Steuern, Strompreise, Klimapaket Altmaiers „Therapie“ gefällt der Industrie

Die Nationale Industriestrategie war stark kritisiert worden. Langsam nähern sich Verbände und Wirtschaftsminister Altmeier wieder an. Quelle: dpa

Die Kritik an Industriestrategie war heftig, nun nähern sich Bundeswirtschaftsminister und Verbände wieder an – auch vor dem Eindruck der Klimaproteste. Wie bleibt deutsche Wirtschaft stark?

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Die Kritik saß: „Der Entwurf wird den Perspektiven des industriellen Mittelstands nicht gerecht“, schalt Industrieverbandspräsident Dieter Kempf. Und fügte hinzu: Die „fehlgeleitete Renationalisierungspolitik anderer Länder“ zu kopieren, sei völlig falsch. Das war im Frühjahr, Kempf war zu Gast im Bundeswirtschaftsministerium – und seine Missbilligung galt der Industriestrategie des Hausherrn Peter Altmaier (CDU), die dieser einige Wochen zuvor vorgestellt hatte.

Darin hatte Altmaier vorgeschlagen, nationale Champions wie Siemens zu unterstützen und auch europäische Champions zu fördern. Einen Konzern beispielsweise, wie er sich aus dem Zusammenschluss der Bahnsparten von Siemens und Alstom ergeben hätte (den allerdings die Wettbewerbskommissarin der EU, Margrethe Vestager, verhinderte). Auch Altmaiers Idee, deutsche Unternehmen notfalls vor feindlichen Übernahmen zu schützen, indem der Staat sich beteiligt, kam bei vielen Industrievertretern nicht gut an. Der Staat wolle zu stark eingreifen, urteilten sie.

Nun trafen sich Kempf und Altmaier wieder, um über die deutsche Industrie zu sprechen – und diesmal waren sie einander spürbar freundlicher zugetan. In den vergangenen Monaten haben Mitarbeiter des Ministeriums, von Kempfs Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie Vertreter weiterer Verbände und von Gewerkschaften einen, wie Altmaier es nennt, strukturierten Dialog geführt, das heißt, miteinander diskutiert – wobei sich erst in einigen Wochen zeigen wird, an welchen Stellen sich der Minister überzeugen lässt, seine Strategie auch wirklich anzupassen.

Offenbar werden es einige sein, denn Kempf lobt nun bei der gemeinsam ausgerichteten Industriekonferenz in Berlin, mit „Stichtag heute“ sei man „deutlich zufriedener mit dem Endergebnis“. Die Situationsbeschreibung habe man mit dem Minister ja ohnehin von Anfang an geteilt: Dass die Welt einem rasanten Wandel unterliegt. Dass die auf Regeln aufbauende globale Marktwirtschaft immer mehr herausgefordert wird, weil einige Staaten, und zwar die starken, heute lieber ihre eigenen Regeln bestimmen wollen. Und dass die deutsche Wirtschaft daher sehen muss, wie sie sich weiter behaupten kann, zumal im Wettbewerb mit den Technologieführern aus den USA und China.

Klimapaket soll Konjunktur stützen

Nun hat man sich auch bei der „Therapie“, wie Kempf es nennt, angenähert. Wenig überraschend pochen Wirtschaftsminister wie BDI-Präsident darauf, die Besteuerung von Unternehmen zu reformieren und die Strompreise zu senken. Auch darüber, stärker als bislang privates Kapital zu mobilisieren, um es jungen Unternehmen zu ermöglichen, sich zu finanzieren, ist man sich einig.

Anders als bei anderen Treffen dieser Art ist allerdings, wie sehr die Klimademonstrationen der vergangenen Woche nachwirken. „Der umfassende Wandel“, sagt Altmaier, „ist auch getrieben von der Notwendigkeit, die Erderwärmung zu begrenzen.“ Sonst geht er in seinen Reden meist nur auf die Digitalisierung und die Plattformökonomie ein, durch die Arbeitsplätze wegfallen, neue Jobs aber nicht zwangsläufig am gleichen Ort entstehen. Nun verweist er auf die 54 Milliarden Euro, mit denen das Klimapaket bis 2023 finanziert werden soll: „Das stützt auch die Konjunktur.“

Dieter Kempf spricht sogar direkt die „Aktionsgruppen“ an – und gesteht ein, den Unternehmen gelinge es nicht wirklich besser als diesen Gruppen, die Mehrheit der Bürger mitzunehmen. Seine Erklärung: „Machen ist schwieriger als Campaigning.“ Wenn der Wandel, den man brauche, gelingen solle, müssten sich Unternehmen dieser Aufgabe aber stellen. Und, auch das hört man sonst selten von Kempf: Marktwirtschaft halte nicht per se für alles eine Lösung bereit, fügt er hinzu – deshalb habe man ihr in Deutschland das „soziale“ vorangestellt.

Standortanalyse: Technologieskepsis und Risikoaversion

Um seine Industriestrategie wissenschaftlich zu stützen, hat Altmaier beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel außerdem eine Standortanalyse in Auftrag gegeben. Auf den ersten Blick bietet der Zwischenbericht, den Institutspräsident Gabriel Felbermayr vorstellt, einiges Bekanntes: So überrascht es kaum, dass mehr als 80 Prozent der befragten Industrievertreter die digitale Infrastruktur in Deutschland als schlecht oder sehr schlecht einschätzen und fast zwei Drittel von ihnen so auch die Verfügbarkeit von Fachkräften bewerten.

Allerdings weist Felbermayr auch auf einen weniger augenfälligen Punkt hin: Eines von drei Kernproblemen seien Technologieskepsis und Risikoaversion, die in Deutschland weit verbreitet seien. Wer einmal beobachtet hat, wie in China die Menschen selbst beim kleinsten Stand eines Essensverkäufers mobil bezahlen können, weiß, was Felbermayr meint.

Die Demographie in Deutschland verstärke das Problem – denn je älter eine Gesellschaft, desto schwerer tue sie sich, technologische Veränderungen aufzunehmen. Felbermayr hält daher eine Reform des Bildungssystems für grundlegend: „um einen Mentalitätswandel zu fördern“.

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