Steuerpolitik Wie das Finanzamt die Krise verschärft

Der Fiskus gefährdet Betriebe durch den Entzug von Liquidität. Fesseln bei der Verlustverrechnung oder die Vorkasse für Sozialbeträge verschärfen die Krise.

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wittenstein Quelle: Wittenstein AG

Die Regierung, dein Freund und Helfer? Maschinenbauer Manfred Wittenstein mag daran nicht mehr glauben. Zwar hat die große Koalition gerade zwei Konjunkturprogramme für 80 Milliarden Euro verabschiedet. Doch in seinem eigenen Unternehmen, das in Baden-Württemberg mit 1400 Beschäftigten komplizierte Antriebssysteme produziert, erlebt Wittenstein den Staat eher als Bedrohung. Über 650.000 Euro Liquidität entzieht ihm die Regierung seit Januar 2006 durch eine einzige Gesetzesänderung. Damals beschloss die große Koalition, die Sozialversicherungsbeiträge von den Unternehmen früher abzukassieren. Statt zum 15. des Folgemonats müssen die Arbeitgeber seither drei Bankarbeitstage vor Monatsende die (voraussichtlichen) Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialkassen überweisen – und zwei Wochen später endgültig abrechnen.

Wittenstein, der auch Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) ist, hat für seine Branche ausrechnen lassen, was das Vorziehen der Sozialabgaben kostet: Rund eine Dreiviertelmilliarde beträgt das zinslose Darlehen, das der Staat dem Maschinenbau dauerhaft abverlangt. Für die Gesamtwirtschaft ergeben sich sogar 20 Milliarden Euro Liquiditätsverlust. Was für Wittenstein in guten Zeiten vorwiegend „bürokratischer Unfug“ war, bedeutet heute „eine unnötige Verschärfung der Wirtschaftskrise. Gerade jetzt ist doch Liquidität für uns Unternehmen das A und O“.

Falls es daran mangelt, droht die Pleite, so wie beispielsweise bei den Standard-Metallwerken in Werl. Der mit gut 500 Beschäftigten größte Arbeitgeber in der sauerländischen Stadt musste jetzt Insolvenz anmelden. Die seit 90 Jahren bestehende Rohrzieherei, die zu 80 Prozent die Autoindustrie beliefert, machte jahrelang gute Gewinne, „ist aber im Zuge der allgemeinen Krise mitabgesoffen“, sagt Finanzvorstand Rüdiger Siepmann. Die aktuellen Verluste hätte Siepmann früher mit vorangegangenen Gewinnen verrechnen und so die Insolvenz möglicherweise vermeiden können. Doch die Bundesregierung hat diesen Weg mit der Unternehmenssteuerreform 2008 leider verbaut. Die Regierung – kein Freund und Helfer.

Bundesregierung spielt tragische Rolle

Tatsächlich spielt die Bundesregierung in dieser Krise eine fast schon tragische Rolle. Sie müht sich, mit Rettungsschirmen und Konjunkturpaketen den Unternehmen unter die Arme zu greifen. Doch in den ersten drei Jahren ihrer Amtszeit hat die große Koalition Gesetze verabschiedet, die dem Staat zwar schnelle Einnahmen garantieren, den Unternehmen aber die nun überlebensnotwendige Liquidität entziehen. So hat sie die Abschreibungszeiten für Maschinen verlängert, die Verlustverrechnung erschwert und eine Zinsschranke eingeführt, wodurch Zinsaufwendungen nur noch bedingt mit den Gewinnen verrechnet werden können (WirtschaftsWoche 10/2009).

Der Staat zuerst – so scheint die Devise zu lauten. Wie hemmungslos der klamme Leviathan die Unternehmen anzapft, erlebt auch der Dortmunder Bauunternehmer Walter Derwald. Der Handwerker muss dem Fiskus ungefähr 600.000 Euro „Dauerkredit“ allein dadurch gewähren, dass er bei Rechnungslegung die Mehrwertsteuer abzuführen hat, obwohl die Kunden erst Wochen oder gar Monate später zahlen. „Wer oben an der Kreditlinie herumturnt“, sagt Derwald mit Blick auf liquiditätsschwache Unternehmen, „erleidet bei einem Schwächeanfall schnell Genickbruch.“

Auf Liquidität kann ein Unternehmen keinen Tag verzichten, während man sich mit mangelnder Rentabilität noch manchmal Jahre durchhangeln kann. Die bislang übliche Praxis, sich bei der Hausbank mal schnell einen Überbrückungskredit gewähren sich lassen, funktioniert seit Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr.

Die Liquiditätsklemme verschärfe die Wirtschaftskrise epidemisch, warnt der Berliner Wirtschaftsprofessor Joachim Schwalbach. Um ihren Cash-Flow über Wasser zu halten, kürzten die Unternehmen ihre Betriebsausgaben wo irgend möglich, ob bei Werbung und Marketing, Reisen oder Beratung. Dies habe mit nachhaltiger Unternehmensführung nichts zu tun, sondern sei ein blanker Überlebenskampf, in dessen Strudel immer mehr Unternehmen und Branchen gerieten.

Es ginge auch einfacher, schneller und zielgerichteter

Dem Liquiditätsproblem müsse die Bundesregierung deshalb höchste Priorität einräumen, sagt Schwalbach. Das tut die Regierung auch. Allerdings auf höchst komplizierte Weise. Sie hat einen 100 Milliarden Euro schweren „Wirtschaftsfonds Deutschland“ aufgelegt. Dieser soll in den nächsten Monaten Bürgschaften und Darlehen an Unternehmen verteilen, „die durch die wirtschaftliche Krise vorübergehend und unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind“, so Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Dazu müssen die Unternehmen Anträge stellen, die von regionalen Bürgschaftsbanken, Wirtschaftsprüfern (vor allem von der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers), einem fachlichen Lenkungsrat und einem politischen Lenkungsausschuss begutachtet und genehmigt werden.

Es ginge auch viel einfacher, schneller und zielgerichteter. Wittenstein, Derwald und den gut drei Millionen anderen Unternehmern würde die Bundesregierung unmittelbar und unbürokratisch helfen, wenn sie die Sozialabgaben wieder etwas später, die Mehrwertsteuer erst bei Zahlungseingang fällig stellen und Verlustverrechnungen zeitnah ermöglichen würden.

Abschreibungsraten im Vergleich

Chancen auf baldige Änderung gebe es insbesondere noch bei der Unternehmenssteuerreform, meint der Bundestagsabgeordnete Peter Rzepka, der für die CDU/CSU-Fraktion Berichterstatter für die Unternehmenssteuerreform 2008 gewesen ist. Zu offensichtlich sind die fatalen Folgen für die Wirtschaft. Die Reform der Unternehmenssteuern, für die große Koalition ein Kernstück ihrer vierjährigen Amtszeit, entpuppe sich als „existenzgefährdend“, konstatiert auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).

Anlässlich des parlamentarischen Verfahrens zum „Gesetz zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz)“ forderte IDW-Vorstand Klaus-Peter Naumann vorige Woche „steuerliche Sofortmaßnahmen zur Förderung der Unternehmensliquidität“. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag, Eduard Oswald (CSU), ließ Naumann kein gutes Haar an der Unternehmenssteuerreform, welche „die ohnehin bei vielen Unternehmen angespannte Liquiditätslage zusätzlich verschlechtert“.

Vor allem Fälle wie die Standard-Metallwerke in Werl hat Wirtschaftsprüfer Naumann vor Augen, wenn er fordert, den Verlustrücktrag wieder einzuführen. Derzeit sei „Unternehmen, die nach Jahren mit hohen Erträgen von der aktuellen Wirtschaftskrise betroffen werden und Verluste erwirtschaften, die Möglichkeit einer Verlustnutzung verwehrt, bis sie die Krise überwunden haben“, kritisiert Naumann. Falls sie die Krise überhaupt überwinden. Schnelle Hilfe sei daher die beste Hilfe, sekundiert Berthold Welling, Steuerexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der Charme des Verlustrücktrags bestehe darin, dass sich die Liquidität gleich verbessere.

Wirtschaft bittet händeringend um Korrekturen

Händeringend bitten die Wirtschaftsverbände und Unternehmer denn auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) um Korrekturen. Doch die Kraft dazu scheint in Berlin in den letzten sechs Monaten bis zur Bundestagswahl zu schwinden. Bezeichnend ist der Auftritt der Kanzlerin vor rund 100 Unternehmern Mitte März in München. Diese drängten hinter verschlossenen Türen auf Änderungen bei der Unternehmenssteuerreform. Merkel äußerte Verständnis für die Nöte – und forderte dazu auf, sich doch in Briefen an die SPD-Größen Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier (Kanzlerkandidat), Peter Struck (Fraktionschef) und Franz Müntefering (Parteichef) zu wenden.

Auf solch eine Idee ist auch schon der BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf gekommen. Er schrieb an die Finanz- und Wirtschaftsminister in Bund und Ländern. Doch an Peer Steinbrück perlen alle Einwürfe ab. Der Sozialdemokrat will mit Blick auf seinen klammen Staatshaushalt den Unternehmern nicht helfen, ja sogar Wahlkampf gegen jede Steuererleichterung für die Wirtschaft führen.

Dennoch glaubt CDU-Finanzpolitiker Rzepka noch an eine Korrektur der Unternehmenssteuerreform „bis zum Sommer“. Warum? „Weil der Druck in der Wirtschaftskrise steigt!“ Auch in der Unions-Fraktion steige derzeit die Unruhe, berichtet Rzepka. Selbst die USA machen jetzt bei der Bundesregierung Dampf. Bei seinem Amerikatrip bekam Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg in der vergangenen Woche auf Schritt und Tritt zu hören, Europa und Deutschland müssten noch mehr Geld zur Ankurbelung der Konjunktur in die Hand nehmen. Am 2. April, wenn sich in London die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften zum Weltfinanzgipfel treffen, könnte der Startschuss für ein weiteres Konjunkturprogramm gegeben werden. Warum eigentlich sollten dann in Deutschland nicht auch steuerliche Änderungen in einem solchen Paket enthalten sein?

Zu Guttenberg liegt auf der Lauer. Denn das Bundeswirtschaftsministerium hält die Liquiditätssorgen und -wünsche der Unternehmen nur für allzu berechtigt. In internen Vermerken weisen die Ministerialbeamten auf den „zusätzlichen Liquiditätsentzug in schwierigen Zeiten“ etwa bei der Zinsschranke hin. Doch zum jetzigen Zeitpunkt könnten entsprechende Forderungen nach Entlastung als Signal für ein Konjunkturpaket III missverstanden werden, heißt es bedauernd im Ministerium.

Sollte es dazu kommen, würde sich wohl auch der Bundesrat auf die Seite der Unternehmen schlagen. Schon bei der Verabschiedung des Konjunkturpakets II im Februar mahnte die Länderkammer auf Druck der FDP, „kontraproduktive Belastungen aufzuheben“. Darunter versteht der Bundesrat beispielsweise die restriktiven Abschreibungsbedingungen. Daneben könne eine „Verbesserung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gerade in einem Konjunkturabschwung beitragen“, schreibt der Bundesrat der Bundesregierung ins Stammbuch.

In einem Konjunkturpaket III wäre es an der Zeit, die liquiditätentziehenden Vorschriften generell zu entschärfen. In puncto Mehrwertsteuerabführung zum Zeitpunkt der Rechnungslegung (die sogenannte Soll-Besteuerung), unter der Mittelständler wie Bauunternehmer Derwald leiden, ist vor allem der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin aktiv. Rückenwind bekommt der ZDH dabei von der EU-Kommission in Brüssel. Diese empfahl vor vier Wochen, die Soll-Besteuerung für kleine und mittlere Unternehmen zu ersetzen durch eine Ist-Besteuerung – also die Abführung der Mehrwertsteuer erst dann, wenn der Unternehmer sein Geld vom Kunden tatsächlich bekommt.

Die EU-Kommission schlägt den Mitgliedsländern vor, die Ist-Besteuerung für Unternehmen mit Umsätzen bis zu zwei Millionen Euro einzuführen. In Deutschland gelten derzeit Obergrenzen von 250.000 Euro (West) und 500.000 Euro (Ost). Ginge es nach dem ZDH, so dessen Steuerexperte Matthias Lefarth, würde die Grenze auf eine Million Euro angehoben. Lefarth: „Das wäre für uns das beste Liquiditätsprogramm.“

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