Statusfeststellungsverfahren Grüne fordern mehr Sicherheit vor Scheinselbstständigkeit

Selbständig oder nicht? Diese Frage ist oft nur schwer zu beantworten. Die Grünen fordern jetzt Rechtssicherheit für solche Fälle.

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Schon länger wird eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens gefordert. Es sei ineffizient, für Auftraggeber und für Selbstständige. Quelle: dpa

Berlin Wer als Unternehmer Aufträge an Selbstständige erteilt, lebt potenziell gefährlich – und muss mit hohen Nachzahlungen und Bußgeldern rechnen. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der angeblich Selbstständige nach Recht und Gesetz gar keiner ist – und sich der Arbeitgeber ohne sein Wissen strafbar macht. Deswegen fordern die Grünen jetzt Rechtssicherheit für Selbstständige und Unternehmen von der neuen Bundesregierung – und wählen dafür einen umstrittenen Weg.

„Unseres Erachtens nach muss der Gesetzgeber Lösungen anbieten, bei denen eine echte Selbstständigkeit klar festgestellt werden kann, ohne das Anfrageverfahren in der Rentenversicherung bemüht werden müssen“, fordert Markus Kurth, Rentenexperte der Grünen.

Und zwar sollen Selbstständige dann als Selbstständige gelten, „wenn sie Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und Einkommen erzielen, die oberhalb des Einkommens eines vergleichbaren Angestellten liegen“, lautet seine konkrete Forderung.

Mit einer solchen Regelung würden ehrliche Auftraggeber gegenüber solchen belohnt, die allein aus Kostengründen Belegschaften durch Scheinselbstständige ersetzen, so Kurth. Ziel müsse es sein, dass es erst gar nicht zu einem Statusfeststellungsverfahren komme.

Mit einem solchen Verfahren, das bei der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden kann, kann der Arbeitgeber prüfen lassen, ob alle Beschäftigten sozialversicherungspflichtig richtig eingestuft werden. Stellt die Rentenversicherung allerdings eine Scheinselbstständigkeit fest, drohen dem Arbeitgeber hohe Nachzahlungen bei Sozialgaben sowie Bußgelder.

Statusfeststellungsverfahren ist langwierig

Doch das Verfahren erweist sich alles andere als effizient – weder für Auftraggeber noch für Selbstständige. Es ist vor allem sehr zeitaufwendig und sein Ausgang ungewiss. Das belegen aktuelle Daten, die die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen mitgeteilt hat. Bei den freiwilligen Verfahren sind im vergangenen Jahr 40 Prozent der Selbstständigen durch den Prüfrost gefallen. Insgesamt stieg die Zahl der Anfragen auf über 22.000 im vergangenen Jahr.

Fast 6.000 Betroffene legten Widerspruch ein, noch nicht einmal die Hälfte von ihnen hat bis heute ein Urteil bekommen. Ein Problem dabei ist vor allem die lange Dauer der Prüfungen: Sie nahm im vergangenen Jahr 84 Tage in Anspruch – ohne Widerspruchsverfahren und Gerichtsentscheidungen. Diese lange Dauer führt nicht selten dazu, dass ein Werkvertragsverhältnis nicht zu Stande kommt, obwohl beide Seiten es wollen.

Zahlreiche Verbände wie der Bundesverband der Filmeditoren oder die Allianz für selbstständige Wissensarbeit drängen seit Jahren auf eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens. Die von den Grünen geforderte Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung lehnen sie jedoch ab.

Viele Unternehmen versuchen das Problem zu lösen, indem sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihre Werkverträge von der Rentenversicherung prüfen zu lassen. Freelancer werden vor allem in der Film- und Kunstbranche oft nur dann beschäftigt, wenn sie einen entsprechenden Freistellungsbescheid der Rentenversicherung vorlegen können. Auch den Bescheid gibt es nur nach Durchlaufen des Statusfeststellungsverfahrens.

Bewegung kam in das Thema zuletzt durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts im vergangenen Jahr. Es entschied erstmals am Beispiel einer Heilpädagogin, die neben einer Vollzeitbeschäftigung bei einem freien Träger für den Landkreistag als selbstständiger Erziehungsbeistand in der Jugendhilfe arbeitete, dass die Höhe des gezahlten Honorars eine entscheidende Rolle für die Frage spielt, ob es sich um eine echte selbstständige oder abhängige Beschäftigung, also Scheinselbstständigkeit, handelt.

„Liegt das vereinbarte Honorar über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungsrechtlich Beschäftigten und lässt es dadurch Eigenvorsorge zu, ist dies ein gewichtiges Indiz für selbstständige Tätigkeit“, stellten die obersten Sozialrichter fest.

Dieses Urteil hat auch in der Politik zu einem Umdenken geführt. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD nicht nur darauf verständigt, für Selbstständige und Freiberufler, die nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk abgesichert sind, in Zukunft eine Pflicht zur Altersvorsorge einzuführen. Sie wollen auch das Statusfeststellungsverfahren „vereinfachen und widerspruchsfrei ausgestalten“.

Schließlich gehe es bei der Feststellung der Freiberuflichkeit ja gerade um die Feststellung, nicht sozialversicherungspflichtig und insbesondere nicht versicherungspflichtig in der Rentenversicherung zu sein, argumentieren die Richter. So sehen das auch Union und SPD, orientiert man sich an ihrem Koalitionsvertrag.

Denn auch die von ihnen geplante Vorsorgepflicht für alle Erwerbstätigen sieht Beitragszahlungen zur Rentenversicherung nur dann vor, wenn keine andere Form der Vorsorge nachgewiesen werden kann, die ausreichend ist, Abhängigkeit von der Grundsicherung im Alter zu vermeiden.

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