagen nun westdeutsche Bürgermeister an Rhein und Ruhr – aber bitte: Jetzt sind wir an der Reihe. Der Osten sei heute so gut aufgestellt, dass man dort „gar nicht mehr wisse, wohin mit dem Geld“, ätzt der Dortmunder Stadtchef Ullrich Sierau (SPD) – und während CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen im fernen Berlin mehr Fairness anmahnte, spielte selbst die „Rheinische Post“, die tiefschwarze Stimme aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf, die regionale Karte: „Wir brauchen einen Solidarpakt West“. Seither werden – zum wievielten Male eigentlich? – Löhne und Wachstumsraten in Ost und West, Kita-Plätze und Lebenshaltungskosten, Arbeitslose und Transferempfänger, Schwimmbäder, Straßenlöcher und Stadtbibliotheken gegeneinander aufgerechnet. Und – any news?

Vielleicht diese: Sieht man einmal vom Solidarpakt ab und schaut sich nur die 455 Millionen Euro an, die das Bauministerium in diesem Jahr den Kommunen für Stadtumbau und -entwicklung, Sanierung und Denkmalschutz überweist, so stellt man fest, dass ostdeutsche Kommunen – gemessen an der Zahl der Einwohner – fünfmal mehr Geld erhalten als westdeutsche. Warum eigentlich? Sind die Stadtbilder in Ostdeutschland immer noch nicht attraktiv genug? Und braucht das Ruhrgebiet etwa keine „neue Lebendigkeit“? Oder sind die Fragen falsch gestellt? Vielleicht hat der Osten ja nur zwei Jahrzehnte lang richtig gemacht, was im Westen seit 40 Jahren falsch läuft?

Übersicht über die Städtebauförderung des Bundes (zum Vergrößern bitte Bild anklicken).

Vergleich hinkt

War es vorteilhaft für den Osten, dass er den Strukturwandel im Wege der Schocktherapie vollzogen hat, mit hochprozentiger Abwanderung und niedrigeren Löhnen, mit radikalem Wohnungsrückbau und unter Verzicht auf tarifgebundene Sicherheiten? Wenn Städte wie Dresden oder Magdeburg (Arbeitslosenquote 9,2 beziehungsweise 11,4 Prozent) heute besser dastehen als Dortmund oder Essen (12,7 und 12,6 Prozent), wenn die Innenstädte von Schwerin und Freiberg heute Puppenstuben gleichen und die in Wuppertal und Gelsenkirchen kaufkraftarmen Häuserhaufen – haben wir es dann mit Belegen für beispiellos gepäppelte Wohlstandsquartiere und rettungslos vernachlässigte Betonzonen zu tun? Ach was. Ein Vergleich der Situationen in Ost und West zeigt vor allem, dass er hinkt. Was im Westen nicht blüht, welkt im Osten und umgekehrt, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, das ist die Wahrheit. Da kann die Politik mit der Geldgießkanne kommen, so viel sie will.

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