Die FDP hat ihr Traumziel erreicht und das Bundesfinanzministerium übernommen. Parteichef Christian Lindner residiert seit ein paar Wochen im trutzigen Gebäudekomplex an der Berliner Wilhelmstraße, von wo zuletzt Olaf Scholz (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) die Finanzgeschicke Deutschlands lenkten. Nun sind also die Liberalen an der Reihe. Können sie ihre ambitionierten Pläne von niedrigen Steuern, soliden Finanzen und effizienter Finanzverwaltung umsetzen? Reinhold Hilbers (CDU), seit 2017 Finanzminister von Niedersachsen und in der Riege der 16 Landesminister ein Schwergewicht, hat eher zwiespältige Eindrücke gewonnen, wie er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche gesteht.
WirtschaftsWoche: Herr Hilbers, haben Sie schon den neuen Bundesfinanzminister Christian Lindner getroffen?
Reinhold Hilbers: Wir haben uns im Stabilitätsrat getroffen und am Rande unterhalten. Ein tiefergehender Austausch hat bisher nicht stattgefunden. Herr Lindner ist ja erst seit Anfang Dezember im Amt.
Können Sie uns dennoch schon einen ersten Eindruck von Herrn Lindner geben?
Leider haben Herr Lindner und die Ampelkoalition mit ihrem Schuldennachtragshaushalt einen Fehlstart hingelegt. Dass er 60 Milliarden Euro nicht abgerufene Coronahilfen des Jahres 2021 in einen Investitionsfonds für spätere Jahre umschichtet, ist eine Umgehung der Schuldenbremse und nach meiner Auffassung verfassungswidrig. Man kann nicht Notlagenkredite, die nicht mehr erforderlich sind, umwidmen, um damit andere Versprechen zu erfüllen. Für mich ist das ein außerordentlicher Sündenfall – ausgerechnet durch einen liberalen Finanzminister, der immer darauf gedrängt hat, Schulden zu begrenzen.
Aber das Geld soll in den nächsten Jahren für die ökodigitale Transformation eingesetzt werden. Zählt das nicht?
Nachhaltige Energiepolitik darf nicht gegen nachhaltige Finanzpolitik ausgespielt werden. Wir haben in Niedersachsen gerade unseren Haushalt für 2022 verabschiedet – mit einer schwarzen Null. Und dabei stemmen wir im Land unsere eigene Transformation, wir sanieren Gebäude und treiben die Digitalisierung von Land und Kommunen voran.
Immerhin hat Bundesfinanzminister Lindner erste steuerpolitische Erleichterungen angekündigt wie eine vorausgefüllte Steuererklärung. Was halten Sie von dieser Easy-Tax-Initiative?
Easy Tax ist nichts schrecklich Neues. Mit dem Elster-Verfahren haben wir längst eine vorausgefüllte Steuererklärung mit Datensätzen aus dem Vorjahr und den aktuellen Daten, die dem Finanzamt vorliegen. Dazu zählen beispielsweise der Arbeitslohn oder Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Mit dem neuen Angebot einfachEster für Bezieher von Alterseinkünften schaffen wir eine Möglichkeit mit wenigen dialoggesteuerten Feldern. Und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz kann die Steuerprüfung modernisiert werden. In Kooperation mit der Universität Oldenburg arbeiten wir bereits daran.
Punkten will die neue Ampel-Regierung mit so genannten Superabschreibungen, die mehr Investitionen stimulieren sollen. Gut oder schlecht?
Das halte ich durchaus für sinnvoll. Allerdings hat Herr Lindner noch nicht mit uns gesprochen, und auch auf Arbeitsebene der Fachbeamten hat es noch keinen Austausch über die angekündigten Superabschreibungen gegeben. Grundsätzlich nützen schnellere Abschreibungen kurzfristig. Ich bin darüber hinaus aus Gründen der Vereinfachung für eine Anhebung der Schwelle für Sofortabschreibungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern von 800 Euro auf 1000 bis 1200 Euro. Noch wichtiger ist mir aber im Sinne einer nachhaltigen Stärkung unserer Standortbedingungen eine grundsätzliche Entlastung der Wirtschaft.
Was halten Sie von der Ankündigung des Bundesfinanzministers, die Bürgerinnen und Bürger um 30 Milliarden Euro zu entlasten?
Die von Lindner geplante 30-Milliarden-Entlastung in einem Zeitraum von vier Jahren stellt für eine so große Zielgruppe nur eine minimale Entlastung dar. Sie ist auch nicht die - auch von den Liberalen - immer geforderte klare Reform der Unternehmensbesteuerung, die zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit der Sicherung von Arbeitsplätzen führt. Dieser Ansatz ist nicht zielgerichtet genug.
Eine Unternehmensteuerreform steht nicht im Koalitionsvertrag…
... was ich für einen großen Fehler halte. Mit gut 30 Prozent haben unsere Unternehmen eine größere Steuerlast zu tragen als die meisten Konkurrenten im Ausland.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften auf 25 Prozent begrenzen, und zwar insbesondere durch eine Senkung der Körperschaftsteuer, aber auch unter Einbeziehung der Gewerbesteuer. Und für die vielen Personengesellschaften müssen wir eine echte Möglichkeit zur rechtsformneutralen Besteuerung schaffen, so dass diese nicht höher als Kapitalgesellschaften besteuert werden. Da hat der frühere Bundesfinanzminister Scholz übrigens eine große Chance verpasst, als er das Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz vor einem dreiviertel Jahr auf den Weg brachte.
Sein Nachfolger müsste hier noch einmal ran und insbesondere die Thesaurierungsbegünstigung für nicht entnommene Gewinne deutlich verbessern. Darauf hatten wir Unionsfinanzminister im vergangenen Sommer bereits gedrängt. Gerade nach der Coronakrise wird das wichtig, wenn Unternehmer ihren Eigenkapitalstock wieder auffüllen müssen.
Ein Wort noch zum Solidaritätszuschlag, der ja nur teilweise abgeschafft wurde. Es gibt Überlegungen, diesen ganz abzuschaffen und dafür den Einkommensteuertarif im oberen Bereich entsprechend zu erhöhen.
Das hieße, eine befristete Abgabe in eine dauerhafte Steuererhöhung umzuwandeln. Das wäre ein klarer Wortbruch der FDP und für mich grundfalsch. Es geht hier um Glaubwürdigkeit und darum, bestimmte Einkommensgruppen nicht übermäßig zu belasten.
Mehr zum Thema: Christian Lindner erlebt sein Rendezvous mit der Realität. Große Steuersenkungen kann er nicht liefern – daran ändert auch ein Interview nichts, in dem er Entlastungen in Höhe von 30 Milliarden Euro verspricht.