Standort Deutschland Der Fünf-Punkte-Plan für eine starke Industrie

Anke Rehlinger Quelle: imago images

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit steht von mehreren Seiten unter Druck: amerikanische Klimamilliarden, Chinas Industriepolitik, hohe Energiepreise. So gelingt dem Standort eine Renaissance. Ein Gastbeitrag.

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Die Industrie ist das Rückgrat unserer wirtschaftlichen Stärke und des Wohlstands. Doch ausgerechnet sie steht vor großen Herausforderungen, nicht nur in Deutschland. Das betrifft vor allem die wichtigste industriepolitische Aufgabe dieses Jahrzehnts: die klimaneutrale Transformation. Dass wir auch zukünftig ein starker Industriestandort bleiben, ist möglich, aber nicht ausgemacht. Denn die Wettbewerbsfähigkeit ist gefährdet.

Zu hohe Energiekosten werfen den Standort Deutschland zurück. Dazu kommt die harte Konkurrenz durch den Inflation Reduction Act (IRA) der USA. Natürlich ist es im Vergleich zum Trumpschen Ignorieren des Klimawandels positiv, dass die USA nun saubere Technologien voranbringen und in Klimaschutz investieren. Darin steckt aber auch eine America-first-Politik, die europäische Industrien abzuwerben sucht. Neben diesem Druck von jenseits des Atlantiks stellt auch die chinesische Industriepolitik eine Herausforderung für Europa dar. Fünf Antworten darauf sind wesentlich.

Erstens: Wasserstoff. Die Transformation unserer Industrie wird in vielen Bereichen von Wasserstoff und erneuerbaren Energien angetrieben. Einst entstand die Europäische Union aus einer Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Heute müssten wir diesen Kern neu denken als europäische Gemeinschaft für Wasserstoff und erneuerbare Energien. Wir müssen vernetzter planen, europäischer handeln. Dazu müssen Infrastrukturen grenzüberschreitend funktionieren. Entscheidend ist der schnelle Aufbau eines europäischen Netzes.

Zur Person

Das Wasserstofftransportnetz wird in Zukunft nicht weniger als die Lebensader der europäischen Industrie sein. Dazu braucht es sehr schnell gezielte Anreize und einen klaren Rechtsrahmen, damit Unternehmen bereit sind, die Netze eigenwirtschaftlich zu ertüchtigen beziehungsweise zu errichten. Um den Umbau von heutigen Gasleitungen für Wasserstoff zu ermöglichen, muss zudem die kommunale Wärmewende gezielt dort vorangetrieben werden, wo künftig Wasserstoffpipelines gebraucht werden.

Und aus einer spezifisch saarländischen Erfahrung heraus: Angesichts des massiven Zeitdrucks sollten wir unsere Kräfte nicht darauf richten, Frankreich von der Kernenergie abbringen zu wollen. Und andererseits darf Paris nicht auf vorbehaltlose deutsche Begeisterung für die Atomkraft hoffen.

Zweitens: Energiekosten. Der Hochlauf der erneuerbaren Energien wird den Strompreis langfristig senken. So lange kann die Industrie aber nicht warten. Deshalb müssen wir schnell die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern. Ein befristeter Industriestrompreis wäre eine Lösung, am besten europäisch, sonst aber national.

Drittens: Fachkräftesicherung. Wir werden das Problem nicht in jedem Bundesland extra lösen, trotz aller Bemühungen. Wir brauchen ein föderales Synchronschwimmen statt eines Wettrennens der Bundesländer. Davon, dass wir einzelne Berufsgruppen Land für Land besserstellen, wird ja die Grundgesamtheit der Fachkräfte nicht größer. Wir brauchen bundesweit mehr Fachkräfte. Dazu müssen wir uns zum einen um hier lebende Menschen bemühen, sei es über Qualifizierung oder über Möglichkeiten, die Frauenerwerbsquote zu steigern, oder lebenslanges Lernen. Und zum anderen wird das ohne kräftige Zuwanderung nicht zu machen sein.

Viertens: Innovation. Made in Germany ist nicht nur ein Signet für solide Wertarbeit, sondern auch für hochinnovative Produkte. Forschung und Entwicklung helfen unserer Industrie, der Zeit gerade so weit voraus zu sein, um zukünftige Märkte in den Blick zu nehmen. Wir müssen unsere Hochschullandschaft und unsere exzellenten Forschungsinstitute so mit der Wirtschaft verknüpfen, dass ein stärkerer Transfer von Wissen in Produkte und Geschäftsmodelle möglich wird. Das bedarf eines Höchstmaßes an Technologieoffenheit in der Regulierung.

Fünftens: Deutschlandgeschwindigkeit. Wir sind mitten im Strukturwandel, ab 2027 will zum Beispiel die saarländische Stahlindustrie grünen Stahl produzieren und benötigt dafür große Mengen Wasserstoff. Viele Bundesländer machen Tempo für die Transformation. Auch der Bund unterstützt das und wird Planungen und Genehmigungen beschleunigen – die von Olaf Scholz so genannte Deutschlandgeschwindigkeit. Damit muss ein deutlicher Bürokratieabbau einhergehen. Aber auch die EU-Kommission muss ihre Arbeits- und Prüfgeschwindigkeit dem Tempo der Transformation anpassen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen etwa für Ansiedlungen fix und fertig in den Startlöchern stehen und nicht loslegen können, weil das grüne Licht aus Brüssel fehlt.

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Lesen Sie auch den Gastbeitrag von Ralph Brinkhaus: Raus aus der Agonie – für eine neue Wirtschafts- und Industriepolitik

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