Steigende Energiekosten Treibt Putin den Gaspreis?

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Angst vor Unruhen im Winter

Gelungen ist das der EU-Kommission nicht. Regierungschefs wie Sánchez, aber auch seine Kollegen in Portugal und Griechenland haben Angst vor sozialen Unruhen, wenn die Energiepreise weiter steigen, sozial Schwache sich aber noch nicht von den Folgen der Corona-Krise erholt haben. In Griechenland warnt die Tageszeitung „Kathimerini“ bereits vor einem „heißen Winter“. In Ländern mit geringeren Einkommen treffen steigende Energiepreise Haushalte relativ stärker. Der Ökonom Javier López Prol von der Universität Graz hat Strompreisrechnungen und Haushaltseinkommen in Relation gesetzt und kam zu dem Ergebnis, dass Portugiesen 4,85 Prozent ihres Einkommens für Strom ausgeben, Griechen 4,69 Prozent, Deutsche dagegen nur 3,38 Prozent.

„Wir müssen die Entwicklungen an den Energiemärkten besser erklären“, heißt es aus der EU-Kommission. Den Bürgern solle klargemacht werden, dass es sich bei dem Anstieg um eine vorübergehende Entwicklung handele, die mit der weltweit wachsenden Nachfrage zu tun habe, nicht aber mit der Klimapolitik. Von der Leyen wies am Mittwoch vor dem Gipfel ausdrücklich darauf hin, dass Europa wenig Einfluss auf die Gaspreise ausübt: „Gaspreise sind – und waren es schon immer – zyklisch und entstehen auf den Weltmärkten.“ Ökonomen unterstreichen, dass 2020 der Gaspreis im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gesunken ist - woran sich freilich wenig Verbraucher erinnern.

Zuschüsse beschleunigen Preisanstieg

Von der Leyen und ihre Beamten wissen, wie schwierig es ist, solche Zusammenhänge zu kommunizieren. Vor allem Frankreich, wo im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen, bereitet der EU-Kommission Sorge. Die Gelbwestenproteste, die sich 2018 an einer Energiesteuer entzündeten, zeigten, über welches Erregungspotenzial Energiepreise verfügen.

Kurzfristig kann die EU-Kommission allerdings wenig tun, um die Energierechnungen von Haushalten und Unternehmen zu senken. Steuersenkungen – wie im Werkzeugkasten vorgeschlagen – liegen in der Hand der EU-Mitgliedsstaaten, genauso wie der Energiemix, über den alleine die Mitgliedsstaaten bestimmen. Ökonomen warnen zudem, dass Steuersenkungen letztendlich den Energieerzeugern zugutekommen werden, sollte das Angebot konstant bleiben. „Wenn europäische Regierungen in diesem Winter bezuschussen und das Angebot unelastisch bleibt, dann werden Verbraucher in der EU gegeneinander in Konkurrenz treten, so die Preise in die Höhe treiben und die Anbieter reicher machen“, schreiben die Ökonomen Georg Zachmann und Simone Tagliapietra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel in einer gemeinsamen Analyse.

Um einen harten Winter zu vermeiden, wäre es sinnvoller, an der Nachfrageseite anzusetzen, etwa Verbraucher dafür zu belohnen, dass sie weniger Strom verbrauchen als im Vorjahr. Mit solchen Vorschlägen gewinnen Politiker allerdings keine Sympathien, wie Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, kürzlich erfuhr. Sie wies darauf hin, dass die Kilowattstunde, die man nicht verbrauche, am billigsten sei. Die Bild-Zeitung geißelte den berechtigten Hinweis als „dreisten Spartipp“.

Mittelfristig könnte die EU-Kommission mehr tun, um Energiepreise zu senken, etwa strategische Gasreserven anlegen oder den Gaseinkauf zentralisieren. Dazu sind jedoch Gesetzesinitiativen notwendig, die längere Zeit in Anspruch nehmen und eine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten benötigen. Die Verhandlungen dafür müssten jedoch parallel zu den Verhandlungen zu den zahlreichen Bestandteilen des Klimaschutzpakets „Fit for 55" geführt werden. Von der Leyen hält den Abschied von fossilen Energien mittelfristig für die beste Strategie. Der Übergang zu sauberer Energie sei nicht nur lebenswichtig für den Planeten, sondern auch für Europas Krisenfestigkeit, hatte sie am Mittwoch betont. Und Spanien, heißt es in Brüssel, verantworte einen Teil seiner Misere selbst, weil es keine langfristigen Verträge abgeschlossen habe.

Mehr zum Thema: Dieser Fall zeigt, wie hart der hohe Strompreis die deutsche Industrie trifft

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