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Stephans Spitzen

Bedenke die Folgen!

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Wer glaubt, der Staat handele stets mit Weitblick, irrt. Die Energiewende ist das beste Beispiel für politische Willkür. Hickhack um Stromtrassen und Schadenersatz für Stilllegungen sind eine verheerende Botschaft.

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Windräder vor einem Wolkenhimmel Quelle: dpa

Viele hierzulande halten den Staat noch immer für einen politischen und ökonomischen Akteur mit Weitblick, der Allgemeinheit verpflichtet, gehalten, mit dem Vermögen der Bürger pfleglich umzugehen. Ganz anders als die Teilnehmer am Markt, denen es lediglich um Gewinnmaximierung gehe. Wer sich jemals näher angeschaut hat, wie politische Entscheidungen zustandekommen, lacht über solchen Kinderglauben.

Selten steht ein großer Plan dahinter, oft geht es um durchaus partikulare Interessen, wobei das nicht immer die Interessen starker Lobbies sind. Häufig dürfte eine gerade anstehende Wahl den Ausschlag geben, und das muss keineswegs eine Bundestagswahl sein. Besonders folgenreich war der Versuch der CDU, im März 2011 die bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg zu gewinnen. Die hat sie zwar verloren, aber vorher hat sie uns mit der sogenannten Energiewende einen Kuckuck ins Nest gesetzt, der seine Konkurrenten meuchelt und dabei immer fetter wird.

Oder ist das ungerecht? War es vielleicht doch eine rational begründbare Reaktion auf die Havarie des Atomkraftwerks Fukushima in Japan am 11. März, die kurz zuvor beschlossene Verlängerung der Laufzeit der deutschen Atomreaktoren zu kippen und den Ausstieg einzuleiten?

Die Atomklagen der Energiekonzerne

Ein Untersuchungsausschuss in Hessen über die Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis nährt die Zweifel daran. Hier soll geklärt werden, wer die Abschaltung von Biblis und den Schnellausstieg aus der Atomkraft zu verantworten hat, die Länder oder der Bund, und wer bei einer Schadenersatzklage haftbar ist. Das erweist sich als schwierig, offenbar herrschte in den Märztagen 2011 das reine Chaos.

Was Wunder, denn es gab zwar eine öffentliche Stimmung, aber keinen dringenden Handlungsbedarf – in Biblis fehlten alle Ingredienzien, die zur Havarie von Fukushima führten: Weder Erdbeben- noch Hochwassergefahr konnten festgestellt werden. Das größere Risiko war offenbar, dass sich der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte.

Eine schlechte Botschaft

Für das Land Hessen ist es von einiger finanzieller Bedeutung, wer dafür die Verantwortung zu übernehmen hat. Von allgemeinem Interesse aber ist der Schluss, dass die Stilllegung von Biblis keinerlei Grund hatte außer einem: Sie war politisch gewollt.

Nichts Neues, könnte man meinen, auch der Einstieg in die Atomkraft war ja politisch gewollt, ebenso der Einstieg bei Windkraft und Solarenergie, beides politische Entscheidungen ohne jede Rücksicht auf die regulatorischen Qualitäten des freien Markts. Atomwirtschaft wie „erneuerbare“ Energie sind hochsubventioniert am Markt vorbei implementiert worden. Heißt das, dass man diese Entscheidungen ebenso leichthändig wieder zurücknehmen kann?

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen? Das wäre eine schlechte Botschaft. Die Bereitschaft zu Investitionen setzt Vertragstreue voraus; wenn der Verdacht politischer Willkür entsteht, nimmt die Bereitschaft dazu ab.

Schaden entsteht auch andernorts: Die Konkurrenz durch politisch Gewünschtes und staatlich Gefördertes hat schon manche Investition Makulatur werden lassen. Soeben trifft es ein hochmodernes Gaskraftwerk in Bayern. Da der Ökostrom stets Vorfahrt hat, rentieren sich auch sichere und sparsame Kraftwerke nicht, obwohl sie für die Sicherstellung der Grundlast nötig sind.

Folgen zu wenig bedacht

„Bedenke die Folgen“? Das scheint bei politischen Entscheidungen unüblich geworden zu sein. Weder war im Falle der Atomenergie hinreichend geklärt, was mit dem radioaktiven Abfall geschieht, noch hat man bei der Förderung der Windkraft an Speichermöglichkeiten oder Stromtrassen gedacht, mit denen der sprunghaft und unregelmäßig anfallende Strom dorthin gebracht werden kann, wo er gebraucht wird.

Derweil wächst der Bürgerzorn und wird zu Protest. Schon jetzt verzögert sich der Stromtrassenbau. An manchen Standorten, etwa im Pfälzer Wald, haben die Bewohner die Verspargelung der Landschaft verhindert. Und Natur- wie Tierschützer stellen fest, dass Riesenwindmühlen weder das Klima schützen noch die Natur bewahren – oder gar dem Überleben von Vögeln und Fledermäusen zuträglich sind.

Wer die deutschen Kulturlandschaften liebt, leidet unter zugestellten Tiefebenen und zahnstocherbewehrten Mittelgebirgen, nicht nur tags, sondern vor allem nachts, wenn strahlende Weihnachtsbäume den Nachthimmel erhellen.

Schlimmer trifft es die Bewohner in nächster Nähe der Giganten. Seit neuestem fürchtet man sich dort vor Infraschall – ein Grund, warum Windkraftanlagen in Dänemark kaum noch errichtet werden. Das mag man hysterischer Technikangst zuschreiben und nicht weiter ernstnehmen – aber war die Angst vor einer Havarie im fernen Japan etwa rationaler? Offenbar haben wir es mit einem weiteren Kapitel in jener langen Geschichte politischer Hybris zu tun, in der die Folgen von Entscheidungen zugunsten von Gegenwartsbefindlichkeiten ausgeblendet werden.

Bei ihrem Besuch in Japan empfahl die Kanzlerin den Japanern den Ausstieg aus der Atomenergie. Doch dort wird man wenig geneigt sein, die Schönheit der Landschaft der japanischen Inseln zugunsten einer unausgereiften Technologie zu zerstören, die man auch hierzulande wieder verabschieden wird, da sie nicht hält, was sie verspricht.

Wer, wenn es soweit ist, den Rückbau der Anlagen bezahlt und für den Schaden an Landschaft und Natur aufkommt? Das wird dann wohl wieder ein Untersuchungsausschuss klären müssen.

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