Statistisches Jahrbuch 2017 Reiche Luxemburger, teures Dänemark

Statistiker haben Europa vermessen: Die geringste Jugendarbeitslosigkeit gibt es in Deutschland. Die Dänen bekommen viel Gehalt – doch wegen der Lebenshaltungskosten bleibt wenig davon übrig. Europa unter die Lupe.

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Einen großen Teil ihres Einkommens geben die Europäer laut Statistischem Jahrbuch für Nahrungsmittel und Wohnkosten inklusive Wasser, Strom und Gas aus – rund 36 Prozent des Gehalts sind es im EU-Durchschnitt. Quelle: dpa

Berlin Nirgendwo finden junge Europäer so leicht einen Job wie in Deutschland. Mit einer Jugenderwerbslosenquote von rund 7,1 Prozent liegt die Bundesrepublik auf dem Spitzenplatz in der EU. Das sei der beste deutsche Wert seit Beginn der Neunzigerjahre, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Freitag bei der Präsentation des Statistischen Jahrbuchs 2017 in Berlin mitteilte.

Düster bleibt dagegen das europäische Gesamtbild: EU-weit blieb 2016 für fast jeden fünften 15- bis 24-Jährigen die Jobsuche erfolglos (19 Prozent). Zwar sank der Wert erstmals seit 2010 wieder unter die psychologisch wichtige 20-Prozent-Marke (Vorjahr: 20,3 Prozent). Allerdings, so Destatis-Statistikerin Susana Garcia Diez: „Vor allem im Süden bleibt Jugendarbeitslosigkeit weit verbreitet.“

So hatten beispielsweise in Griechenland rund 47 Prozent der Jüngeren keine Arbeit. Schwierig war die Lage demnach auch in Spanien (44 Prozent) und Italien (38 Prozent). Als erwerbslos gelten Jugendliche, die keine Stelle haben, aber aktiv danach suchen und sofort zur Verfügung stünden. Die Arbeitslosenquote der gesamten EU gibt Destatis für 2015 mit 8,6 Prozent an.

Mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 3045 Euro lagen die Deutschen 2016 laut Destatis im europäischen Vergleich auf Platz acht. Mehr verdienten vor allem die Luxemburger (4206 Euro), die Dänen (4194 Euro) und die Iren (3778 Euro). Jedoch wies Diez darauf hin: „Mit einem Euro lässt sich im bulgarischen Sofia mehr kaufen als in Paris.“ Unter Berücksichtigung der Kaufkraft bleiben Luxemburg, Irland und Dänemark zwar weiterhin Spitzenreiter – aber Deutschland landet nicht mehr auf Platz acht, sondern vier.

Denn die Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik liegen niedriger als etwa in Finnland, das beim nicht bereinigten Bruttomonatsverdienst mit rund 3232 Euro auf dem fünften Platz liegt. In zehn EU-Staaten lag das Preisniveau 2016 über dem deutschen, in 17 darunter. Den Spitzenplatz belegt hier Dänemark, wo die Preise rund 34 Prozent höher liegen als in Deutschland; Schlusslicht ist Bulgarien, mit Preisabschlägen von rund 58 Prozent im Vergleich hierzulande.

„Im sozialen Bereich sind im europäischen Vergleich deutliche Unterschiede erkennbar“, sagte Destatis-Vizepräsident Georg Thiel. Das zeige sich vor allem bei den Bruttomonatslöhnen, wo die Spanne zwischen 431 Euro (Bulgarien) und rund 4206 Euro (Luxemburg) unter den EU-Mitgliedsstaaten augenfällig groß ist.


16 Prozent der Deutschen sind durch Wohnkosten überbelastet

Einen großen Teil ihres Einkommens geben die Europäer laut Statistischem Jahrbuch für Nahrungsmittel und Wohnkosten inklusive Wasser, Strom und Gas aus – rund 36 Prozent des Gehalts sind es im EU-Durchschnitt. Dabei liegt Deutschland mit einem Gehaltsanteil von 11 Prozent für Lebensmittel leicht unter dem EU-Durchschnitt, während der Anteil für Wohnkosten mit 24 Prozent dem Durchschnitt exakt entspricht. Deutlich höher waren die Lebensmittelausgaben im vergangenen Jahr in Rumänien, Litauen und Estland, während Briten, Luxemburger und Iren nur acht bis zehn Prozent ihres Gehalts für Lebensmittel ausgaben.

Allerdings verdeckt der Blick auf die Durchschnittswerte, dass es auch in Deutschland durchaus Bevölkerungsgruppen gibt, die einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für Essen und ein Dach über dem Kopf investieren müssen. So gaben 2016 rund 16 Prozent der deutschen Haushalte mehr als 40 Prozent ihres Gehalts fürs Wohnen aus – ein bedenklicher Wert, der seit Jahren konstant bleibt. Häufiger betrifft das Schicksal der „Überbelastung durch Wohnkosten“, wie das Phänomen im Fachjargon heißt, allerdings Bulgaren (21 Prozent) und mit großem Abstand auch Griechen (41 Prozent).

Destatis-Direktorin Sibylle von Oppeln-Bronikowski erklärte in Berlin: „Bei den Messungen kommt es nicht darauf an, ob Menschen zur Miete oder in den eigenen vier Wänden wohnen.“ Entscheidend sei die monatliche Belastung, die auch durch die Rückzahlung von Immobilien-Krediten entstehen könne.

Im EU-Vergleich zeigt sich: Deutschland ist das Mieterland unter den Mitgliedsstaaten. Mit einem Anteil von 48 Prozent leben hierzulande so viele Menschen in Mietverhältnissen wie in keinem anderen EU-Land, wo der Durchschnitt lediglich 31 Prozent beträgt. Schlusslicht oder, je nach Perspektive, Spitzenreiter ist Rumänien: Dort leben rund vier Prozent der Bevölkerung zur Miete, 96 Prozent in einem Eigenheim. Einen ähnlich hohen Wert wie Deutschland erreichte nur Österreich, wo 44 Prozent der Bevölkerung zur Miete leben.

Anlässlich des Europäischen Statistiktags zog Destatis-Vizepräsident Thiel das Fazit: „Wenn über die Zukunft der EU diskutiert wird, sind solche Vergleichsdaten zu den Lebensbedingungen eine wichtige Grundlage.“ Bei den vielen Krisen, die die EU durchleide – Wirtschaftskrise, Flüchtlinge, Brexit –, komme der „Blick auf das alltägliche Leben der Bürger“ manchmal zu kurz. So könne es sich trotz sonst guter Wirtschaftsdaten jeder fünfte Deutsche nicht leisten, einmal pro Jahr in den Urlaub zu fahren. In Rumänien und Kroatien ist es jeder Zweite.

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