Der Konzernchef versuchte es auf Bayerisch: „Schee, dass ma wieder amoi gmiadlich zamsitzn“, postete Apple-Boss Tim Cook im vergangenen Herbst auf Twitter beim Besuch des Oktoberfestes. In Zukunft wird der US-Manager seinen bajuwarischen Dialekt noch verfeinern können: Apple hat angekündigt, in den kommenden sechs Jahren am Standort München eine weitere Milliarde Euro in den Ausbau seines Zentrums für Chipdesign zu investieren. Damit wird München, bereits jetzt größter Apple-Entwicklungsstandort in der EU, zu einer der weltweit wichtigsten Denkfabriken des Konzerns – und ein gutes Reiseziel für Cook auch jenseits des Wiesn-Trubels.
Dass der US-Konzern so massiv in München investiert, hat seinen Grund in dem, was Ökonomen „Humankapital“ nennen. „Unsere Münchner Ingenieurteams gehören zur innovativen Weltspitze“, lobt Cook. Und das kommt nicht von ungefähr. Nirgendwo sonst in Deutschland ist in der Arbeitnehmerschaft der Anteil der Hochqualifizierten so hoch: In München haben fast 39 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Hochschulabschluss, und auf 100 Beschäftigte kommen mehr als sechs Ingenieure. Auch bei anderen Humankapitalindikatoren – die Produktivität der Erwerbstätigen, der Anteil der Beschäftigten in Forschung, Entwicklung und wissensintensiven Dienstleistungen – liegt die bayrische Hauptstadt in der Spitzengruppe der 71 deutschen Großstädte ab 100.000 Einwohnern.
Apples besonderes Interesse gilt den Absolventen und Studenten von Thomas F. Hofmann. Der Präsident der Technischen Universität München (TUM) weiß, dass sie „bei Apple als Fachkräfte heiß begehrt sind“, wie er auf Anfrage der WirtschaftsWoche sagt. Und so darf Hofmann die neue Milliardeninvestition auch als Gütesiegel für die akademische Arbeit an seiner Universität begreifen: „Das ist eine sehr erfreuliche und auch nachvollziehbare Entscheidung von Apple.“ München biete als Standort „mit seinem einzigartigen Ökosystem aus exzellenten Universitäten, Industrie und Start-ups bietet herausragende Bedingungen für Innovationen“, so Hofmann.
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Eine neue Forschungseinrichtung von Apple, die in der Münchner Seidlstraße entstehen soll, ist zu Fuß lediglich eine knappe Viertelstunde vom Campus der TUM entfernt. Apple selbst spielt in einer Mitteilung zu der Milliardeninvestition auf die geografische Nähe zur TUM an. Dort heißt es, dass die TUM „zu den führenden Instituten für Forschung und Ingenieurwissenschaften in Europa zählt“. In gemeinsamen Forschungsprojekten hätten Teams von Apple und TUM etwa daran gearbeitet, „mobile drahtlose Verbindungen zuverlässiger und sicherer“ zu machen. „Wir arbeiten heute und in Zukunft gemeinsam mit Apple an zukunftsfähigen Technologien“, sagt auch TUM-Präsident Hofmann.
Auch das exzellente Gründungsklima dürfte bei Apples Standortentscheidung eine Rolle gespielt haben. Auf 10.000 Erwerbsfähige kommen an der Isar rund 55 Gründungen, der Saldo aus Gewerbean-und abmeldungen ist deutlich positiv (Platz 4 bundesweit). Und mit Berlin bildet München das Städteduo mit der bundesweit höchsten Zahl von Start-ups im Hightech-Bereich.
Apples Milliardenengagement könnte der Stadt nun einen zusätzlichen Schub geben – und den Abstand zu deutschen Konkurrenzstädten wieder vergrößern. Obwohl München bei Wohlstand und Wirtschaftskraft traditionell alle anderen Großstädte hinter sich lässt, hatte es zuletzt ökonomisch ein bisschen gekriselt. In der so genannten Dynamikwertung des WirtschaftsWoche-Städtetests, die die Veränderungsraten in den vergangenen fünf Jahren bewertet, war die Isar-Metropole in den vergangenen zwei Jahren von Platz 1 (2020) auf Rang 30 abgestürzt. Das liegt zum Teil daran, dass sich ohnehin gute Werte eben nicht so leicht verbessern lassen. Es ist aber auch ein Signal, dass ökonomische Dominanz kein Selbstläufer ist.
Zumindest bis Tim Cook die Schatulle öffnet.
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