Reden wir mal nicht über den gewalttätigen Islam. Sondern vom Islam als süßester Verführung seit der Erfindung von Religion.
Michel Houellebecq, der wohl merk- und denkwürdigste unter den französischen Intellektuellen, zeichnet in seinem neuen Buch „Unterwerfung“ die Blaupause, nach der es dem Islam gelingen könnte, Westeuropa im wahrsten Sinne des Wortes zu überwältigen: indem ein kluger Muslim den Westen an seinen schwächsten Gliedern packt.
Diese sind einerseits die entwurzelten, abgeklärten Metropolenbewohner, denen alles egal ist - sogar der Sex. Und andererseits die politische Elite, die den wachsenden und mittlerweile „bodenlosen Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen – also Politikern und Journalisten“ übersehen hat.
In dem Roman schreiben wir das Jahr 2022. In Frankreich gibt es zwei starke Parteien: den Front National unter Marine Le Pen und die Partei der Muslimbruderschaft unter dem charismatischen Mohammed Ben Abbes. Weil Linke und Bürgerliche einen Sieg der Rechten um Marine Le Pen verhindern wollen, ebnen sie der Partei des Islam den Weg.
Der Protagonist des Romans, ein missmutiger, vom Leben und dem Sex enttäuschter Literaturprofessor namens François, der sich mit zunehmendem Alter Nietzsche annähert, - „was zweifellos unvermeidlich ist, wenn man untenrum Probleme hat“ – ist der zunächst stille Beobachter einer allmählichen Veränderung der französischen Gesellschaft.
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
"Werte des Patriarchats"
Der Roman zeichnet seine schrittweise Konversion zur wahren Lehre nach, denn die intellektuellen Weggefährten und Wegbereiter der neuen Regierung unter Ben Abbes haben überzeugende Argumente. Etwa jenes, dass Menschen, die an den „Werten des Patriarchats“ festhalten, mehr Kinder bekommen – und wer die Kinder hat, kontrolliert die Zukunft.
Der liberale Individualismus habe sich verabschiedet, „als er die Kernstruktur der Gesellschaft, die Familie, und damit den Bestand der Bevölkerung angegriffen habe“, darauf folge logischerweise der Islam. „Die von ihrem grundsätzlichen Antirassismus gelähmte Linke“ hat nie begriffen, dass der Feind keineswegs nur rechts steht.
Sinngebung und Entlastung
Die Religion der gemäßigten Muslime lockt Houellebecqs Helden mit Sinngebung und Entlastung: Hat nicht freiwillige Unterwerfung auch ihre erotischen Seiten? Frauen dürfen den Kampf um Selbstbestimmung aufgeben und sind gleich viel entspannter, männliche Konvertiten werden mit Geld und Frauen belohnt.
Die Vielehe beendet mit einem Schlag die Arbeitslosigkeit, weil Frauen nun wieder zu Hause bleiben dürfen: Als 15-jährige Sexgespielin oder als 40-jährige Köchin. Weitere Rollenverteilungen sind denkbar. Der Protagonist erliegt schließlich der Verlockung und dem Versprechen, als einer der wenigen Männer seine wertvollen Gene weitergeben zu dürfen.
Vorzug der Unterwerfung
Brillant ausgedacht. „Antiislamisch“ ist daran rein gar nichts. Denn Houellebecq karikiert nicht vor allem einen Islam, der endlich klug geworden wäre und nicht mit Gewalt, sondern sanfter Überredung siegt. Vor allem porträtiert er eine ermüdete und erschöpfte Gesellschaft, die den Vorzug der Unterwerfung entdeckt: endlich nicht mehr selbst denken, endlich nicht mehr selbst entscheiden müssen. Frauen wird der Spagat zwischen Kindern, Küche und Karriere erspart. Männer dürfen endlich wieder Patriarch sein.
Für den Helden der Geschichte, einen Beziehungsflüchtigen, der das Ersterben der Sexualität in der Zweisamkeit fürchtet, die ideale Lösung. Die ideale Lösung, möchte man meinen, für alle erbärmlichen Wichte, die sich an antisemitischen Ausbrüchen von Muslimen nicht stören und denen Freiheitsrechte etwa der Frauen und Homosexuellen nur dann wichtig sind, wenn der Zeitgeist es will. Die fallen bereitwillig um, wenn der Wind sich dreht.
"Unterwerfung" ist Literatur
Klar, „Unterwerfung“ ist Literatur, auch wenn der Roman streckenweise im Gewand eines politisch-philosophischen Essays daherkommt, was deutschen Lesern, die mit den französischen Debatten nicht vertraut sind, die Lektüre erschweren könnte. Bis auf ein paar „Stellen“ ist das Buch auch nicht sonderlich pornografisch. Wer schamrot bei der Lektüre werden könnte, ist der abgeklärte Metropolenbewohner, egal ob männlich oder weiblich, der schon bei dem Vorschlag einer Debatte über deutsche „Leitkultur“ gewohnheitsmäßig abwinkt.
Doch wer weder Religion noch Familie oder „Sippe“ (wozu Houellebecqs Held die Juden beglückwünscht) hat und vor allem keine Werte kennt, die verteidigungswürdig sein könnten, ist allen Ideologien und Ideologemen unterlegen – und schneller, als man denkt, erlegen. Das Versprechen, die Leere zu füllen, kann von allen Seiten kommen, so wie auch der Säbelzahntiger in der menschlichen Geschichte seine Opfer nicht immer von rechts anspringt.
Persiflage auf eine intellektuelle Kultur, der alles gleich und gleichgültig ist
Noch am ehesten darf sich eine Linke kritisiert fühlen, die derart auf ihr antifaschistisches Muster fixiert ist – der Feind steht stets rechts und im Zweifelsfall im Westen –, dass sie andere Gefahren nicht mehr erkennt. Der Filmemacher Samuel Schirmbeck beschrieb diese „Frankfurter Nordend-Linke“ in einem ebenso wütenden wie tieftraurigen Essay am Montag in der FAZ und attestiert ihr klammheimliche Freude an der „rasenden Regression des Islam“. Ich erinnere mich noch gut an Debatten in der linken Szene in Frankfurt nach dem Sturz des Schah in Persien: manch eine fand sogar Geschmack an der Burka als Gegengift zu Konsumismus und Konkurrenz unter Frauen.
Was lehrt uns das? „Unterwerfung“ hat keine Lehre. Es empfiehlt auch nicht, zum Katholizismus zu konvertieren. Es ist vor allem eine Persiflage auf eine intellektuelle Kultur, der alles gleich und gleichgültig ist – und auf den Masochismus des Westens, der alle anderen, „exotischen“ Kulturen stets der eigenen vorzieht. Wahrscheinlich hat die Unterwerfung längst begonnen.