Städteranking 2018 Dauersieger München: Die Kehrseiten des Erfolgs

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Neue Wohnungen: Ja! Aber bitte nicht vor meiner Haustür

Will etwa ein Investor auf einer Wiese im östlichen Stadtteil Trudering Wohnungen bauen, sind Bürgerproteste programmiert. Bauen, na klar, heißt es dann, es braucht schließlich neue Wohnungen, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Der Bayer wohnt gerne mitten in der Innenstadt, mitten im Grünen. Ich war schon auf Bürgerversammlungen, auf denen alteingesessene Münchner allen Ernstes gefordert haben, den Zuzug in die bayerische Landeshauptstadt per Gesetz zu verbieten. Wo solche Vorstellungen herrschen, ist es schwer, eine Stadt fit für die nächsten Jahrzehnte zu machen.

Es gibt in München eine S-Bahnstrecke, die die Stadt von West nach Ost durchzieht. Sieben verschiedene Linien laufen durch den Tunnel unter der Innenstadt. Während des Berufsverkehrs ist die so genannte Stammstrecke oft hoffnungslos überlastet, regelmäßig muss die veraltete Trasse gesperrt werden. Die ohnehin erdrückenden Staus auf Münchens Straßen sind dann noch nerviger.

Nach jahrelangem Streit, Protesten und Klagen ist der Bau einer zweiten Stammstrecke nun aber beschlossen, die Arbeiten haben begonnen – die Bürgerproteste gegen den Neubau reißen dennoch nicht ab.

Deutschlands zukunftsfähigste Städte
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Besonders heftig ist der Widerstand im Stadtteil Haidhausen. Das ehemalige Arbeiterviertel, nicht weit von uns, ist in den vergangenen Jahren zur neuen In-Gegend der coolen Gutverdiener geworden. In den renovierten Altbauwohnungen leben Berater, Kreative und Finanzer. Bei den Landtagswahlen haben die Grünen nirgendwo in Bayern einen höheren Stimmenanteil geholt als in Haidhausen. In den Straßen des schicken Viertels stehen SUVs, man kauft ein in Läden, die Genuss-Werkstatt oder Brot-Manufaktur heißen. Bei gutem Wetter sitzen die Anwohner entspannt bei laktosefreiem Latte in den Straßencafés entlang der Wörther Straße.
Kommt die Sprache allerdings auf die neue S-Bahn-Röhre, kippt bei vielen schnell die Stimmung. Der Tunnel soll nämlich mitten durch Haidhausen führen. Unnötig und viel zu teuer sowieso sei die neue Stammstrecke, lauten die Klagen. Seit Jahren macht eine Bürgerinitiative in Haidhausen Stimmung gegen das wichtige Projekt. Und doch geht es den meisten im Viertel schlicht darum, Bagger und Baugruben vor der eigenen Haustür zu verhindern – auf dass nur nicht die hippe Großstadtidylle gestört werde.

Satt, genügsam und selbstzufrieden sind viele Münchner, am liebsten soll alles so bleiben wie es ist. Dabei müsste München bei Infrastruktur, Wohnungsbau und öffentlicher Daseinsvorsorge jetzt die Weichen für die nächsten Jahrzehnte stellen, denn die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt dürfte eher noch zunehmen.
Es gibt Dax-Vorstände, die Geschichten wie diese erzählen: Das Unternehmen spricht mit einem Bürgermeister im Großraum München und erläutert seine Pläne: In den kommenden Jahren wolle man in seiner Stadt in eine neue Fertigung investieren und über mehrere Jahre mehrere Tausend Arbeitsplätze schaffen. Dem Bürgermeister entgleiten die Gesichtszüge, entsetzt lehnt er das Vorhaben ab. Begründung: Dann brauche er ja noch mehr Kita-Plätze, Schulen und Parkplätze. Lassen’s mal, passt scho!

Wie satt und selbstgefällig die Stadt ist, zeigte sich einmal mehr an einem sonnigen Sonntag im Juni 2012. Die Isarstrände waren gut besucht, überall wurde gegrillt, das Augustiner-Bier floss in Strömen. An dem Tag sollten die Münchner über den Bau der dritten Startbahn des Flughafens abstimmen. Irgendwann gegen Abend brach an den Isar-Stränden Jubel aus: Das Ergebnis des Referendums war da – die Münchner hatten mit großer Mehrheit gegen den Bau der neuen Piste gestimmt.

Sicher, im Moment wird die dritte Startbahn noch nicht gebraucht. Aber der Zeitpunkt wird kommen, an dem die beiden bestehenden Runways nicht mehr reichen.

Vor einigen Wochen saßen ich und eine Reihe von Kollegen mit Carsten Spohr, dem Vorstandschef der Lufthansa, zusammen. Spohr erklärte uns ausführlich, warum Europas führende Airline in den kommenden Jahren immer mehr Flugzeuge von Frankfurt nach München verlegen will. So sind etwa die Kosten am Münchner Airport um 20 Prozent niedriger als in Frankfurt. Außerdem fliegt man von und nach München pünktlicher wegen der besseren Kapazitäten.

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