Stephans Spitzen

Demographie taugt nicht für alarmistische Schlagzeilen

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Die Alterung der deutschen Gesellschaft ist nicht unbedingt die Katastrophe, die viele herbeischreiben. Es käme darauf an, vernünftige Schlüsse aus ihr zu ziehen, nicht nur einwanderungspolitische.

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Die Deutschen werden älter. Aber ist das ein Problem? Quelle: dpa

Die Demographie ist eine seriöse Wissenschaft. Seit Jahrzehnten weisen ihre Vertreter darauf hin, dass die seit vierzig Jahren niedrige Geburtenrate in Deutschland nicht ausreicht, um den Bevölkerungsbestand zu erhalten. Seit ebenso vielen Jahrzehnten führen solche Erkenntnisse zu eher unseriösen Schlagzeilen wie „Hilfe, wir vergreisen“ oder „Die Deutschen sterben aus“, ganz zu schweigen von Betroffenheitsszenarien aus dem Themenkreis Rentenkrise, Fachkräftemangel und Pflegenotstand.

Ähnlich ernst zu nehmen die Ratschläge zur Abhilfe. Manch einer will die deutschen Frauen zu mehr Gebärfreude nötigen, vom Abtreibungsverbot über Gebärprämien bis zu Strafsteuern für Kinderlose, doch bislang haben weder Drohgebärden noch Lockspeisen gefruchtet. Bliebe also nur eines, behaupten die Kämpfer gegen den Bevölkerungsrückgang: Einwanderung. „Wir kriegen Menschen geschenkt“, frohlockt manch einer im Sinne von Kathrin Göring-Eckardt, die alles jung, bunt und lustig machen, prima Fachkräfte, Pflegepersonal für alte Biodeutsche, wackere Einzahler in die Rentenkasse, Gebärwillige sonder Zahl, die unsere verödeten Landstriche wiederbeleben.

Das Rentenproblem ist ein politisches, kein demographisches

Die Vorstellung ist längst entzaubert, die Zugewanderten jüngsten Datums wären gutausgebildete Fachkräfte oder hätten nichts anderes im Sinn, als in deutschen Altersheimen auszuhelfen. Vor allem aber muss man sich fragen, ob es das Problem überhaupt gibt, für das sie die Abhilfe sein sollen.

Es geht um die Schlussfolgerung aus den demographischen Fakten, um die Grundannahme also, dass der Bevölkerungsrückgang zwar womöglich in anderen Zonen der Welt begrüßenswert sei, in Deutschland aber, einem der dichtest besiedelten Länder, nachgerade katastrophale Folgen hätte.

Der Schlager dieser Debatte ist - auch das schon seit Jahrzehnten - die Rente. Weniger Junge müssen mehr Alte durchfüttern, heißt es da gern. Mal abgesehen davon, dass die laufenden Renten von allen Erwerbstätigen gezahlt werden, also auch von den über 50jährigen, ist diese empörungsträchtige Aussage auch ansonsten irreführend. Die Rentenformel aus Adenauers Zeiten beschreibt kein Verhältnis zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Erwerbstätigen und Rentenbeziehern. Sie geht auf eine politische Entscheidung zurück, die, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr zutreffen, auch politisch korrigiert werden muss. Die Verlängerung des Renteneintrittsalters angesichts längerer Lebenszeit bei meist guter Gesundheit war ein Schritt in die richtige Richtung.

Zahl der Erwerbstätigen geht nicht zurück

Vor allem aber geht die Zahl der Erwerbstätigen gar nicht zurück, sie liegt in Deutschland derzeit sogar auf Rekordniveau, worauf der Soziologe Hannes Weber hinweist („Demographie als Problem – und als Lösung“, in: FAZ, 10. Oktober 2016). Nicht nur die verstärkte Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren trägt dazu bei, sondern auch die Tatsache, dass weniger Kinder weniger Zeit und Ressourcen beanspruchen.

Auch in anderen Bereichen geht die Zahl der Erwerbstätigen nicht deshalb zurück, weil es nicht genug Nachwuchs gäbe, es sind technischer Fortschritt und Automatisierung, die unqualifizierte Arbeitskräfte freisetzen. Schon deshalb macht die Einwanderung unausgebildeter Menschen wenig Sinn.

Die Jungen wollen wieder aufs Land

Hannes Weber weist nebenbei darauf hin, dass ein Fachkräftemangel zunächst einmal die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärkt. Er sei im Übrigen selbstverschuldet, denn er liege auch daran, dass „der Staat die jungen Menschen am Markt vorbei ausbildet“, indem er sie an den Universitäten in Studiengänge lockt, für die es keine Stellen gibt. Kein geringer Faktor übrigens bei der „Verödung“ des ländlichen Raums, denn Studienplätze gibt es nur in den Städten, Arbeitsplätze aber, zumal in Deutschland, bei den „hidden champions“ in der Provinz.

Das Land verödet? Die Trendumkehr ist längst im Gange. Bei vielen Deutschen gewinnt die Provinz wieder an Attraktivität, während die Zuwanderer in den Städten die Nähe zu ihresgleichen suchen. Ein „Aleppo in Mecklenburg-Vorpommern“ ist nichts, mit dem man sie locken könnte.

Dass die deutsche Gesellschaft im Schnitt älter wird, ist in vieler Hinsicht eher eine gute Botschaft: die Lebenserwartung bei geistiger und seelischer Gesundheit nimmt stetig weiter zu. Und: eine ältere Gesellschaft ist friedlicher. Zum Kriegführen braucht es eine Vielzahl junger Männer, die nichts zu verlieren haben. Wer indes nur wenige Söhne hat, wird weder sie noch die Töchter auf dem Schlachtfeld opfern wollen. Ungünstig ist das nur im Vergleich mit anderen Gesellschaften, die jede Menge Kanonenfutter zur Verfügung haben. Ist das vielleicht wünschenswert?

Die Demographie taugt nicht zu schnellen Schlüssen und alarmierenden Schlagzeilen. Ob die Deutschen „aussterben“, hängt von anderen Faktoren ab, nicht zuletzt von einer Politik, die mit einer Fehlinterpretation demographischer Daten ungeregelte und unbedachte Einwanderung begründet.

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