CDU, Linkspartei und Grüne haben verstimmt über den Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel reagiert, Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck in Stellung zu bringen. "Was Herrn Gabriel jetzt reitet, Herrn Steinmeier vorzuschlagen, weiß ich nicht", sagte Grünen-Chefin Simone Peter am Montag in Berlin. Der grüne Co-Vorsitzende Cem Özdemir monierte, Gabriel halte sich nicht an Absprachen zur Findung eines Kandidaten. Linken-Chef Bernd Riexinger bezeichnete Steinmeier in den "Ruhr Nachrichten" gar als "unwählbar". Schließlich sei der Außenminister einer der Architekten der Agenda 2010, die von den Linken grundsätzlich abgelehnt werde.
Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte, es bleibe bei dem zwischen den drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vereinbarten Verfahren. "Ich werde jetzt nicht den Sigmar Gabriel machen und laut anfangen zu denken", sagte er zu dem Steinmeier-Vorschlag nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands. "Dass Herr Gabriel jetzt fast sonntäglich neue Bundespräsidenten vorschlägt, nach Frau Käßmann jetzt Herrn Steinmeier, halte ich für nicht sehr geschickt", hatte auch CDU-Parteivize Armin Laschet kritisiert. Die drei Parteivorsitzenden haben ihr eigentlich für diese Woche geplantes Gespräch auch zur Präsidentennachfolge auf November verschoben.
Gabriel hatte in der "Bild"-Zeitung Steinmeier als neuen Bundespräsidenten vorgeschlagen. Der Bewerber müsse das Land repräsentieren und Antworten auf aktuelle Probleme haben. "Die SPD hat bereits einen Kandidaten, auf den all das zutrifft: Frank-Walter Steinmeier. Doch der findet bei der Union bisher keine Unterstützung", sagte Gabriel. Der SPD-Chef habe damit einen "Parteivorschlag" gemacht, sagte Grünen-Chef Özdemir. "Da muss man sich jetzt mit Gabriel unterhalten, wie das sich verhält zu seiner Ankündigung, dass es ja eigentlich einen Vorschlag geben soll, der zwischen CDU, CSU und SPD abgestimmt und dann auch mit uns abgestimmt wird." Ziel sollte es eigentlich sein, einen Bundespräsidenten-Kandidaten zu nominieren, der auf eine breite Unterstützung im Bundestag zählen könne.
Gaucks Wegmarken
Diese Rede schlug Wellen: Im Januar 2014 forderte Gauck in einer Ansprache vor der Münchner Sicherheitskonferenz über „Deutschlands Rolle in der Welt“ mehr Mut zu einer aktiven deutschen Außenpolitik - eventuelle Militäreinsätze eingeschlossen. Deutschland könne sich nicht um seine Verantwortung drücken, wenn es um die Verteidigung von Menschenrechten und die Beilegung von Konflikten gehe. Gauck tat mit der Rede das, was ein Bundespräsident idealerweise tut: Er trat eine Debatte los. Sie brachte ihm Anerkennung, aber auch den Vorwurf der Kriegstreiberei ein.
Aufmerksamkeit war Gauck immer dann gewiss, wenn er sich von Kanzlerin Merkel distanzierte. So sagte er im Mai 2012: Merkels Aussage, dass Israels Sicherheit für Deutschland Staatsräson sei, könne sie noch "in enorme Schwierigkeiten" bringen. Kurz darauf beklagte Gauck, die Politik mache den Bürgern das Vorgehen in der Euro-Schuldenkrise nicht ausreichend verständlich: Merkel habe die "Verpflichtung", mehr zu erklären. Wie schnell aus solchen Worten Schlagzeilen werden, erstaunte Gauck selbst. Mit öffentlicher Kritik an Merkel hielt er sich fortan zurück.
Als mutmaßlich letztem Vertreter der Kriegsgeneration im Präsidentenamt war sie Gauck ein Herzensanliegen: die Aussöhnung mit Europäern, die unter der deutschen Besatzung zu leiden hatten. Gauck besuchte Orte, die im Weltkrieg von Deutschen gezielt zerstört worden waren: Lidice in Tschechien, Oradour in Frankreich, Lyngiades in Griechenland, Sant'Anna di Stazzema in Italien. Treffen mit Zeitzeugen endeten mit Umarmungen, Tränen, tiefer Rührung. Mit solchen Begegnungen verlieh Gauck dem Amt auch jenseits der großen Schlagzeilen eine eigene Prägung.
In der Flüchtlingskrise bezog Gauck eine Sowohl-als-auch-Position. Er brachte sie auf den Nenner: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Die Aufnahmekapazität sei bei allem guten Willen begrenzt, „auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen“. Kritiker hätten sich ein beherzteres Eintreten für Flüchtlinge gewünscht. Gauck verwies auf seine Sorge vor einer gesellschaftlichen Spaltung und einem Erstarken rechter Kräfte. Auch dafür fand Gauck einen Begriff, der aufhorchen ließ: Er sprach von einem „Dunkeldeutschland“, in dem Fremde angefeindet würden. Bei einem Besuch im sächsischen Bautzen wurde er dann ausgebuht und als „Volksverräter“ beschimpft.
Als leidenschaftlicher Demokrat nutzte Gauck sein Amt zur Warnung vor autoritärer Machtausübung. In der Türkei kritisierte er 2014 das Demokratiedefizit - und zog sich eine verärgerte Replik von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu: „Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor.“ Auch die Ambitionen von Kreml-Chef Wladimir Putin machten Gauck Sorgen: Aufhorchen ließ er 2014 in Danzig mit einer Warnung vor russischer Aggression. Eine Einladung zu den Olympischen Spielen in Sotschi schlug er aus. Auch gegenüber seinen eigenen Landsleuten in Deutschland trat Gauck gerne als „Demokratielehrer“ auf.
Einen eigenen geschichtspolitischen Akzent setzte Gauck im Umgang mit den Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich. Aus Rücksicht auf türkische Befindlichkeiten vermied die Bundesregierung traditionell die Bezeichnung „Völkermord“. Gauck wich 2015 in seiner Rede zum 100. Jahrestag der Ereignisse von dieser Linie ab und sprach deutlich vom „Völkermord an Armeniern“ – wie danach dann auch der Bundestag. Die Türkei reagierte verärgert: Sie werde dem Bundespräsidenten die Rede „nicht vergessen und nicht verzeihen“, erklärte das Außenministerium in Ankara.
Staatsbesuche zählen zum Kerngeschäft des Bundespräsidenten. Einen heiklen Besuch absolvierte Gauck im März 2014 in Griechenland, wo er auf Vorbehalte wegen Deutschlands strengem Auftreten in der Schuldenkrise und wegen der griechischen Forderungen nach Kriegsreparationen stieß. Gauck machte Mut zu Reformen, äußerte Unbehagen über den Umgang mit der deutschen Kriegsschuld – lehnte Reparationen aber ab. Er wolle „Möglichkeiten von Wiedergutmachung“ sondieren, sagte er. Ergebnisse liegen bislang aber noch nicht vor.
Steinmeier selbst reagierte am Sonntagabend in der ARD ausweichend auf die Frage, ob er für das höchste Staatsamt zur Verfügung stehe: "Ich werde mich mit aller Kraft auf die Krisen und Konflikte dieser Welt und den deutschen Beitrag konzentrieren, der zur Lösung etwas beitragen kann. Das ist das, was mich beschäftigt - anderes nicht."
Die CDU hat sich für einen gemeinsamen Kandidaten von Union und SPD ausgesprochen, lehnt aber einen parteigebundenen Bewerber ab. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wehrte sich am Wochenende gegen Steinmeier als Kandidat: "Er soll lieber seinen Job als Außenminister besser machen", sagte Scheuer der "Bild am Sonntag".