Als Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im August ihre Glückwunschrede zum 70. Geburtstag von Nordrhein-Westfalen hielt, war sie voll des Lobes. NRW habe sich „neu erfunden als Land von Wissenschaft, Forschung und Bildung. An Rhein und Ruhr ist so ein tiefer Strukturwandel – bei allen Schwierigkeiten – besser gelungen als in vergleichbaren Regionen der Welt.“
Legt man die Ergebnisse des Städtetests zugrunde, ist dies eine ziemlich gewagte These. Ein Drittel der 69 untersuchten Großstädte liegen in NRW – aber nur fünf finden sich in der oberen Hälfte des Niveaurankings wieder.
In der Dynamikwertung kommt die beste NRW-Stadt erst auf Platz 27 (Düsseldorf), während bayrische Städte die ersten fünf Ränge unter sich ausmachen und Baden-Württemberg sechs Städte vor der NRW-Landeshauptstadt platzieren kann. „Für ein so bedeutendes Bundesland ist dieses Ergebnis eine Katastrophe“, sagt Michael Bahrke, wissenschaftlicher Leiter der Studie bei IW Consult.
Dynamikranking 2016: Die Gewinner
Regensburg
Punkte: 57,3
Das Dynamikranking basiert auf den Veränderungswerten von 40 Einzelindikatoren in einem Fünfjahreszeitraum. Grundlage sind die aktuellsten verfügbaren Werte. Die Zahlen sind gerundet, was zu gleicher Punktzahl bei unterschiedlichen Rängen führen kann. Aufgenommen wurden alle kreisfreien Städte ab 100.000 Einwohner.
Quelle: IW Consult
Fürth
Punkte: 57,3
Würzburg
Punkte: 59,3
Ingolstadt
Punkte: 59,9
München
Punkte: 60,4
Zwar geht es entlang der Rheinschiene weiter aufwärts. Köln schiebt sich in der Dynamikwertung um 17 Plätze auf Rang 33 vor, für Düsseldorf geht es gar um 19 Plätze nach vorne. Auf der anderen Seite steht jedoch das ökonomische Siechtum des Ruhrgebiets, das alle Förderprogramme, Hilfsprojekte und Diversifizierungsstrategien der Vergangenheit nicht haben stoppen können. Im Dynamikranking liegt die beste Ruhrgebietsstadt auf Rang 48 (Dortmund) – und die fünf letzten Plätze werden allesamt von Revierstädten belegt.
Aufsteigerregion Franken
Franken durchlief in den vergangenen Jahrzehnten einen schmerzhaften Strukturwandel. Große Namen wie Grundig und Quelle verschwanden von der Unternehmenslandkarte, 2007 machte das traditionsreiche Nürnberger AEG-Hausgerätewerk dicht.
Dynamikranking 2016: Die Verlierer
Bochum
Punkte: 44,8
Das Dynamikranking basiert auf den Veränderungswerten von 40 Einzelindikatoren in einem Fünfjahreszeitraum. Grundlage sind die aktuellsten verfügbaren Werte. Die Zahlen sind gerundet, was zu gleicher Punktzahl bei unterschiedlichen Rängen führen kann. Aufgenommen wurden alle kreisfreien Städte ab 100.000 Einwohner.
Quelle: IW Consult
Herne
Punkte: 44
Duisburg
Punkte: 43,9
Oberhausen
Punkte: 42,7
Gelsenkirchen
Punkte: 41,4
Doch wie es scheint, erleben altindustrielle Standorte in Franken jetzt eine Renaissance. Die Region ist im diesjährigen Städtetest der klare Aufsteiger. Im Dynamikranking schaffen es die vier fränkischen Großstädte Würzburg, Fürth, Erlangen und Nürnberg allesamt in die Top 10 und legen gegenüber dem Vorjahr kräftig zu. Deutliche Verbesserungen gibt es vor allem in der Wirtschaftsstruktur und auf dem Arbeitsmarkt.
Die Top 5 im Zukunftsindex
Wolfsburg
Punkte: 58,3
Der Zukunftsindex setzt sich aus folgenden 13 Einzelindikatoren zusammen: Breitbandversorgung. Abiturquote. Industrie-4.0-Orientierung der Wirtschaft. Anteil der Beschäftigten in Forschung/Entwicklung und kreativen Dienstleistungen. Ingenieurquote. Zahl der Forschungsinstitute und Patentanmeldungen. Anteil der Künstler. Zahl der Theater- und Opernbesuche. Anteil der Hochschulabsolventen in MINT-Fächern und Kreativfächern.
Quelle: IW Consult
Heidelberg
Punkte: 59,1
München
Punkte: 60,5
Erlangen
Punkte: 63,4
Darmstadt
Punkte: 66
In Ostdeutschland zeigt sich derweil eine immer stärkere Spaltung. Von der Wachstumsdynamik her konnten einige Großstädte in den vergangenen Jahren zu den prosperierenden Zentren im Süden aufschließen, in puncto Niveau setzten sie sich von den altindustriellen Problemstädten im Westen ab. Diese Entwicklung aber ist offenbar gestoppt. So verbessert sich im Niveauranking diesmal nur eine ostdeutsche Stadt (Rostock), die Dynamik des Vorjahres kann einzig Potsdam überbieten. Stattdessen verlieren einige Städte kräftig an Boden. So rutscht die Universitätsstadt Jena sowohl im Niveau (–3) als auch in der Dynamik (–14) ab, ähnlich ergeht es Dresden, Leipzig, Chemnitz , Magdeburg und Halle.
Die Verlierer im Zukunftsindex
Duisburg
Punkte: 42,1
Der Zukunftsindex setzt sich aus folgenden 13 Einzelindikatoren zusammen: Breitbandversorgung. Abiturquote. Industrie-4.0-Orientierung der Wirtschaft. Anteil der Beschäftigten in Forschung/Entwicklung und kreativen Dienstleistungen. Ingenieurquote. Zahl der Forschungsinstitute und Patentanmeldungen. Anteil der Künstler. Zahl der Theater- und Opernbesuche. Anteil der Hochschulabsolventen in MINT-Fächern und Kreativfächern.
Quelle: IW Consult
Solingen
Punkte: 41
Bottrop
Punkte: 40,7
Herne
Punkte: 40,6
Hamm
Punkte: 39,9
Und was ist mit Berlin? Immer noch arm, aber sexy? Im Dynamikranking liegt die Hauptstadt stabil auf Platz neun, im Niveau verbessert sie sich leicht um vier Plätze auf Rang 39. Anders ausgedrückt: Berlin arbeitet sich im Städteranking Schritt für Schritt nach oben.
Getragen wird der gemächliche Aufstieg vor allem von Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt und einem boomenden Immobiliensektor. „Die Entwicklung der Kaufpreise macht deutlich, dass die Hauptstadt auf dem Einkaufszettel internationaler Immobilienanleger steht“, sagt Jan Hebecker, Leiter Märkte und Daten bei ImmobilienScout24. „Mit einer Renditeerwartung von vier Prozent haben Anleger eine hohe Investitionssicherheit.“
So sind in Berlin seit 2011 die Preise für Eigentumswohnungen um 62 Prozent gestiegen (Platz 7), auch die Mieten legten in diesem Zeitraum um 30 Prozent zu (3). Davon profitiert auch die lokale Wirtschaft, da in Berlin inzwischen viele Neubauten entstehen. So stieg die Anzahl der Baugenehmigungen seit 2011 um 5,6 Prozent. „Berlin hat immer noch Magnetwirkung und zieht jedes Jahr viele Zuzügler an. Prognosen gehen davon aus, dass die Hauptstadt bis 2030 rund 3,8 Millionen Menschen zählen wird“, sagt Hebecker.
Und so dürfte es nicht mehr lange dauern, bis man auch in Berlin über die Luxusprobleme schimpft, die bisher nur rund um die Münchner Hackerbrücke bekannt sind: steigende Lebenshaltungskosten, knappe Arbeitskräfte, hohe Löhne. Irgendwas ist halt immer.