Städteranking Berlin – die Metropole der Meckerer

Berlin hat sich von „Arm und sexy“ in reich und behäbig verwandelt, findet unser Autor. Quelle: imago images

„Arm und sexy“ – das war einmal, inzwischen ist Berlin reich und behäbig. Die Coolness der alten Tage ist dem alltäglichen Chaos gewichen. Unser Autor lebt seit 30 Jahren in der Hauptstadt und ist ihr in wachsender Hassliebe verbunden.

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Es ist Ende November und ich hasse Berlin. Dunkelheit, Nieselregen und kalte Ostwinde ziehen durch die breiten Straßen mit ihren kahlen Bäumen und grauen Fassaden. Und alle wissen: Es wird noch schlimmer. Bald kommt der flüchtige Schnee, der sich in braune Matschpampe verwandelt und ab dem 1. Januar eine feste Verbindung eingeht mit den rot-schwarzen Überresten der Silvesterböller, die erst tonnenweise in die Luft gejagt werden und dann wochenlang auf ihre Beseitigung warten.

Ja, es stimmt: Im Winter sind alle Städte furchtbar, aber Berlin ganz besonders. Weil bei dem Wetter kein Mensch mehr mit dem Fahrrad fährt, sind die U- und S-Bahnen jetzt wieder so voll, als hätte es Corona oder die vierte Welle nie gegeben.

Ich weiß, viele finden Berlin cool, aber nur wenige müssen täglich durch die Stadt zu Terminen hetzen. Die größten Berlin-Fans kommen deshalb von außerhalb und schwärmen von ihren Party-Wochenenden hier. Wer aber in der Stadt lebt und arbeitet, der weiß: Autofahren ist sinnlos geworden. Entlang der Hauptverkehrsstraßen ziehen sich jetzt so genannte „Pop-Up-Radwege“, eine Spezialität der grünen Verkehrsverwaltung. Der poppige Begriff soll die fehlende planungsrechtliche Grundlage für diese Art von Radwegen überdecken. Begründet werden die spontan mit gelbem Klebeband und Baustellenzäunen eingerichteten „Radwege“ nämlich einzig und allein mit der Einhaltung des coronabedingten Mindestabstands. Natürlich wird dafür fast immer eine Fahrspur geopfert, was zu einer Art absichtsvollem Dauerstau führt – vor allem wenn die überhandnehmenden Paketdienste die verbleibende Fahrbahn auch noch blockieren. Das Lastenfahrrad ist leider noch keine Lösung – darauf lassen sich weder DHL noch Amazon ein. Aber wer weiß? Vielleicht spekulieren die Firmenchefs ja nur auf eine Förderung des Lastenrads durch den deutschen Steuerzahler.

Berlin als grünes Bullerbü

von Bert Losse, Sophie Crocoll, Anja Holtschneider

Das viel diskutierte Tempo-30-Diktat in Berlin ist eigentlich kein Thema mehr, weil man schon froh ist, wenn die Autos im Schritttempo vorankommen. Man fragt sich, wie diese Stadt im Dauerstau überhaupt ihr beachtliches Wirtschaftswachstum geschafft hat. Und auch hier weiß jeder: Es wird noch viel schlimmer. Die Grünen wollen innerhalb des S-Bahn-Rings überhaupt keine Autos mehr zulassen und eine Art Fußgängerzone von der Größe Münchens einrichten. Mehr als zwei Millionen Berlinerinnen und Berliner können sich dann über ein idyllisches, autofreies Hauptstadt-Büllerbü freuen.

Für die grüne Großstadt-Bohème in Mitte und Prenzlauer Berg wäre das kein Problem: Die Wege hier sind kurz und im Zweifel ist genug Geld für Taxi oder Car-Sharing da. Und die anderen haben halt Pech gehabt, also all diejenigen, die weiter draußen wohnen, wo die Mieten billiger und die Deckenhöhen niedriger sind. Sollen die Kellner und Köche in den Szenekneipen, die Putzfrauen in den Altbauetagen oder die Regaleinräumer im Bio-Supermarkt doch gefälligst auch mit dem Fahrrad oder den Öffis fahren! So weit ist es ja auch wieder nicht vom Wedding zum Prenzelberg. Wir meinen es nur gut mit euch, mit euren Kindern, der Stadt, der Welt, dem Klima und überhaupt.

„Herz mit Schnauze“

Ich hatte kürzlich einen Aufkleber auf der Windschutzscheibe: „Autos töten“ stand darauf. Das Ding ließ sich kaum entfernen, aber ich war schon froh, dass die Parole nicht mit der Sprühdose aufgebracht oder mit einem Schlüssel eingeritzt wurde.

Wahrscheinlich ist die persönliche Haltung zu Berlin eine Frage der Jahreszeiten. Ich wohne mit Unterbrechungen rund 30 Jahr hier, kenne jede Ecke der Stadt und jede Menge Museen, Theater, Kinos und Restaurants – also alles, was Berlin so lebenswert macht. Aber meine Begeisterung für diese ganzen wunderbaren Zutaten des großstädtischen Lebens lässt trotzdem kontinuierlich nach, wenn die Uhren umgestellt, die Tage kürzer und die Stimmungen in der Stadt gereizter werden.

Mit Corona und den Auswirkungen des Lockdown hat das übrigens wenig zu tun. Der Berliner war noch nie für überbordende Freundlichkeit bekannt. „Herz mit Schnauze“ heißt das hier etwas verharmlosend, aber der Spruch ist ein ähnlicher Etikettenschwindel wie der mit den „Pop-Up-Radwegen“.

Eines allerdings stimmt nicht: Die Beamtinnen und Beamten in der Hauptstadt sind besser als ihr Ruf. Okay, man braucht immer noch sechs Wochen, um einen Termin für die Verlängerung des Anwohnerparkens zu bekommen und ja, Genehmigungen für alles Mögliche brauchen Monate – der Schlendrian ist halt ein Berliner. Aber wenn man es dann geschafft hat und pünktlich im Bezirksamt sitzt, alle Unterlagen dabei hat und auch alles richtig ausgefüllt ist, gibt es mitunter richtige Charme-Attacken. „Na, det sieht ja ma jut aus“, meinte die Sachbearbeiterin kürzlich beim Sichten meiner Formulare, schaute mich freundlich an und fügte noch ein „janz prima“ hinzu. An solchen Tagen geht die Sonne zweimal auf; man wird halt genügsam und demütig in Berliner Ämtern. Das ist kein Wunder, denn das höchste Lob in der Hauptstadt wird immer noch in die Feststellung gekleidet: „Da jibtet nüscht zu meckern“. Will sagen: Besser geht´s nicht in der Metropole der Meckerer.

„Geh doch nach drüben“

Okay, Sie merken schon: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die bei jeder Gelegenheit unaufgefordert sagen, wie „cool“, „geil“ und „unglaublich“ Berlin ist, was man hier angeblich alles Tolles machen kann, was es natürlich nirgendwo sonst gibt. Nun ja – alle reden über Integration – aber ich lebe sie vor: In 30 Jahren habe ich mich assimiliert zwischen den ruppigen Hauptstädtern und das bedeutet selbst für mich als gebürtigen Rheinländer im Exil: Nicht geschimpft ist Lob genug.

Früher, im guten alten West-Berlin, hat man Kritikern wie mir übrigens mit der ortsüblichen Direktheit geraten „geh doch nach drüben wenn´s dir hier nicht passt“. Das ist, Gorbatschow sei Dank, zum Glück Vergangenheit. Aber mir fällt auf, dass in meinem ach so lässig-coolen Freundes- und Bekanntenkreis aus der Berliner Kultur- und Medienszene jetzt immer öfter über die Flucht aus dem städtischen Moloch und über den Charme des Landlebens gesprochen wird. Vor allem an Freitagen gibt es nur ein Thema: die Vorzüge einer „Datsche“ (ostdeutsch für kleines Wochenendhaus) oder eines – halten Sie sich fest – Schrebergartens. Der trendige Hauptstädter sucht heimlich Ruhe zwischen Rüben und Rosenkohl!

Und damit sind wir jetzt endlich beim eigentlichen Thema: bei den Immobilien. Wenn Sie Geld übrighaben und der Bank keine Strafzinsen zahlen wollen, können Sie in Berlin natürlich super investieren. Die Rendite ist immer noch hoch, allerdings steigen auch die Risiken: Mit Mieterprotesten, Mietendeckeln, schlampigen Hausverwaltungen und allgegenwärtigen Fassadensprayern muss man ebenso rechnen wie mit Enteignungen. Ja, richtig gelesen: Enteignungen! Geht nicht? Doch – hier schon! Wir befinden uns schließlich immer noch in der alten Frontstadt, deren Ostteil inklusive Rotem Rathaus einst die „Hauptstadt des Sozialismus“ war. Dieser Geist lebt bis heute fort, wie man am rot-rot-grünen Senat sehen kann. Kevin Kühnert (Sie wissen schon: das ist der Ex-Juso ohne Studienabschluss, der BMW verstaatlichen wollte), also der kleine, rote Kevin hat auch eine klare Meinung zu Immobilien. Für ihn reicht es aus, wenn man eine einzige Wohnung hat, und zwar die in der man wohnt. Mehr, so meint Kevin, birgt schon die Gefahr der Ausbeutung in sich. Also aufgepasst! No risk, no fun. Oder, um mit Ernst Reuter, dem legendären Berliner Nachkriegsbürgermeister zu sprechen: Investoren der Welt, schaut auf diese Stadt!

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