Stephans Spitzen

Die Zeit des Herrschaftswissens ist vorbei, Herr Steinmeier

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fordert "überprüfte Fakten" statt "gefühlte Wahrheiten". Hoffentlich hören ihm seine Kabinettskollegen genau zu.

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Wie recht er hat, unser Außenminister. Man möchte ihm mit Ingeborg Bachmann ermutigend ein „Die Wahrheit ist dem Menschen zuzumuten“ zurufen und auf dem Ende des postfaktischen Zeitalters bestehen, das noch vor kurzem von der Kanzlerin propagiert wurde. Wir brauchen von unseren Politikern keine Gefühle, kein Moralisieren, keinen Gutsprech, kein verlegenes Schweigen, weil „ein Teil der Antworten die Bevölkerung verunsichern“ (Thomas de Maizière) würde, kein Beschönigen, kein Leugnen, kein Unter-den-Teppich-kehren von unangenehmen Wahrheiten, und auch nicht die Ausflucht, man habe den Bürgern etwas, was sie offensichtlich nicht einsehen wollen, nur noch nicht lange genug erklärt.

Wir wollen keine „gefühlten Wahrheiten“, sondern „überprüfte Fakten“. Wir haben die Nase voll davon, dass „die Wahrheit nicht mehr nur absichtlich verfälscht (wird)“, sondern dass sie gerade gar nicht mehr zählt. Wir brauchen „Neugier, Zuversicht, Mut“ - und vor allem „Vernunft“ in einer immer komplexeren Welt. Endlich sagt es mal einer: Frank-Walter Steinmeier. Und hoffentlich hat die Regierung, der er angehört, auch richtig zugehört.

Schön wär’s gewesen - doch die Kabinettskollegen spricht Steinmeier nicht an. Und auch das „wir“, mit dem er spricht, bezieht sich nicht auf ihn selbst und seinesgleichen, sondern, in einer Manier, die viele Bürger mittlerweile rundum satt haben, auf das Volk, das jedem Hoax auf den Leim gehe und den „gröbsten Vereinfachungen“ glaube, die im Internet gerade so kursieren. Einfühlsam diagnostiziert der Außenminister, der Bürger draußen im Lande sei gewiss überwältigt von all den Komplexitäten um ihn herum, die ihm noch nicht richtig vermittelt worden seien. „Objektiv überfordert“ flüchte er sich ins Nationale und in den Fremdenhass.

Merke: auch jemand, der Hannah Arendt zitiert, ist sich offenbar nicht zu fein dazu, wohlformuliert in jene Demagogie einzustimmen, mit der das blöde Volk nun schon seit Monaten traktiert wird. Mit Verlaub, Herr Minister: Wer etwas gegen die Ansprüche muslimischer Lobbys hat und es pervers findet, dass eine vollverschleierte Frau im deutschen Fernsehen ihre Propaganda für den radikalen Islam absondern kann, ist kein Fremdenhasser, und wer konstatiert, dass der Euro und die EU Europa nicht geeint, sondern gespalten haben, ist kein Nationalist. Dieser mit allen, auch unlauteren, Mitteln geführte „Kampf gegen Rechts“ ist längst als ein gezieltes Manöver erkannt, mit dem Kritik unterbunden und von politischem Versagen abgelenkt werden soll. Die Diffamierung des politischen Gegners und die nicht mehr nur unterschwellige Aufforderung zur Denunziation nebst Ausfällen gegen „Pack“ und „Pöbel“ haben die Krise des Vertrauens in die Politik immens beschleunigt, und daran ist nicht das Internet schuld. Das haben einige Politiker selbst verbockt.

Fangt schon mal an

Steinmeiers Philippika zeigt überaus anschaulich, dass viele Politiker noch immer nicht begriffen haben, dass die Zeit des Herrschaftswissens vorbei ist. Denn neben all dem Unsinn, der im Internet trollt, ist hier zugleich eine gepflegte Gegenöffentlichkeit entstanden, in der genau das geschieht, was Steinmeier sich wünscht: ein beständiges Überprüfen dessen, was politische und Meinungseliten in die Welt setzen, also just jene Wahrheitssuche, die er so eindringlich fordert. Es ist genau dieser Faktencheck – sei es in Fragen der „Energiewende“, der EU- und Europolitik oder der Einwanderungskrise - , der das postfaktische politische Moralisieren entlarvt hat. Wer braucht noch Desinformation durch ausländische Trolle, wenn er – siehe der Versuch, die Ereignisse der Kölner Silvesternacht zu verschleiern – von den eigenen Regierenden desinformiert wird?

Werden „wir“ wirklich von der Komplexität der Welt überfordert? Ja, zugegeben, bisweilen sehr – doch manch einen trifft es ganz besonders schlimm, etwa Steinmeiers Parteifreund und Kabinettskollegen Heiko Maas, Justizminister. Der ließ jüngst twittern: „Wir werden Kinderehen nicht akzeptieren. Kein Kind gehört an den Traualtar.

Stimmt. Jedenfalls nicht, um zu heiraten oder um geheiratet zu werden. Das ist bei Christen in Deutschland unüblich. In Moscheen wiederum steht kein Traualtar. Was lässt uns der Minister also damit sagen? Dass es das Problem recht eigentlich gar nicht gibt?

Oder dass man in seinem Ministerium die Wahrheit nicht auszusprechen vermag, dass nämlich das Problem der Kinderbräute importiert wurde, dass es mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis und überwiegend muslimischen Glaubens ins Land kam und dass man das eine nur verhindern kann, indem man das andere lässt?

Steinmeier hat jedenfalls in einem recht: es ist hohe Zeit, „unsere Fähigkeit zum produktiven, wahrheitssuchenden Diskurs“ zu optimieren. Fangt schon mal damit an.

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