Stephans Spitzen

Moralisches Herrenmenschentum

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Die deutsche Debatte über die Präsidentenwahlen in Österreich war ein Beispiel dreister Überheblichkeit. Volkes Wille ist den Konsensparteien nur willkommen, wenn er ihnen in den Kram passt.

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Die deutschen Grünen (Parteivorsitzende Simone Peter (l) und Cem Özdemir) feiern am 23.05.2016 in der Parteizentrale in Berlin den Wahlsieg des neugewählten österreichischen Präsidenten Van der Bellen. Quelle: dpa

Ich mag Österreich, das Land, die Leute, seine Küche, die großartigen Weine. Ich wünsche seinen Bewohnern alles erdenklich Gute. Schon deshalb würde ich mir nie anmaßen, zu wissen, was gut für sie ist oder gar Ratschläge zu erteilen, etwa, wen sie zu ihrem Präsidenten wählen sollen und wen nicht. Immerhin haben sie die Wahl, das unterscheidet die Ösis schon mal von den Deutschen.

Ob Norbert Hofer oder Alexander van der Bellen – mir liegen beide nicht am Herzen. Nun hat van der Bellen gewonnen. Aber das bedeutet weder den Untergang, noch die Errettung Österreichs. Weit mehr beschäftigt mich unsere Debattenkultur. Die aber war in den vergangenen Tagen geprägt von dummdreistdeutscher Überheblichkeit und moralinsauersattem Tremolo. Was bitte geht es die deutsche Öffentlichkeit an, wie und wer im Nachbarland gewählt wird? Sie hat das Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen, that’s all. Was soll die Ermahnung an die offenbar dessen bedürftigen Ösis, das Richtige zu tun, nämlich einen älteren Herrn zu wählen, den die Meinungs-, Macht- und Rechthaber hierzulande für den passableren Kandidaten halten? Was sollen all die erhobenen Zeigefinger, das raunende Mahnen und Warnen, die Beschwörungen dunkelster Zeiten, sollte der Kandidat der FPÖ, Hofer, das Rennen machen? Wäre in diesem Fall die SA in Wien aufmarschiert?

Auch wenn die österreichischen Wähler den Rechtspopulisten Norbert Hofer als Bundespräsidenten verhindert haben: Nach der knappen Entscheidung um den Einzug in die Wiener Hofburg ist nichts mehr wie früher.
von Matthias Kamp

Und was veranlasst einen Mann wie den oft so klugen Norbert Lammert, auch er ein Präsident, und zwar des Bundestags, was ihn in der deutschen politischen Hierarchie an die zweite Stelle setzt, sich „heilfroh“ zu zeigen, dass der Präsident in Deutschland nicht direkt gewählt wird?

Ja, bei uns entscheidet eine Bundesversammlung über den Bundespräsidenten – in der Tat eine einzigartige Veranstaltung, deren Legitimität in vieler Hinsicht rätselhaft ist. Denn nur die Hälfte der Stimmberechtigten besteht aus Bundestagsmitglieder, die andere Hälfte wird von den Ländern bestimmt, und die setzen nicht nur ihre Ehemaligen und Spitzenpolitiker, sondern auch Prominente, Sportler und Künstler auf die Liste. Nach welchen Kriterien? Das ist ihnen überlassen. Man kann das volksnah nennen, man darf es aber auch für einigermaßen obskur halten, Sportler und Künstler sind schließlich selten weiser als das Volk.

Nun bin ich keine Anhängerin von Volksabstimmungen, schon damals nicht, als die Grünen als Allzweckwaffe für Basisdemokratie votierten. Das hatte stets einen Beigeschmack, denn die basisdemokratische Abstimmung in Einzelfragen sollte jene Legitimität sozusagen durch die Hintertür einholen, die die Grünen in regulären Wahlen nie erreicht haben oder hätten. Das sind Manöver, die kein sonderlich subtiles Demokratieverständnis offenbaren. Heute ist auch den Grünen längst aufgefallen, dass das Volk nicht naturgemäß auf ihrer Seite ist.

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