Der PR-Coup der SPD ist geglückt: Mit seinem Ruf nach einem stabilen Rentenniveau bis 2040 hat Finanzminister Olaf Scholz die Partei wieder ins Zentrum der Debatte gerückt. Doch viel mehr als Aufmerksamkeit kann Scholz nicht vorweisen. Die Idee ist ein Leuchtfeuer, das selbst bei arbeitnehmerfreundlichen Ökonomen keine Unterstützung findet.
Der Grund ist einfach: Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist nicht finanzierbar – zumindest nicht unter den aktuellen Parametern.
Statt nun voller Häme in Richtung SPD zu schießen, sollten sich die Deutschen einer ganz anderen Frage stellen: Wie könnte ein zukunftsfähiges Rentensystem in Deutschland aussehen?
Durch den demografischen Wandel kommen immer mehr Rentner auf immer weniger Beitragszahler. Dieser Trend wird um das Jahr 2030 kulminieren, wenn die große Menge der Babyboomer in Rente geht. Um das System zu stabilisieren, gibt es drei große Stellschrauben: das Rentenniveau, die Beitragshöhe und die Lebensarbeitszeit.
Will man, wie jetzt im SPD-Vorschlag, eine der Schrauben festsetzen, müssen die anderen sich bewegen. Konkret hieße das, die Beiträge müssten steigen oder die Menschen länger arbeiten – oder beides. Hinzu kommt die Option, das Rentenniveau über höhere Bundesmittel finanzieren. Auch das würde letztlich über den Umweg der Steuern alle belasten. Was aber wären jeweils die Konsequenzen?
1. Renteneintrittsalter
Status Quo: Kaum ein Experte zweifelt an der Notwendigkeit eines höheren Renteneintrittsalters. Die offene Frage ist nur, wo genau es liegen soll. Während Angela Merkel und Martin Schulz es im Kanzlerduell noch zu einer Frage der Ehre erklärten, dass mit ihnen keine Rente mit 70 zu machen sei, halten viele Ökonomen 70 eher für den unteren Rand des Spektrums. Viele befürworten zudem einen flexiblen Renteneintritt, eine Phase also, zu deren Beginn man mit Abschlägen in Rente gehen kann, in der man aber zu attraktiven Konditionen lange weiterarbeiten kann, wenn man das will.
In Zahlen: Das IW Köln hat 2016 errechnet, welches Renteneintrittsalter nötig wäre, wenn man nur durch es sowohl Rentenniveau als auch Beitragssätze konstant halten wollte. Der Renteneintritt müsste demnach im Jahr 2030 bei 69 Jahren liegen, 2035 bei 71 Jahren und ab 2041 bei 73 Jahren.
Bewertung: Ein höheres Renteneintrittsalter würde erst sukzessive eingeführt und träfe somit vor allem Menschen, die heute noch jung sind – also die heutigen Beitragszahler. Ein weiteres Problem: Schon heute geht jeder Vierte vorzeitig in den Ruhestand. Das Renteneintrittsalter ist damit ein eher theoretischer Wert.
2. Beitragshöhe
Status Quo: Aktuell liegen die Beiträge zur Rentenversicherung bei 18,6 Prozent, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils für die Hälfte aufkommen. Die Große Koalition hat sich nicht nur darauf geeinigt, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken darf. Die sogenannte zweite Haltelinie besagt, dass auch der Beitragssatz im selben Zeitraum nicht über 20 Prozent steigen soll. Sieht man über diesen politischen Willen hinweg, wäre jedoch eine deutliche Erhöhung der Beiträge nötig, um ein stabiles Rentenniveau zu erreichen.
In Zahlen: In einer Prognose von vorigem Dezember rechnet die Deutsche Rentenversicherung vor, dass der Beitragssatz bis 2030 auf 21,6 Prozent steigen müsste, bis 2045 sogar bis auf 23,2 Prozent. Und bei dieser Berechnung gingen die Experten noch nicht einmal von einem stabilen Rentenniveau aus, sondern von einem, das auf 42,2 Prozent im Jahr 2045 sinkt. Andere Experten, die das von Scholz geforderte stabile Rentenniveau von 48 Prozent als Grundlage nahmen, kamen sogar auf einen erforderlichen Rentenbeitrag von 25,6 Prozent.
Bewertung: Ein stabiles Rentensystem alleine über die Beiträge zu finanzieren, würde vor allem die Arbeitnehmer belasten, also die Beitragszahler. Das empfinden viele als ungerecht, weil auf ihnen ohnehin eine größere Last liegt als auf den Generationen vor ihnen. Und das ganz ohne eigenes Zutun, wie Jochen Pimpertz, Rentenexperte beim arbeitgebernahen Wirtschaftsinstitut IW Köln sagt: „Wir als Babyboomer sind mitverantwortlich für die jetzige Situation, weil wir so wenige Kinder bekommen haben.“
3. Rentenniveau
Status Quo: Am einfachsten wäre freilich, das Rentenniveau zu senken, das aktuell bei gut 48 Prozent liegt. Wird an den anderen beiden Stellschrauben, Alter und Beitrag, nicht gedreht, so geschieht das ganz automatisch.
In Zahlen: Würde die Stabilisierung des Rentenniveaus allein über die Beiträge finanziert, so hat die Deutsche Rentenversicherung eine Faustformel parat. Demnach würde eine Veränderung des Niveaus um einen Prozentpunkt einem halben Beitragssatzpunkt entsprechen. Geht man nun von den Berechnungen der Rentenversicherung aus, denen zufolge das Rentenniveau im Jahr 2045 nur mit einem Rentenbeitrag von 23,2 Prozent bei 42,2 Prozent liegen kann, so bedeutet das im Umkehrschluss: Mit dem jetzigen Beitrag von 18,6 Prozent wäre, grob überschlagen, nur ein Rentenniveau von 33 Prozent möglich.
Bewertung: Würde das Rentenniveau drastisch sinken, würden bereits die Babyboomer darunter leiden, noch stärker aber erneut die jüngeren Beitragszahler. Zudem würde die gesetzliche Rente als solche ein Legitimitätsproblem bekommen: Wieso sollten Arbeitnehmer einen großen Teil ihres Gehalts aufgeben, um am Ende in der Regel weniger wieder herauszubekommen?
Es braucht nur zwei Faktoren, um die Rente zu stabilisieren
4. Steuern
Status Quo: Obwohl Steuern nicht zu den offiziellen Stellschrauben des Rentensystem zählen, wird schon heute ein Drittel der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfinanziert. Bislang darf der Steuerzuschuss nur für sogenannte versicherungsfremde Leistungen aufgewandt werden. Die umfassen etwa Witwen- und Witwerrenten, aber auch Frührenten oder Mütterrenten. Um ihren Vorstoß eines stabiles Rentenniveaus zu finanzieren, hat die SPD zuletzt höhere Steuerzuschüsse ins Spiel gebracht.
In Zahlen: Im Jahr 2016 beliefen sich die Bundeszuschüsse laut Hans-Böckler-Stiftung auf insgesamt 64,5 Milliarden Euro. Würde das stabile Rentenniveau nun alleine über Steuern finanziert, müssten nach Angaben der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” die Steuerzuschüsse schon 2030 um 36 Milliarden Euro steigen. Im Jahr 2040 wären 75 Milliarden Euro zusätzlich nötig.
Bewertung: Würde das Rentensystem stärker über Steuern finanziert, würde auch das indirekt wieder die aktiven Arbeitnehmer belasten, die die Steuern zahlen. Damit kämen dieselben Probleme auf wie bei einer Erhöhung der Beitragssätze. Eine Finanzierung über eine Finanztransaktionssteuer, wie sie manche Linke nun ins Spiel bringen, wäre hingegen schwer umzusetzen und trifft zudem schon jetzt auf viel Kritik. So moniert etwa der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest: "Wenn man jetzt ankündigt, die Lasten durch Steuererhöhungen auf Besserverdiener oder Vermögen finanzieren zu wollen, ist das eine Aufforderung an alle, die besonders produktiv sind oder überlegen in Deutschland zu investieren, lieber ins Ausland zu gehen." Das sei "nicht die intelligenteste Art, die Sicherung der Renten anzugehen".
Was geschehen muss
Was könnte also eine Lösung sein? Wie der kurze Überblick gezeigt hat, wäre es eine zu große Belastung, nur eine der Stellschrauben zu betätigen. Zudem gibt es Stellschrauben, die nicht oder nur wenig gedreht werden sollten, um die Legitimität der Rentenversicherung nicht zu untergraben. Das betrifft insbesondere das Rentenniveau, wie Marcel Fratzscher erklärt, Chef des Wirtschaftsinstituts DIW Berlin: „Es ist wünschenswert und notwendig, das Rentenniveau langfristig zu stabilisieren.“ Auch die Beiträge könnten zwar in geringem Umfang steigen, aber nicht so stark, wie es nötig wäre, um eine einigermaßen stabile Rente zu garantieren. Ähnliches gilt für die Steuer. DIW-Chef Fratzscher bilanziert: „Weder eine starke Erhöhung der Beitragssätze, noch ein Absinken des Rentenniveaus, noch ein deutlicher Anstieg der Zuschüsse durch die Steuerzahler sind wirtschaftlich nachhaltige Optionen.“
Bleibt das Renteneintrittsalter, das schrittweise ansteigen muss. Wichtiger noch als es auf dem Papier immer weiter anzuheben, ist jedoch, das in der Realität zu tun. Und das heißt im Umkehrschluss: Menschen müssen Anreize erhalten, länger in Arbeit zu bleiben. Es handelt sich also auch um eine Frage des Arbeitsmarktes. IW-Finanzexperte Pimpertz schlägt etwa vor, gerade Handwerkern schon weit vor der Rente Fortbildungen anzubieten. So könne der vielzitierte Dachdeckermeister zwar noch immer nicht bis 70 auf dem Dach herumkraxeln, aber etwa Kollegen Fortbildungen über Materialkunde geben. Auch Frauen und Einwanderer sollten möglichst stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden werden, fordert DIW-Chef Fratzscher. Das schafft mehr Beitragszahler – und reduziert gleichzeitig das Risiko für Altersarmut, weil die Arbeitnehmer eigene Rentenansprüche sammeln.
Ein weiterer Aspekt, um Menschen länger in Arbeit zu halten, ist, ihnen keine Anreize für den Frühruhestand zu geben. Ökonomen wie Pimpertz oder auch Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn kritisieren die Rente mit 63 seit Jahren, weil sie leistungsfähige Arbeitnehmer frühzeitig vom Arbeitsmarkt fernhält. Stattdessen sollten für jeden Monat Frührente höhere Abschläge anfallen.
IW-Experte Pimpertz sagt, wenn alle Leute tatsächlich bis zum heute offiziellen Renteneintrittsalter arbeiten würden, würde das bereits genügen, um das Rentenniveau konstant zu halten. Und selbst wenn das nur bei der Hälfte gelänge, müsste das Rentenalter nur um wenige Jahre angehoben werden. Beiträge, Steuern und Rentenniveau könnten dabei sogar weitestgehend konstant bleiben.
So hoffnungsfroh das auch klingt, über eines darf es nicht hinwegtäuschen: Auch ein einigermaßen stabiles Rentenniveau wird nicht zum Leben reichen. Egal, wie alt sie sind, die Deutschen werden nicht darum herumkommen, privat vorzusorgen.