Steuerlast Bis heute haben Sie nur für den Staat gearbeitet

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Versteckte Lasten

Wo der Staat willkürlich abkassiert
Biersommeliers begutachten verschiedene Biere Quelle: dpa
Kaffeebohnen Quelle: dpa
Ein Kino in Hamburg Quelle: dpa
Ein Hirsch Quelle: dpa
Eine Disco in Stuttgart Quelle: dpa
Ein Pferderennen Quelle: dpa
Ein Mann sitzt in einer Kneipe Quelle: dpa

Insgesamt zahlen Bürger und Betriebe über eine Billion Euro pro Jahr an Fiskus und Sozialkassen. Und dies ohne großes Murren, ohne Aufstand. Denn natürlich gibt es Gegenleistungen: eine halbwegs intakte Infrastruktur, Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen, eine funktionierende Justiz und eine öffentliche Verwaltung. Dennoch sind mehr als 50 Prozent Abzüge vom Einkommen ein Batzen, den eigentlich kaum jemand freudig-freiwillig akzeptieren kann. Das weiß auch die Politik. „Wenn die Bürger wirklich mitbekommen, was sie dem Staat abgeben müssen, kriegen wir richtig Ärger“, meint ein Finanzpolitiker der schwarz-gelben Koalition, der lieber anonym bleiben möchte. Deshalb verschleiert der Staat, um ans Geld der Bürger zu kommen. Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, fragt bisweilen Schüler beim Besuch im Berliner Reichstag, ob sie schon Steuern zahlten. Auf deren Kichern hin hakt Fricke nach, wer denn heute einen Kaffee oder Brötchen gekauft habe – natürlich einschließlich Steuern. „Die jungen Leute sind dann baff und oft richtig sauer“, sagt Fricke.

Jährliche Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen

Beim Bäcker fällt der im Verkaufspreis versteckte Obolus noch nicht so ins Gewicht. Ein paar Brötchen und Croissants für 4,25 Euro enthalten nur 28 Cent Umsatzsteuer (ermäßigter Satz von sieben Prozent). Beim Kinderwagen für 429 Euro kassiert der Fiskus indes schon 68,49 Euro (19 Prozent), bei der 3080 Euro teuren Schrankwand fürs Wohnzimmer sind es 491,76 Euro. Dies bemerkt nur derjenige, der genau auf den Kassenbon schaut.

Besonders dreist langt Vater Staat beim Tanken zu. Wer einen Liter Super für 1,54 Euro tankt, unterstützt weniger den Tankwart, sondern vor allem den Fiskus – der nämlich kassiert über Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer und „Erdölbevorratungsabgabe“ stolze 0,90 Euro des Literpreises.

Versteckte Lasten treffen auch die Unternehmer. Nicht die Beschäftigten müssen ihre Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ans Finanzamt beziehungsweise die Sozialversicherungsträger überweisen. Nein, das müssen ihre Arbeitgeber machen, die die Abgaben berechnen und ihren Mitarbeitern vom Lohn abziehen. Die Hilfsdienste kosten die Wirtschaft jährlich über sechs Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft. Erstattet bekommen die Unternehmen davon: nichts. Bemerkenswerterweise kassieren die Finanzbehörden der Länder ihrerseits für das Weiterleiten der Kirchensteuer an die Religionsgemeinschaften bis zu 4,5 Prozent als Bearbeitungsgebühr. Bei den Zolleinnahmen, die der EU zufließen, behält der Bund sogar 25 Prozent zur pauschalen Abgeltung seiner Erhebungskosten ein, immerhin eine Milliarde Euro.

Das zweifelhafte Vergnügen, ihre Einkommen- und Umsatzsteuern sowie Versicherungsbeiträge selbst überweisen zu müssen, haben allein Selbstständige. Und sollte sich jemand mit der monatlichen Umsatzsteuervorauszahlung vertun oder bummeln, droht umgehend ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung.

Schuften für den Fiskus

In der Schweiz müssen Arbeitnehmer ihre Lohnsteuer selbst überweisen. Darauf weist Christoph Hild neidvoll hin, Steuerexperte beim Verband der Chemischen Industrie, dessen Mitglieder mit Unternehmen auf der anderen Seite des Bodensees in Wettbewerb stehen. Die Eidgenossen haben bis zum 31. März des Folgejahres eine Steuererklärung abzugeben und dann ihre Steuerlast zu begleichen. Die Arbeitgeber behalten nur Altersvorsorge- und Krankenversicherungsbeiträge ein.

Zur staatlichen Verschleierungstaktik zählt auch, die Kosten der Energiewende über staatliche Abgaben zu finanzieren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl führte 1991 das Energieeinspeisegesetz ein, Rot-Grün baute es zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) aus. Die Umlagen für Bürger und Betriebe – EEG-Umlage, Konzessionsabgabe, Aufschlag für Kraft-Wärme-Kopplung, Netzumlage und Offshore-Haftungsumlage – summieren sich 2013 auf fast 25 Milliarden Euro. Der statistische Schönheitseffekt: Sie alle gehören in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht zu den staatlichen Abgaben, weil der Geldfluss vom Kunden über den Netzbetreiber läuft, nicht durch öffentliche Kassen.

BdSt-Finanzexperte Volker Stern verzichtet deshalb darauf, die Energieumlagen in die Berechnung des Steuerzahlergedenktages einzubeziehen. Das ändert jedoch nichts am Charakter der Zwangsabgaben, für die Bürger und Betriebe gesamtwirtschaftlich gesehen mehr als vier Tage im Jahr arbeiten müssen. Folglich dürfen die Deutschen am 12. Juli ein weiteres Mal die Sektkorken knallen lassen.

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