Seefahrer meiden Montserrat, die Karibikinsel südwestlich von Antigua. Es gibt keine aktuellen Seekarten, der Küstenfunk informiert täglich über vulkanische Aktivitäten. Der jüngste große Ausbruch des Soufrière Hills hat 1995 das nur 5200 Einwohner zählende Eiland zu zwei Dritteln unbewohnbar gemacht.
Als Steueroase aber besitzt Montserrat hohe Anziehungskraft, und deshalb hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Antilleninsel jüngst zum Abschluss eines Abkommens mit der Bundesrepublik gedrängt. Darin verpflichtet sich Montserrat, Daten über Kapitalerträge von Bundesbürgern nach Deutschland zu übermitteln. Und Schäuble kann wieder ein Häkchen auf seiner Weltkarte machen.
Es gibt immer weniger Schlupflöcher
Systematisch geht der Minister gegen Abschleicher vor, wie Steuerflüchtlinge seit Neuestem genannt werden. "Kein Land auf der Erde soll mehr ein Fluchtpunkt für deutsche Steuerhinterzieher sein können", erläutert sein Parlamentarischer Staatssekretär Hartmut Koschyk (CSU) die Strategie. Tatsächlich werden es immer weniger Schlupflöcher, durch die Hinterzieher noch verschwinden können.
Um ein ganz großes, Singapur, kümmerte sich Schäuble Mitte Oktober persönlich. Um den südostasiatischen Stadtstaat ranken sich hierzulande Gerüchte, er übernehme die Rolle der Schweiz als neues Steuerparadies der Deutschen. Um diesen Eindruck zu zerstören, reiste nun der Bundesfinanzminister nach Fernost.
Zuvor schon hatte sein Ministerialbeamter Martin Kreienbaum in aller Stille mit Singapur ein neues Doppelbesteuerungsabkommen verhandelt und auch schon paraphiert. Mit dessen Hilfe wird Berlin bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Namen, Konten und Vermögenswerte von Bundesbürgern abfragen können. Allerdings müssen die Parlamente in Singapur und Berlin dem Abkommen noch zustimmen.
Länder fordern Steuerehrlichkeit
Die OECD hat schon vor 14 Jahren den Kampf für mehr Steuerehrlichkeit aufgenommen, als Steuerhinterziehung noch vielfach als Kavaliersdelikt gegenüber einem räuberischen Leviathan galt. Bei Spitzensätzen von 53 Prozent Einkommensteuer (plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) in Deutschland konnten solche Gefühle durchaus aufkommen. Doch inzwischen haben viele einstige Hochsteuerländer ihre Sätze verringert, Deutschland um nahezu zehn Prozentpunkte. Dafür aber fordern die Länder auch verstärkt Steuerehrlichkeit ein.
Urteile für angebliche Steuerhinterzieher
Auch Steuerhinterzieher haben Rechte. Zahlreiche Urteile geben den Rahmen vor, in dem Steuerfahnder tätig werden können. Auch vermeintlich seriöse Steuerzahler sollten diese Urteile kennen.
Diesmal entschieden die Richter des Landgerichts Düsseldorf. Und diesmal ging es um eine CD mit Daten über bei der Schweizer Großbank Credit Suisse unterhaltene Kapitalanlagen von deutschen Steuerzahlern. Die Datensätze enthielten jeweils eine Ordnungsnummer, die Konto-Nummer der Credit Suisse, Personalien der Kontoinhaber, Kontaktdaten wie Telefonnummern oder Postversandadressen, den Anlagebetrag und das Kontoeröffnungsdatum. Auch hier kam es zu Hausdurchsuchungen. Zu Recht, wie es in dem Düsseldorfer Urteil heißt (Beschluss, Az. 014 Qs-131 Js 150/10-60/10). Auch hier darf gestöbert werden, und die Daten können ausgewertet werden. Im konkreten Fall ging es um einen Betrag in Höhe von zirka 1.930.000 Schweizer Franken. Nach den Ermittlungen der Finanzverwaltung hatten die Beschuldigten die daraus resultierenden Kapitalerträge steuerlich nicht erklärt.
Es war der Bundesfinanzhof (BFH), der entschied, dass Kontrollbesuche der Steuerfahndung bei Prostituierten zulässig sind (Beschluss, Az. VII B 121/06). Auch hier kann es schnell den Verdacht geben, dass nicht alle Einnahmen ordnungsgemäß versteuert wurden. Ob es manch Kunden dann zum Verhängnis wird, dass die Fahnder gern sehr früh vor der Tür stehen, mag dahin gestellt bleiben.
Es ging um eine Hausdurchsuchung gegen den Willen des Betroffenen. Die Beamten erklärten es sei Gefahr in Verzug, darum dürften sie die Wohnung auch ohne richterliche Anordnung ins Visier nehmen. Nach 18 Uhr wäre es in München nicht möglich, eine solche Anordnung noch zu bekommen. Der Verdächtige meinte dagegen, es hätte sehr wohl versucht werden müssen, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts gaben ihm Recht (Az. 2 BvR 876/06). Ihr Argument: Es kann nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend gegen 18.00 Uhr eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, durchsucht wird.
Zwar genießen Rechtsanwälte und auch Steuerberater als Berufsgeheimnisträger besondere Rechte. Doch auch in ihren Kanzleien kann grundsätzlich eine Hausdurchsuchung stattfinden. So heißt es in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvR 497/03). Allerdings muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Der jeweilige Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Auch wenn die Gefahr eines Zugriffs auf vertrauliche Daten von Mandanten besteht, kann die Durchsuchung in einer Kanzlei rechtens sein.
Mitten in der schweren Finanzkrise erklärten die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Länder (G20) in London: "Das Zeitalter der Steuerhinterziehung ist vorbei" und setzten alle möglichen Steuerfluchtländer massiv unter Druck. Selbst Costa Rica, Malaysia, die Philippinen und Uruguay, die damals auf der schwarzen OECD-Liste unkooperativer Länder standen, willigten kurz darauf ein, internationale Steuerstandards umzusetzen. Seither überprüft die OECD Dutzende Länder auf ihre Fortschritte und berichtet darüber halbjährlich an die G20.
Auf einer Stufe mit Menschenhandel
In diesem Frühjahr drehte die Staatengemeinschaft die Daumenschrauben noch enger. Steuerhinterziehung gilt nun ab 50 000 Euro als Vortatbestand zur Geldwäsche und wird damit ähnlich wie Schmuggel, Drogen- und Menschenhandel bestraft. Vor allem die Amerikaner verstehen da keinen Spaß. Bei hohen Beträgen ab 50 Millionen Euro dürfen Hinterzieher damit rechnen, dass sich auch die US-Geheimdienste für sie interessieren. Auf deutscher Seite schaltet sich bei Geldwäscheverdacht das Bundeskriminalamt ein.
Banken wolle Herkunftsnachweise
Die Geldwäschekeule beeindruckt die Banken am meisten. Kaum ein Institut nimmt heute noch einen Koffer voller Banknoten an, ohne einen Nachweis über deren Herkunft zu verlangen.
Für Intensivtäter bleiben nur noch rechtsstaatlich entwicklungsfähige Länder des früheren Ostblocks oder Afrikas übrig. Wer dorthin flüchtet, sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass er sein Schwarzgeld möglicherweise überhaupt nicht mehr wiedersieht.
Für gutbürgerliche Flüchtlinge schrumpft die Zahl der Steuerparadiese drastisch. Fast alle karibischen Traumziele haben sich inzwischen zum automatischen Informationsaustausch nach den OECD-Standards verpflichtet. Singapur, früher ein regelrechtes Piratennest an der Straße von Malakka, führt heute strenge Geldwäschekontrollen durch und will mit Schwarzgeld von Deutschen nichts zu tun haben.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
Hier wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt, die in etwa einem Jahresnettoeinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln die Geldstrafe nach so genannten Tagessätzen. Der Geldbetrag für einen Tagessatz soll dem Tagesnettoeinkommen entsprechen.
Hat jemand ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro brutto und Abzüge von 20.000 Euro für Steuern, Versicherungen und ähnlichem, so wäre der Tagessatz 82 Euro (gerechnet: 30.000:365).
Bei einer Hinterziehung von 10.000 Euro werden in der Regel 365 Tagessätze verhängt. Das bedeutet im Beispielsfall 365x82 = 29.930 Euro. Die Geldstrafe läge also bei rund 30.000 Euro.
Bei hohen Einkommen kann laut Experten die Strafe durchaus höher als die hinterzogene Steuer sein. Schließlich soll sich Steuerhinterziehung ja nicht lohnen.
Bei 20.000 Euro kommt man zu rund 440 Tagessätzen. Die Strafe läge im Beispielsfall dann 36.080 Euro.
Es ist bekannt, dass in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich streng bestraft wird. Eine interne Tabelle weist dies nach. Insofern gelten die hier genannten Strafrahmen nicht absolut, sondern sind lediglich Faustregeln.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az. 1 StR 525/11) ist die Chance, auch bei schweren Steuervergehen um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich gesunken. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung ein Urteil des Landgerichts Augsburg kassiert, das einen Unternehmer wegen 1,1 Millionen Euro hinterzogener Steuern nur zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte. Dieses Strafmaß sei zu gering, entschied der BGH. Das Urteil liegt im Trend, glaubt Martin Wulf von der auf Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm: „In der Tendenz ziehen die Sanktionen an“, sagt der Jurist.
Neben den USA ist Deutschland eine der treibenden Kräfte im Kampf für mehr Steuerehrlichkeit. Der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner musste sich sogar von Schäuble die Klage anhören, dass US-Großkonzerne wie Google Hunderte Milliarden Dollar in der Karibik steuerfrei deponieren. Dabei handelt es sich um globale Gewinne mit Ausnahme derjenigen, die in den USA erwirtschaftet und dort brav versteuert werden. Zu Schäubles Ärger ist die Bermuda-Konstruktion nach internationalem Recht jedoch nicht zu beanstanden. Die USA verfügen eben über die Macht, sich über internationales Recht hinwegzusetzen, um sich die Steuern seiner Bürger und Unternehmen überall auf der Welt zu sichern.
Schäuble strickt an seinem Netz
So weit kann und will die Bundesregierung nicht gehen. Stattdessen strickt der Finanzminister emsig an seinem internationalen Informations- und Kontrollnetz, um sich so deutsches Steuersubstrat überall auf der Welt zu sichern:
- Sein Ministerium durchforstet sämtliche Doppelbesteuerungsabkommen nach Schwachstellen. Aufstrebende Länder wie die Türkei oder Brasilien verlieren ihren Sonderstatus. Bei Ländern mit niedrigen Steuersätzen vereinbaren die Unterhändler neuerdings, dass die dort begünstigten deutschen Bürger und Unternehmen hierzulande die Differenz zum heimischen Steuersatz nachversteuern müssen.
- Informationsabkommen sind mit möglichst allen Ländern der einst grauen OECD-Liste geplant, um Daten von deutschen Steuerpflichtigen zu sammeln.
- Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) wird personell aufgestockt, um die Daten besser auswerten zu können. "Schäubles Geheimdienst", wie Kritiker das BZSt auch nennen, baut überdies enge Kontakte zu ausländischen Finanzbehörden auf.
Schweiz ist bisher das beliebteste Ziel der Steuerflüchtigen
Das Kernstück im Kampf gegen Steuerflüchtlinge ist indes das Abkommen mit der Schweiz. Von den rund 500 Milliarden Euro, die Deutsche nach inoffiziellen und vagen Schätzungen am Fiskus vorbei ins Ausland verschoben haben sollen, wird weit mehr als die Hälfte allein in der Schweiz vermutet – gefolgt von Luxemburg und Österreich. Spätestens seit der SPD-Politiker Peer Steinbrück im März 2009 – damals Bundesfinanzminister, heute Kanzlerkandidat seiner Partei – den verschlossenen Eidgenossen mit der "Kavallerie" drohte, genießen die dortigen Bankkonten deutscher Steuerbürger allerhöchste Aufmerksamkeit.
Das deutsch-schweizerische Abkommen sieht eine pauschale Abgeltung aller Steueransprüche für die vergangenen zehn Jahre vor, außerdem für künftige Erträge eine Abgeltungsteuer von 26,4 Prozent wie in Deutschland (einschließlich Soli). Diese Woche will sich der Finanzausschuss im Bundestag mit dem Abkommen befassen, für den 26. Oktober ist die Abstimmung im Parlament angesetzt. Dank der Mehrheit von CDU, CSU und FDP dürfte diese Hürde kein Problem sein.
Opposition will Verträge scheitern lassen
Ungewiss ist hingegen der Ausgang im Bundesrat, der dem Abkommen ebenfalls zustimmen muss. In der Länderkammer verfügen Union und Liberale über keine Mehrheit. SPD und die Grünen haben auch mehrfach angekündigt, den Vertrag scheitern zu lassen. Schlecht ausgehandelt und nicht zustimmungsfähig sei das Abkommen, kritisiert Steinbrück. Vor allem der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) hat sich auf den Vertrag eingeschossen. Der Genosse vom Rhein beklagt, die vorgesehene Nachversteuerung sei zu niedrig, und es blieben noch zu viele Schlupflöcher. Reiche Steuerhinterzieher will der SPD-Minister lieber mit Steuer-CDs jagen, die ihm Datendiebe anbieten, was ihm beim politischen Gegner den Titel "Hehler von Düsseldorf" einbrachte.
Konkret stört Walter-Borjans am deutsch-schweizerischen Abkommen, dass die meisten anonymen Altvermögen von Deutschen nur mit 21 bis 25 Prozent nachversteuert werden sollen. Zwar steigt der Satz bis maximal 41 Prozent, doch das gilt nur für wenige Fälle. Ehrliche Bundesbürger müssten dagegen bis zu 42 Prozent Einkommensteuer plus Soli zahlen.
Selbstanzeige ist billiger als Steuern
Mit diesem Vorwurf aber vergleicht Walter-Borjans Äpfel mit Birnen. Denn der Steuersatz im Schweizer Abkommen wird auf das Gesamtvermögen fällig – und nicht auf die laufenden Einkünfte wie Zinsen.
Sichert der Steuersatz "von 21 bis 41 Prozent eine gleichmäßige Besteuerung?", wollte daher der CDU-Finanzpolitiker Klaus-Peter Flosbach bei einer Anhörung im Bundestag wissen. Mehr als das, bekam der Abgeordnete als Antwort. Eine groß angelegte Stichprobe bei Schweizer Banken habe ergeben, dass 90 Prozent der deutschen Kunden schon bei 21 Prozent mehr zahlen müssten als im Fall einer Selbstanzeige und individueller Nachversteuerung, erklärt der Schweizer Finanzstaatssekretär Michael Ambühl, der von Berner Seite aus das Abkommen ausgehandelt hat.
Dicke Fische mit niedrigem Steuersatz
Wie Deutschland Abschleicher von der Schweiz nach Singapur aufspüren will
Wenn das Steuerabkommen mit Deutschland in Kraft tritt, liefert die Schweiz eine Liste mit den zehn größten Abschleicher-Staaten zwischen dem 21.9. 2011 und dem 31.12. 2012.
Deutschland bittet um Namen aller Deutschen, die in der Schweiz Konten aufgelöst und Gelder nach Singapur transferiert haben. Die Schweiz und Singapur liefern konkrete Namen.
Deutsche Finanzämter prüfen, ob die Steuerpflichtigen Erträge aus Singapur bei der Steuererklärung angeben. Wer keine Einkünfte deklariert, wird dem Finanzministerium gemeldet.
Anfrage mit der Bitte, zu den verdächtigen Namen, Konten und Ertragsaufstellungen zu liefern. Die Finanzbehörde in Singapur liefert die Bankdaten der Verdächtigen nach Deutschland.
Auch deutsche Experten halten das für realistisch. Ausgerechnet die dicksten Fische könnten im deutschen Steuerrecht ganz legal durch die Maschen schlüpfen, erklärt Jochen Lüdicke, Steuerprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Partner der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer: "Hochvermögende haben ihre Vermögen mittels Nullkupon-Anleihen oder Versicherungen so strukturiert, dass bei ihnen nur ein niedriger einstelliger Steuersatz anfällt." Die 21 Prozent Pauschalsteuer aus dem Abkommen dagegen würden in solchen Fällen die individuelle Steuerschuld verzehnfachen, sagt Lüdicke.
Dass Fluchtgeld generell hohe Renditen abwirft, bezweifelt der Steuerexperte Sven Oberle von der Wirtschaftsprüfgesellschaft Deloitte. "Viele Schweizer Banken haben sehr gut an den deutschen Kunden verdient." Diese hätten ihre Institute oft mit der Verwaltung ihrer Vermögen beauftragen müssen, die wiederum bei jeder Umschichtung Provisionen kassierten.
Kampf mit allen Mitteln
Das wiederum hängt mit einem Problem zusammen, vor dem fast alle Steuerflüchtlinge gemeinsam stehen: Ihre Kommunikationsmöglichkeiten sind beschränkt. Telefonate können abgehört und E-Mails abgefangen werden. Vor allem die USA greifen in ihrem Kampf gegen Drogen- und Terrorgelder, inzwischen aber auch gegen Steuerhinterziehung, zu allen verfügbaren Mitteln.
Ende 2008, Anfang 2009 spitzte sich für Inhaber schwarzer Aktiendepots die Lage ganz besonders zu. Wer seine Order vorsorglich nur per Briefpost erteilen wollte, den erwischte die Finanzkrise eiskalt. Aktien konnten gar nicht so schnell verkauft werden, wie deren Kurse in die Tiefe rauschten. "Da blieb oft keine Rendite übrig", resümiert Oberle.
Schleichwillige kommen nicht aus der Schweiz heraus
Ein weiterer Vorwurf von SPD und Grünen lautet, das deutsch-schweizerische Abkommen ermögliche Flüchtlingen "freies Geleit in andere Steueroasen" (Walter-Borjans). Tatsächlich trifft genau das Gegenteil zu. Nur wenn das Abkommen in Kraft tritt, werden die Schweizer eine Liste der zehn Länder an Deutschland übermitteln, in die das meiste Vermögen deutscher Kunden verlagert wird. Mit dieser Schweizer Liste können die hiesigen Behörden anschließend "die Abschleicher in die Zange nehmen", erläutert Koschyk. Zum einen könnten die Fahnder daraufhin eine gezielte Gruppenanfrage an die Eidgenossen richten und um konkrete Namen und Vermögenswerte bitten. Zum anderen könnten sie ähnliche Anfragen an die Zielländer der Abschleicher richten.
Im Übrigen müssen laut Abkommen auch diejenigen Bundesbürger Steuern nachzahlen, die ihre Konten inzwischen geplündert haben. Denn maßgeblich für die Besteuerung ist im Abkommen der Kontostand am 31. Dezember 2010. Allerdings kommen abschleichwillige Deutsche inzwischen ohnehin kaum noch aus der Schweiz heraus, weil sich viele Institute weigern, Konten von Deutschen aufzulösen.
Nur wenige Abschleicher
Den Schweizer Banken sitzt die Angst im Nacken – nicht nur vor einem weiteren Reputationsverlust. Im Abkommen haben sie sich verpflichtet, vorab eine Garantiesumme von zwei Milliarden Franken (1,7 Milliarden Euro) an Deutschland zu überweisen. Dieses Geld bekommen sie erst dann komplett zurück, wenn vier Milliarden Franken aus der Nachversteuerung zusammengekommen sind. "Damit machen wir die Schweizer Banken zu unseren besten Verbündeten", freut sich Finanzstaatssekretär Koschyk.
Viele Abschleicher gibt es offenkundig nicht. Nur ein Prozent der deutschen Vermögen sei bisher aus der Schweiz abgeflossen, ermittelten zwei Großbanken bei einer Depotanalyse. Bei der UBS gingen davon zwischen Mitte 2010 und 2012 rund 55 Prozent nach Deutschland, weitere 30 Prozent in andere europäische Staaten mit Informationsaustausch, in die USA oder zu anderen Schweizer Banken. In die übrigen außereuropäischen Länder floss "jeweils deutlich weniger als ein Prozent", teilte die UBS mit; bezogen auf die deutschen Kontovermögen insgesamt sind dies weniger als 0,1 Promille.
Sozialdemokraten wollen Steuer-CDs
Die meisten Steuersünder wollen offenbar ihren Frieden schließen, zumindest aber nicht weiterflüchten. Viele der betroffenen Bundesbürger deponierten ihr Geld vor Jahrzehnten in Zürich, nicht allein um Steuern zu sparen. Nicht minder starke Motive waren die Angst vor einer weiteren Währungsreform und Russland. Der Kalte Krieg aber ist längst vorbei, und wer heute 70 oder 80 Jahre alt ist, möchte seinen Erben nicht unbedingt ein heißes Schweizer Konto hinterlassen.
Das Kontrastprogramm zum Abkommen heißt für die Sozialdemokraten Steuer-CDs. Sie seien "das wirksamste Instrument gegen Steuerhinterzieher", bekräftigt der nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans. Damit aber fällt er Bundesfinanzminister Schäuble in den Rücken. Denn im ausgehandelten Abkommen mit der Schweiz verzichtet die Bundesregierung ausdrücklich auf den weiteren Ankauf gestohlener Datenträger.
Immer weniger Selbstanzeigen
Der Erfolg der CDs ist umstritten. Verurteilt wurden deswegen allein in NRW erst elf Beschuldigte, räumte Walter-Borjans unlängst auf eine Anfrage der Piraten ein. Allerdings haben sich seit 2010 ungefähr 6700 Steuerflüchtlinge in NRW, bundesweit rund 30 000, selbst angezeigt. Aus Selbstanzeigen, Geldbußen und Strafen nahm NRW seit Frühjahr 2010 insgesamt 570 Millionen Euro ein. Doch nach der ersten Flutwelle ist die Zahl der Selbstanzeigen zu einem Rinnsal geschrumpft.
Derweil gestaltet sich die Auswertung der Daten äußerst schwierig. So müssen die meist ungeordneten Datenfragmente aufwendig zusammengefügt werden, was mehrere Jahre dauern kann. Zum anderen können die Daten auch gefälscht sein. Vor Gericht haben sie jedenfalls keine Beweiskraft. Sie bilden lediglich Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen – oder für eine Hausdurchsuchung, wie im Fall des früheren Top-Managers Klaus Zumwinkel. In dessen Haus erst haben die Fahnder beweiskräftige Unterlagen sicherstellen können.
Kaltblütige bleiben in Deckung
"Die Steuer-CDs haben ihren Zweck erfüllt", sagt Koschyk auch mit Blick auf die vielen Selbstanzeigen. "Die CDs waren sicher ein Anlass, dass die Schweiz das Abkommen mit uns verhandelt hat, eine Zukunftslösung sind sie nicht", sagt Schäubles Staatssekretär. Und mit dem Abkommen könne man künftig "auch die ganz Coolen nachversteuern, die sich selbst von den Steuer-CDs nicht haben erschrecken lassen".
Die Kaltblütigen warten derweil ab, ob der Bundesrat dem Steuerabkommen mit der Schweiz überhaupt zustimmt. Falls ja, können sie sich immer noch selbst anzeigen für den Fall, dass sie sich dann besserstellen als bei der Pauschalsteuer von mindestens 21 Prozent auf alles. Falls nein, bleiben sie einfach weiterhin in Deckung.
SPD und Grüne wollen jeden Steuerflüchtling zur Kasse bitten
"Was wollen wir eigentlich?", fragt Koschyk angesichts dieser Hängepartie. "Wollen wir mit CDs einige Steuerhinterzieher von zwei oder drei Banken bestrafen? Oder wollen wir per Abkommen alle Deutschen bei 370 Schweizer Banken Steuern zahlen lassen?"
Doch SPD und Grüne sind fixiert darauf, jeden einzelnen Bundesbürger mit Schweizer Schwarzgeldkonten zur Rechenschaft zu ziehen, so hypothetisch dies auch sein mag. Im Feuereifer gegenüber den Eidgenossen übersehen sie, dass die EU-Mitgliedstaaten Österreich und Luxemburg in Sachen Transparenz weit weniger kooperativ sind als die Eidgenossen. Beide Länder sperren sich gegen einen automatischen Informationsaustausch, weil sie ihre Kunden nicht ans Messer der deutschen Finanzbehörden liefern wollen. In Österreich gibt es immer noch anonyme Sparbücher bis zu einer Höhe von je 15 000 Euro. Österreich und Luxemburg stehen genauso wie die Schweiz auf der OECD-Beobachtungsliste mit steuerrechtlichen Defiziten.
Die Verträge mit der Schweiz, Singapur und auch Montserrat fügen sich in Schäubles Strategie, die auf Peitsche und Zuckerbrot, Kommunikation und Kooperation aufbaut. Der steht die Schrotschuss-Politik von Walter-Borjans und Steinbrück diametral gegenüber. Setzt NRW weiter auf den Ankauf von Steuer-CDs und verweigert die Zustimmung zum deutsch-schweizerischen Abkommen, dann "führen wir den Status quo weiter", sagt der Schweizer Finanzstaatssekretär Ambühl. Dann gebe es keine Vergangenheitsregulierung, keine flächendeckende Nachversteuerung und nur Amtshilfe nach dem OECD-Mindeststandard.
Keine Frage: Ohne ein Abkommen mit der Schweiz bliebe Schäubles Strategie nur Stückwerk – doch mit dem Abkommen käme die Vertreibung der Steuersünder auch aus den letzten Paradiesen in Gang.