Standort Deutschland Wir brauchen eine Zeitenwende für die Standortpolitik

Finanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner Quelle: Gene Glover für WirtschaftsWoche

Die Kraft des Mittelstands ist unser Fundament für Fortschritt. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, diese Basis zu stärken. Denn ich bin überzeugt: Wenn wir die Krise mit Kraft und Konsequenz meistern, werden wir Deutschland mit unserem Gründergeist, unseren Ideen und unserer Leistungsfreude zu einem der modernsten Länder der Welt machen. Ein Gastbeitrag von Finanzminister Christian Lindner.

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Das Weltmarktführer-Sonderheft der WirtschaftsWoche würdigt die Stärken unseres Mittelstands: Tradition und Innovation, regionale Verankerung und globale Marktführerschaft, Wandlungsfähigkeit und Kontinuität. In einer Phase, in der die Inflation die wirtschaftliche Substanz unseres Landes bedroht, werden diese Stärken auf eine harte Probe gestellt: Wir befinden uns in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit. Der russische Präsident Wladimir Putin erzeugt Knappheiten beim Gas, um uns unter Druck zu setzen. Seine Aggression soll unseren Wohlstand erschüttern, wirtschaftliche Strukturen beschädigen und die Solidarität mit der Ukraine schwächen. Das wird nicht gelingen. Wir setzen unsere wirtschaftliche Stärke ein, um die Menschen in diesem Land und unsere Wirtschaft zu schützen. Unser Handwerk, unseren Mittelstand und die Industrie. So bewahren wir das, was Menschen sich über Jahrzehnte an persönlichem, aber auch an gesellschaftlichem Wohlstand aufgebaut haben.

Die Bundesregierung ist entschlossen, mit einem umfassenden wirtschaftlichen Abwehrschirm steigende Energiekosten für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen abzufedern. Für den Abwehrschirm stellen wir bis zum Jahr 2024 eine Summe von bis zu 200 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit helfen wir direkt Menschen und Betrieben. Die nachhaltige Finanzstabilität des deutschen Staates bleibt gewahrt; die fiskalischen Reserven Deutschlands werden nicht ausgeschöpft. So erhalten wir unsere Handlungsfähigkeit und sichern sie für die Zukunft.

Die Aufwendungen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen von Putins Energiekrieg gegen unser Land habe ich im Wirtschaftsstabilisierungsfonds gebündelt. Für diese Zusatzausgaben gilt eine klare gesetzliche Zweckbestimmung. Sie dürfen nur dazu dienen, Strukturbrüche zu verhindern. Sie dürfen nur zur unmittelbaren Krisenbewältigung eingesetzt werden. Allgemeine Ausgabenwünsche werden daraus nicht bedient. Diese Ausgaben werden von den laufenden Vorhaben im Bundeshaushalt getrennt.

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Umgekehrt heißt dies: Für alle Ausgaben, die nicht direkt im Zusammenhang mit der Energiepreisentwicklung stehen, gilt die Schuldenbremse. Die Schuldenregeln einzuhalten ist nicht nur ein Gebot der Verfassung. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist auch ökonomisch erforderlich und generationengerecht. Wir dämpfen die Preisentwicklung. Wir wählen gerade nicht den Weg einer grundsätzlichen finanzpolitischen Expansion. Der Abwehrschirm wirkt daher auch als Inflationsbremse. In der aktuellen Krise geht es nicht darum, Nachfrage zu stimulieren. Es geht um eine Stärkung der Angebotspolitik.

Wir entlasten, um die Wirtschaftstätigkeit abzusichern: mit der gesenkten Umsatzsteuer auf Gas und Fernwärme sowie der Strom- und Gaspreisbremse einerseits, mit dem Spitzenausgleich und Unternehmenshilfen andererseits. Eines ist allerdings klar: Gegen gestiegene Weltmarktpreise für Energie kann kein Staat der Welt dauerhaft ansubventionieren. Wir müssen daher nicht nur Energie sparen, wir brauchen auch mehr Angebot bei der Energieerzeugung. Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien, weil sie uns unabhängig machen. Ich setze auf den massiven Ausbau dieser Freiheitsenergien. Deshalb werden wir hinter dem Abwehrschirm unsere Energieversorgung neu ordnen und die Transformation beschleunigen.

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Als Bundesregierung unternehmen wir dafür große Anstrengungen. Es bedarf in erster Linie gar nicht staatlicher Fördermittel, sondern konsequenter Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. In der akuten Krise wäre es falsch, wählerisch oder dogmatisch zu sein. Die Betriebe in unserem Land brauchen sofort Gas und Strom zu verlässlichen Konditionen – nicht erst in drei Jahren. Wir brauchen eine Brücke hin zur CO2-freien Energieversorgung. Es ist der Bundesregierung in hohem Tempo gelungen, die Gasspeicher zu füllen. Jetzt sollten wir dieses Gas nach und nach in den Markt zurückgeben. Wir müssen alle verfügbaren Energiequellen nutzen, Kohle- ebenso wie Kernkraftwerke. Mitten in einem uns aufgezwungenen Energiekrieg sichere und funktionierende Atommeiler abzuschalten lässt sich niemandem vermitteln. Ich spreche mich deshalb für den Weiterbetrieb aller am Netz befindlichen Kraftwerke bis 2024 aus. Wir müssen alle Ressourcen nutzen, um ruinöse Energiepreise zu verhindern.

Es ist absehbar, dass die Energiepreise mittelfristig nicht mehr auf das Vorkrisenniveau sinken werden. Das erhöht den Druck, Deutschlands Geschäftsmodell neu zu begründen. Wir können uns im globalen Wettbewerb jetzt einen Vorsprung für Jahrzehnte erarbeiten. Unsere Wirtschaft und unser Staat haben dafür die Kraft, die Mittel und mit der Angebotspolitik ein Konzept. Wir brauchen jetzt eine Zeitenwende bei der Standortpolitik.

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