Stephan Kohler im Interview "Strom wird knapper"

Der Chef der Deutschen Energie-Agentur, Stephan Kohler, sagt eine wachsende Stromlücke voraus – und fordert längere Laufzeiten für Atommeiler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena) Quelle: Deutsche Energie-Agentur (dena)

WirtschaftsWoche: Herr Kohler, Sie warnen in einer Studie vor der drohenden Stromlücke in Deutschland. Umweltminister Sigmar Gabriel, der in Ihrem Aufsichtsrat sitzt, redet dagegen den Kapazitätsengpass klein. Unterschätzt Gabriel die Gefahr?

Kohler: Unsere Berechnungen zeigen klar: Trotz der massiven Nutzung von regenerativen Energien und der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen steht ab 2012 nicht mehr genügend gesicherte Kraftwerksleistung zur Verfügung, um die Jahreshöchstlast effizient zu decken. Bis 2020 steigt die Differenz auf rund 12.000 Megawatt. Das sind umgerechnet 15 Großkraftwerke.

Ihre Studie stammt aus dem Frühjahr. Inzwischen aber sollen auch bislang geplante Kohlekraftwerke nicht mehr gebaut werden.

Nach neuen Berechnungen wird die Stromlücke noch größer, wenn die geplanten Kraftwerke in Hamburg-Moorburg, Mainz-Wiesbaden und der neue Block im hessischen Werk Staudinger nicht gebaut werden können. Dann fehlen künftig 15.000 Megawatt – und die lassen sich nicht einfach durch den weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien ersetzen.

Was ist dann die Alternative?

Wir müssen uns entscheiden: Entweder wir bauen hocheffiziente Kohle- und Erdgaskraftwerke. Oder wir müssen die Atommeiler länger laufen lassen. Stromimporte aus dem Ausland – noch dazu meistens mit Atomstrom – sind keine Alternative. Die vorhandenen und geplanten europäischen Kraftwerke reichen schon ab 2015 nicht mehr aus, um eine verstärkte Nachfrage aus Deutschland zu decken.

Was bedeutet das für den Strompreis?

Wenn anstelle neuer Anlagen die alten ineffizienten Kohlekraftwerke weiterlaufen, entstehen mehr Emissionen – und das treibt die Kosten für die CO2-Zertifikate in die Höhe. Über diese Zertifikate werden die Stromerzeuger für schmutzigere Kraftwerke bestraft. Das führt – zusätzlich zum knappen Stromangebot – zu steigenden Verbraucherpreisen. Das müssen wir verhindern, sonst wird der Saft aus der Steckdose zum Luxusgut.

Der Umweltminister will deshalb Sozialtarife für Bedürftige einführen. Zu Recht?

Das ist nun wirklich Unfug – weil es das Energiesparen infrage stellt. Günstiger Strom setzt die falschen Anreize, dadurch wird eher noch mehr verbraucht. Sinnvoll sind energieeffiziente Elektrogeräte. Wir müssen auch einen Hartz-IV-Empfänger in die Lage versetzen, einen Kühlschrank der Güteklasse A++ zu kaufen. Dadurch kann ein Haushalt etwa 80 Euro Stromkosten im Jahr sparen. Dann hat sich der Kühlschrank innerhalb von sechs Jahren alleine durch die eingesparten Stromkosten finanziert.

Aber nicht jeder kann sich einen solchen High-Tech-Kühlschrank leisten.

Deshalb müssen wir diese Investitionen fördern. Etwa durch Minikredite...

...einen Kühlschrank-Kredit?

Ja, warum nicht. Oder etwa Effizienzprogramme. Einige Stromkonzerne wie Nuon locken Kunden bereits mit energiesparenden Geräten. Wenn Sie heute bei Vodafone einen Mobilfunkvertrag unterzeichnen, bekommen Sie auch ein Handy geschenkt. Warum sollte das nicht mit effizienten Kühlschränken funktionieren? Das ist Unternehmergeist, da ist Fantasie im Markt, da müssen wir hin. Wenn der Staat sich hier einschaltet, wird es meistens teuer und kompliziert.

Umweltschützer werfen Ihnen vor, Lobbyist für die Interessen der Stromkonzerne zu sein.

Das ist doch Quatsch. Die selbst ernannten Weltverbesserer müssen endlich begreifen, dass der Strom nicht einfach so aus der Steckdose kommt. Wir können nicht aus der Atomenergie aussteigen und gleichzeitig den Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken verbieten. Irgendwoher muss der Strom schließlich kommen. Ich bin überhaupt nicht gegen erneuerbare Energien, ganz im Gegenteil. Aber es ist Augenwischerei zu glauben, dass sie das Allheilmittel sind. Sonne und Wind sind nun einmal von Natur aus schwankende Energiequellen. Auch ist es technisch und wirtschaftlich heute nicht möglich, Energie in großen Mengen zu speichern. Wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, brauchen wir ein konventionelles Backup.

Wirtschaftsminister Michael Glos sieht das genauso. Hat er als Gesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzender der dena das letzte Wort?

Glos kann nur im Einvernehmen mit den anderen drei Gesellschaftern agieren – das sind der Umwelt-, der Verkehrs- und der Landwirtschaftsminister. Wir haben unsere Gesellschafterstruktur gerade um privates Kapital erweitert, neben der KfW sitzen inzwischen Allianz, Deutsche Bank und DZ Bank am Tisch. Stromkonzerne sind nicht dabei. Der Vorwurf, als deren Sprachrohr aufzutreten, ist also völlig unbegründet. Wir sind neutral.

Was sagen Ihre SPD-Freunde zu längeren Laufzeiten von Atommeilern? Stimmen sie Ihnen zu – wenn auch hinter vorgehaltener Hand?

Die SPD ist da gespalten. Zwar leuchtet den Sozialdemokraten ein, dass ein Komplettausstieg aus allen fossilen Energiequellen nicht möglich ist. Aber das Thema ist parteipolitisch zu heikel, da möchte keiner dran rütteln. Die Ersten, die den Atomausstieg aus Klimaschutzgründen infrage stellen, sind eher die Grünen.

Ausgerechnet die Grünen? Der Atomausstieg ist als Gründungsmythos der Partei doch unantastbar!

Gründungsmythos war der Sofortausstieg. Jürgen Trittin hat schließlich erreicht, dass diese Radikalposition aus dem Parteiprogramm gestrichen wurde. Auch der rot-grüne sowie der aktuelle Koalitionsvertrag mit dem stufenweisen Ausstieg bis 2021 sind davon weit entfernt. Heute wären einige Grüne mit Blick auf die europäischen Emissionsziele sicher bereit, über eine Laufzeitverlängerung nachzudenken. Ein möglicher neuer Konsens könnte so aussehen: Ein paar alte Meiler gehen früher vom Netz, dafür laufen moderne Kraftwerke länger – selbst wenn die Gesamtlaufzeit sich damit um ein paar Jahre verlängert.

Ist Atomkraft die beste Antwort auf den Klimawandel?

Nein, davon kann keine Rede sein. Der Internationalen Energie Agentur zufolge müssten weltweit 1400 Reaktoren gebaut werden, um nur einen Teil des zusätzlichen Strombedarfs abdecken zu können. Dadurch handeln wir uns aber massive Probleme ein, da die Reaktoren auch in politisch instabilen Ländern gebaut werden müssten. Neben dem vorhandenen Restrisiko eines Atomunfalls oder der Frage der bisher ungelösten Endlagerung für Atommüll würde die Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen massiv zunehmen. Mit der Ausweitung der Nukleartechnik vermehren sich auch die Angriffsziele und Optionen für Terroristen. Eine ideologisch geführte Debatte – sowohl kontra als auch uneingeschränkt pro Atomenergie – ist gefährlich.

Die Energiepreise steigen ständig. Hilft dagegen die von der Europäischen Union geforderte Trennung der Stromerzeuger von ihren Netzen?

Ich glaube nicht, dass die Trennung von Netz und Betreiber zu mehr Wettbewerb und damit zu sinkenden Preisen führt. Die Zugangs- und Nutzungsverordnung regeln den Netzbetrieb. Meines Wissens hat sich bisher auch noch kein Kraftwerksbetreiber beschwert, dass ihm der Zugang erschwert wird. Dagegen hätte eine bundeseigene Deutsche Netz AG, an der die vier großen Stromerzeuger beteiligt sind, sicher gewisse Synergieeffekte. Ob diese aber so groß sind, dass sie für den Kunden spürbar werden, bezweifle ich.

E.On und nun auch Vattenfall wollen ihre Netze verkaufen. Damit reagieren sie auf den Druck aus Brüssel – und durchkreuzen den Plan der Bundesregierung, die Enteignung zu verhindern. Wer wird die Netze kaufen?

Unsere Nachbarn schauen begierig auf das deutsche Stromnetz. Das liegt an unserer zentralen Lage: Wenn die Franzosen Strom nach Polen liefern wollen, müssen sie den durch unsere Netze leiten. Aber es wäre natürlich unsinnig, wenn E.On seine Netze an die französische EdF verkauft. Möglich wäre eine Holding, an der die KfW Bankengruppe und die vier großen Stromerzeuger Anteile halten. Beim Netzverkauf von E.On und Vattenfall ist längst nicht das letzte Wort gesprochen, da sind noch viele Optionen offen. RWE-Chef Jürgen Großmann hat ja bereits anklingen lassen, er könne sich vorstellen, der Netz-Koordinator zu sein.

Der Netzausbau kommt kaum voran, Umwelt- und Wirtschaftsminister streiten derzeit, wie die Leitungen verlegt werden sollen – über oder unter der Erde. Was ist sinnvoll?

Da streite auch ich kräftig mit. Wir haben in der dena-Netzstudie festgestellt, dass 850 Kilometer Leitungskapazität fehlen, unter anderem von Bremen in den Raum Kassel. Es ist nun Aufgabe der einzelnen Unternehmen, Leitungen so schnell und günstig wie möglich zu bauen. Der Staat sollte sich darauf beschränken, den Bedarf festzu-stellen – und sollte nicht auch noch die Technik vorschreiben. Wenn die Wanderer am Rennsteig im Thüringer Wald sich gegen Freileitungen wehren, dann könnte Vattenfall dort im Zweifelsfall eine andere Variante wie Erdkabel wählen – und müsste diese höheren Investitionen von der Bundesnetzagentur dann auch bewilligt bekommen.

Die Energiewirtschaft braucht dringend ein Sprachrohr, der Spitzenverband BDEW hat sich nun auf Hildegard Müller, Staatsministerin im Kanzleramt, geeinigt. Eine gute Wahl?

Den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu führen ist bestimmt keine leichte Aufgabe. Die lange Suche nach einem Hauptgeschäftsführer spricht Bände. Ich wünsche Frau Müller eine glückliche Hand – denn die wird sie in diesem Verband dringend brauchen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%