
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat nach eigener Aussage erst Mitte Mai 2009 und damit kurz vor dem Ende seiner Amtszeit von umstrittenen Aktiengeschäften mit einem hohen Milliardenschaden für die Staatskassen erfahren. In dem Vermerk sei aber nicht von „Cum-Ex“-Deals die Rede gewesen, sagte Steinbrück am Montag in Berlin vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Es sei auf die Gefahr „erheblicher“ Steuerausfälle verwiesen worden, möglicherweise in Milliardenhöhe. Er habe dann um Stellungnahmen gebeten, sagte Steinbrück. Anschließend habe es Lösungsvorschläge für eine radikale Umstellung bei der Dividendenausschüttung gegeben.
Bei „Cum-Ex“-Aktiengeschäften hatte der Fiskus über Jahre hinweg die nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer gleich mehrfach erstattet. Das Steuerschlupfloch war erst mit Wirkung ab 1. Januar 2012 geschlossen worden. Steinbrück war von November 2005 bis Oktober 2009 Bundesfinanzminister. In diese Zeit fallen die erfolglosen Versuche des Ministeriums, die Deals zu unterbinden.
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten komplizierten Geschäften wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch um den Dividendenstichtag eines Unternehmens rasch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Das führte dazu, dass Steuerbescheinigungen für Kapitalertragsteuern mehrfach ausgestellt wurden, die so aber gar nicht gezahlt wurden.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Nach mehr als zehn Jahren war das Steuerschlupfloch geschlossen worden, doch die Opposition im Bundestag will die Vorgänge in einem Untersuchungsausschuss aufklären. Der Gesamtschaden wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt. Unter Juristen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob es illegale Geschäfte waren.
Zuvor hatten ehemalige Spitzenbeamte des Finanzministeriums bei Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss erklärt, dass das Problem der mehrfach ausgestellten Steuerbescheinigungen zulasten des Fiskus schon früher bekannt gewesen und mit dem Jahressteuergesetz 2007 aufgegriffen worden sei. Damit seien jedoch nur inländische Transaktionen verhindert worden. Das Gesetz wurde auch von Verbänden formuliert.
Nach Aussage Steinbrücks war das Jahressteuergesetz 2007 durchaus ein erster Schritt gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten Banken und Steuerberater wissen müssen, dass es sich um illegale und strafrechtlich relevante Gestaltungen handele. Dass es weitergehende Schritte geben müsse, vor allem für grenzüberschreitende Geschäfte im Ausland, sei klar gewesen.
Hätte er damals schon über die Netzwerke und Skrupellosigkeit der Banken Bescheid gewusst, hätte man sich anders aufgestellt, sagte Steinbrück. Er habe die Hoffnung, dass die Staatsanwaltschaften aktiv sind, um die Täter zu überführen. Steinbrück kritisierte die damals aus seiner Sicht unbefriedigenden Urteile des Bundesfinanzhofes (BFH) zur Frage des Eigentums. Der BFH hätte den Missbrauch durchaus stoppen können.
Nach erneuten Hinweisen versuchte das Bundesfinanzministerium nach Aussage früherer Spitzenbeamter seit 2009 weiter, die komplexen Steuergestaltungen im Zusammenhang mit Leerverkäufen zu stoppen. Es dauerte dann aber mehr als zwei weitere Jahre, bis die „Cum-Ex“-Geschäftsmodelle als unzulänglich bewertete Praxis unterbunden wurde.
Als voraussichtlich letzter Zeuge soll an diesem Donnerstag Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) angehört werden, der seit Ende 2009 im Amt ist. Dabei geht es auch um ähnlich gelagerte Steuergestaltungen unter dem Namen „Cum-Cum“.
Durch diese Geschäfte rund um den Dividendenstichtag, bei denen sich ein nicht anspruchsberechtigter Inhaber einer Aktie durch Dividendenstripping künstlich einen Steuererstattungsanspruch verschaffte, soll der Staat ebenfalls Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren haben. Das Steuerschlupfloch wurde erst im vergangenen Jahr gestopft. Bund und Länder verhandeln aktuell über „Cum-Cum“-Altfälle.