
Man sah Ulrich Wickert am Sonntag bei „Günter Jauch“ an, wie sehr ihm das gefiel: dass die Franzosen sich nach den Morden an Journalisten und Juden durch islaminspirierte Terroristen als ein Volk fühlen; dass sie zu ihren Werten stehen; und dass sie die Marseillaise singen.
Ein ziemlich martialisches Lied übrigens, in dem aufgefordert wird, Ströme von unreinem Blut zu vergießen. Blut ausländischer Horden, die über französische Heime gebieten und Söhnen und Gattinnen die Kehle durchschneiden wollen. Gegen die Marseillaise ist „Deutschland über alles“ ein Wiegenlied.
Wir Deutschen sind da anders. Dass man sich hierzulande als ein Volk sieht, das im Bewusstsein seiner Werte gemeinsam gegen Terror steht, kann uns gewiss niemand nachsagen. Im Gegenteil: Wir sind uns selbst am meisten verdächtig.
Insbesondere Politiker fühlen sich verpflichtet, die Dummdeutschen zur Ordnung und zum Selbstverständlichen aufzurufen: nämlich nicht alle Muslime unter „Generalverdacht“ zu stellen. Hierzulande gilt nicht die Meinungsfreiheit als bedroht. Man nimmt auch nur nebenbei zur Kenntnis, dass einer der französischen Terroristen Menschen ermordet hat, weil sie Juden sind. Nein: Hier gilt es, Muslime vor einer imaginierten Gefahr zu schützen.





Gefahr droht ihnen, gewiss, jedoch nicht von einem Häuflein Demonstranten, das in Dresden vor einer schleichenden Islamisierung warnt. Die meisten Opfer islamistischer Terroristen weltweit sind Muslime. Käme es da nicht darauf an, hierzulande Werte hochzuhalten, deretwegen viele Muslime in dieses Land gekommen sind: Freiheit, Individualität, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung? Sollte man nicht meinen, dass ein Beschwichtigen des militanten Islamismus Verrat ist an all jenen, die der Freiheit wegen in dieses Land gekommen sind?
Deutsche unter Generalverdacht?
Doch in Deutschland steht der Feind nicht nur felsenfest rechts, er ist vor allem deutsch. Das haben wir so gelernt und das verlernen wir so schnell nicht wieder, und wenn das Muster nicht gleich ins Auge fällt, kann man mit ein bisschen Interpretation nachhelfen.
Sensible Beobachter erkennen Nazis auch da, wo sie weder Glatzen tragen noch Springerstiefel oder Hakenkreuztatoos. Das sind dann eben „Nazis in Nadelstreifen“ oder - ein Hochamt der Einfühlung - „Latenznazis“, wie sie Sascha Lobo bei Pegida entdeckt hat, „also Leute, die rechtsextreme Positionen vertreten, ohne zu wissen oder wissen zu wollen, dass sie rechtsextrem sind.“ Deutsche unter Generalverdacht?
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
Das soll mal einer über Muslime sagen. Das wäre dann wohl „Islamrassismus“, eine besonders interessante Vokabel, die neuerdings die Runde macht. Demzufolge wäre der Islam keine Religion, der man anhängen kann oder nicht, sondern die unveränderliche Eigenschaft einer Person, er ist den Muslimen sozusagen genetisch eingeschrieben.
Das entspricht der Auffassung muslimischer Rechtsgelehrter, demzufolge der Islam nichts ist, aus dem man austreten kann – Apostaten haben der reinen Lehre zufolge ihr Leben verwirkt. Den Ideologen des Islam aber gelingt es damit zugleich, Religionskritik zum Angriff auf ihre Anhänger umzudeuten. Und schon ist die Lage wieder klar und das Muster deutlich: wer den Islam kritisiert, ist Rassist. Also Nazi. Und Muslime sind noch im Nachhinein Opfer Hitlers.