Start der Koalitionsverhandlungen „Der Kollege Dobrindt ist auf jeden Fall professionell, ich auch“

Mit dem Treffen der Parteichefs starten heute die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Inhaltlich müssen die Parteien noch hart ringen – am Zwischenmenschlichen soll eine Neuauflage der GroKo aber nicht scheitern.

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Berlin SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles will sich bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien zwar möglichst schnell einigen, aber kein festes Datum dafür setzen lassen. „Wir sollten versuchen, das jetzt zügig zu verhandeln“, sagte sie am Freitag dem ARD-Morgenmagazin. Aber auf einen festen Termin, wie etwa Fastnacht, werde sie sich ungern festlegen. „Ja, gerne zügig, aber auch mit der nötigen Sorgfalt“, gab sie als Ziel aus. Am Ende müssten auf alle Fälle die Inhalte stimmen. „Ich würde mir ungerne dann doch solche absoluten Enddaten setzen, dann gibt's wieder Nachtsitzungen, wo alle übermüdet sind“, sagte Nahles weiter.

An diesem Vormittag, gut vier Monate nach der Bundestagswahl, steigen CDU, CSU und SPD in Koalitionsverhandlungen ein. Gegen 9 Uhr kommen die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) in der CDU-Zentrale in Berlin zusammen. Dann trifft sich eine Runde von 15 Spitzenvertretern der drei Parteien, die als Steuerungsgremium dienen soll. Der Erwartungsdruck ist groß – die Wahl liegt mehr als 120 Tage zurück. Länger hat eine Regierungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gedauert.

Umstritten ist, wie schnell ein Abschluss gelingen kann. Die Union will mit den Verhandlungen bis Karneval fertig werden - die Hochphase des närrischen Treibens beginnt mit Weiberfastnacht am 8. Februar. Über einen Koalitionsvertrag sollen dann noch die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder abstimmen. Dieser Prozess dauert nochmals drei Wochen. SPD-Chef Schulz sagte am Donnerstagabend, man wolle in den nächsten zwei Wochen zügig, aber ohne Hektik verhandeln. Für eine stabile Regierung brauche es „Sorgfalt vor Schnelligkeit“.

Nahles kündigte an, die SPD-Seite werde versuchen, gerade in den strittigen Sachthemen Härtefallregelung bei Flüchtlingen, sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen und bessere Bedingungen für Kassenpatienten noch etwas herauszuholen. Die vielen befristeten Arbeitsverträge seien beispielsweise eine große Beschränkung für die Menschen im Alltag, die zum Beispiel die Wohnungssuche erschwerten.

Bei der Bürgerversicherung, die die Union ablehnt, wolle die SPD versuchen, zumindest einen Einstieg zu bekommen. So sehe sie nicht ein, weshalb Beamte nicht frei entscheiden könnten, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern möchten. An atmosphärischen Dingen würden die Koalitionsverhandlungen nicht scheitern.

Zugespitzte Streitereien etwa zwischen dem Chef der CSU-Bundestagsgruppe und der SPD-Seite sieht Nahles nicht als Hindernis. „Der Kollege Alexander Dobrindt ist auf jeden Fall professionell, ich auch“, sagte Nahles. „Das wird schon an diesen Fragen nicht scheitern, dass wir zu guten Ergebnissen kommen.“ Ausdrücklich lobte sie die Zusammenarbeit von Union und SPD in der Vergangenheit. „Wir haben ja die letzten Jahre auch schon gut zusammengearbeitet.“

Die Union lehnt grundlegende Änderungen an der gemeinsamen Sondierungsvereinbarung ab, vermeidet derzeit aber scharfe Töne. In der Gesundheitspolitik hatten Unionspolitiker signalisiert, sich Änderungen bei Honoraren für Landärzte oder bei den Wartezeiten für Arzttermine vorstellen zu können. Gesundheitsminister Hermann Gröhe sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag): „Wir wollen weitere Verbesserungen für gesetzlich Versicherte, ob es um die Versorgung im ländlichen Raum oder einen schnelleren Zugang zum medizinischen Fortschritt geht.“ Zugeständnisse beim Familiennachzug und sachgrundlosen Jobbefristungen lehnt die Union ab.

Die große Mehrheit der Bundesbürger traut der SPD einer Umfrage zufolge nicht zu, in den Koalitionsverhandlungen noch stark zusätzliche eigene Akzente setzen zu können. Dies geht aus dem jüngsten „Deutschlandtrend“ für das ARD-„Morgenmagazin“ (Freitag) hervor. Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, käme die SPD der Umfrage zufolge nur noch auf 19 Prozent. Im Vergleich zum „Deutschlandtrend“ vom 4. Januar verliert die SPD zwei Prozentpunkte und kommt somit auf den niedrigsten Wert, den Infratest dimap seit Beginn des „Deutschlandtrends“ im November 1997 gemessen hat.

Spitzenverbände der Wirtschaft warnten die potenziellen Koalitionäre vor einer Eindämmung befristeter Jobs. „Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein unverzichtbarer Jobmotor“, sagte etwa der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, der Deutschen Presse-Agentur. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann hingegen forderte, den „Befristungsirrsinn“ zu stoppen. „Gerade bei jüngeren Menschen sorgen Befristungen dafür, dass sie elementare Dinge des Lebens nicht planen können, wie etwa eine Familiengründung“, sagte sie der dpa.

Die BDA mahnt zudem nach einem Medienbericht, die rentenpolitischen Vorhaben aus dem Sondierungspapier zu vertagen. Diese würden milliardenschwere Zusatzbelastungen für die Rentenversicherung bedeuten, zitiert die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag) aus einer ihr vorliegenden BDA-Bewertung. Finanziell besonders riskant sei die Zusage, das Rentenniveau bis 2025 auf dem Stand von 48 Prozent zu halten.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, forderte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag) unter anderem eine Senkung der Unternehmenssteuer. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, warnte Union und SPD in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (Freitag) vor den Folgen zu ambitionierter Klima-Beschlüsse.

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