Städtetest 2010 Warum Erlangen Deutschlands lebenswerteste Stadt ist

Seite 2/4

Siemens-Verwaltungsgebäude in Quelle: AP

Und warum schafft es ausgerechnet Erlangen in der Gesamtwertung an die Spitze, dieser etwas unscheinbare und streng rechtwinklig geplante Ort der "freundlichen Langeweile", wie es der Kunsthistoriker Georg Dehio einmal wenig charmant formuliert hat? Dass die Bürger ihren Verwaltungskram mit der Stadt zentral im Erdgeschoss des Rathauses abwickeln können und für Warterei und Erledigung laut OB Balleis im Schnitt "nicht länger als acht Minuten" einplanen müssen, mag auf guten Kundenservice hindeuten. Wichtiger aber sind die ökonomischen Fundamentaldaten: Die Arbeitslosenquote liegt bei nur rund vier Prozent; Ökonomen nennen so etwas Vollbeschäftigung. Auf 100 Einwohner kommen in Erlangen nur rund drei Hartz-IV-Empfänger, so wenig wie in keiner anderen deutschen Stadt. Außerdem gibt es in der Stadt an der Regnitz die höchste Ingenieurdichte, den größten Anteil an hoch Qualifizierten unter den Beschäftigten und die geringste Überschuldung der Privathaushalte.

Himbeerpalast sorgt für Jobs

Wer wissen will, wie die protestantisch-nüchterne Universitätsstadt tickt, sollte vom Bahnhof über die Calvinstraße zur Hugenottenkirche schlendern, einen Baumkuchen im Café Mengin am Schlossplatz verspeisen – und spätestens dann nach Süden in die Werner-von-Siemens-Straße wandern. Entlang der vier- bis sechsspurigen Fahrbahn reihen sich Produktionsstätten und Verwaltungsgebäude des mit Abstand größten Arbeitgebers der Stadt; hier steht auch der "Himbeerpalast", wie die Erlanger das in der Nachkriegszeit hochgezogene, rötlich-braune Hauptgebäude der Siemens AG nennen.

Siemensianer sind einflussreiche Community

Keine Frage: Erlangen ist Siemensstadt. Von hier aus wickelt der Elektrokonzern rund 90 Prozent seiner globalen Geschäfte ab, etwa jeder vierte Arbeitnehmer in der Stadt bezieht sein Gehalt von Siemens. Auch im sozialen, sportlichen und kulturellen Leben spielt der Konzern eine gewichtige Rolle. Die Siemensianer bilden – auch nach der Arbeit – eine einflussreiche Community. Dass es mit der Erweiterung des Gewerbegebiets im benachbarten Tennenlohe nicht recht vorangeht, liege auch am Widerstand von lärmempfindlichen Siemens-Pensionären in der Nachbarschaft, munkelt man in der Wirtschaft.

Siemens hat Erlangen großen Wohlstand gebracht – aber auch den Vorwurf einer ökonomischen Monostruktur. Wie nachhaltig ist ein Aufschwung, wenn Wohl und Wehe von einem einzigen Unternehmen abhängen? OB Balleis beeindruckt diese Frage wenig. „Der Diversifizierungsgrad von Siemens ist so hoch, dass sich Probleme in einem Geschäftsfeld durch andere Unternehmensteile abfedern lassen“, sagt er. Mit Ingolstadt (und Audi) oder Wolfsburg (und VW) sei seine Stadt daher nicht zu vergleichen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%