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Stephans Spitzen

Was Deutschland ausmacht

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Integration funktioniert am besten über Arbeit. Für viele Flüchtlinge dürfte das aber schwierig werden. Deutschland muss jetzt jedem neuen Bürger klar machen, dass Rechtsstaatlichkeit unsere Gesellschaft definiert.

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Als meine Eltern 1947 im Westen Deutschlands ankamen, hat niemand Fähnchen geschwenkt oder Plüschtiere verschenkt. Sie wanderten zwar aus Thüringen nach Niedersachsen ein und sprachen Deutsch, doch die Einheimischen nannten Flüchtlinge und Vertriebene wie sie gern „tolopen Pack“, keine wirklich liebevolle Bezeichnung, für die man heute gesteinigt würde.

Dennoch: dass niemand erfreut darüber war, dass meine Eltern und meine beiden Geschwister bei ihnen „einquartiert“ wurden, ist durchaus verständlich. Der Westen (und auch der Osten) dessen, was vom Deutschen Reich übriggeblieben war, tat sich nicht leicht damit, 14 Millionen Menschen aufzunehmen. Dabei hatte man den Krieg schließlich gemeinsam verloren und es waren „Landsleute“, die da ankamen, mit gemeinsamer Geschichte und mehr oder weniger gemeinsamer Kultur und Sprache, auch wenn die einen den Dialekt der anderen oft nicht verstanden.

Was Flüchtlinge dürfen

Es gab Vertriebenenverbände, die den Gedanken an die verlorene Heimat hochhielten. Aber die überwiegende Mehrheit vermied es, auf eine Herkunft aus Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland groß aufmerksam zu machen, meine Eltern sprachen Hochdeutsch ohne Klangfärbung und eine lingua franca, die jeder sofort verstand: Arbeit.

Das Wirtschaftswunderland basierte auf dieser Anpassungsleistung. Deutschland definierte sich über seinen Fleiß, über das „Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen.“

Und wir Nachkriegskinder? Kann sein, dass wir das Manko, auf das uns die Alteingesessenen immer mal hinwiesen, in einen Vorteil ummünzten: Wir, die nicht Verwurzelten, hatten wenig für Heimat und Vaterland übrig, verstanden uns kühl als „Kosmopoliten.“ Wir waren eben kein Teil eines festgefügten Kosmos.

Das hatte seinen unübersehbaren Vorteil. Das trotzige Bekenntnis zur eigenen Fremdheit vermittelte ein Gefühl der Befreiung. Ohne Heimat, die bindet und kontrolliert, ist man beweglicher; Rücksicht auf die Familie oder die Nachbarn, auf Althergebrachtes und auf „Das haben wir schon immer so gemacht“ entfällt. Das Ruhen in der Gewissheit der Zugehörigkeit mag dem Schwachen Sicherheit geben, dem Starken ist es ein Gefängnis der eigenen Möglichkeiten. Ohne Identität sein, ohne Definition, ohne Festlegung ist ein anderes Wort für Freisein. Dachte manch einer.

Der aufgeklärte Kosmopolit, so kann man es allerdings auch sehen, zieht unbarmherzig alles Fremde vor.

Nicht gerade selten hat man das Gefühl, eine solche Kühle dem Eigenen gegenüber gilt mittlerweile für das ganze Land – oder auch nur für seine politische und Meinungselite. Deutschland mag sich nicht festlegen. Lange Zeit war Europa als alles überwölbende Größe ein willkommener Ersatz fürs Deutschsein. Doch das war bereits Illusion, als alles noch so schön harmonisch aussah. Spätestens seit der Eurokrise treten sie wieder hervor, die Nationalismen, an die insbesondere die Deutschen nicht mehr glauben mochten. Der Euro eint nicht, er spaltet, und was die einen nationalen Egoismus nennen, ist für die anderen das notwendige Besinnen auf die eigenen Interessen.

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