Sogar die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reformkommission hat bislang nicht getagt. Zu groß ist offenbar Schäubles Angst vor „Oma Erna“, einer fiktiven älteren Dame mit Hund und der Gewohnheit, einmal in der Woche frische Blumen auf das Grab ihres verstorbenen Gemahls zu stellen. „Oma Erna“ geistert durch das Finanzministerium als Synonym für drohende öffentliche Widerstände, falls etwa der für Hundefutter und Schnittblumen geltende ermäßigte Mehrwertsteuersatz angehoben würde.
Im Bundestag schieben sich derweil die Koalitionspartner den Schwarzen Peter gegenseitig zu. Der FDP-Finanzexperte Daniel Volk sagt, die Reform habe sich erst einmal erübrigt, nachdem die Union klargemacht habe, es gebe mit ihr keine Änderung des Sieben-Prozent-Satzes bei Nahrungsmitteln und Kulturellem.
Vereinfachung durch einheitlichen Mehrwertsteuersatz
Der CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Meister meint dagegen, dass es nicht gelinge, ermäßigte Produkte an den regulären Steuersatz anzupassen, ohne gleich dem Vorwurf der Steuererhöhung ausgesetzt zu werden. Am liebsten würde Meister einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 16 oder 17 Prozent auf alles schaffen, verbunden mit einem Sozialausgleich für einkommensschwache Bürger, die von einer Beseitigung des ermäßigten Satzes besonders betroffen wären. Dann wäre auch Fleischer Nier geholfen, er hätte keine Abgrenzungsprobleme mehr. Aber der Bundesrat spiele hier nicht mit, bedauert der CDU-Finanzer und sieht in der Mehrwertsteuerreform nun eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.
Bis dahin werden sich die Volksvertreter weiter mit satireverdächtigen Einzelfällen beschäftigen. Am vorigen Mittwoch befasste sich beispielsweise der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Mehrwertsteuersatz für Pferde. Da die meisten von ihnen hierzulande der Freizeitgestaltung und nicht dem Verzehr dienen, verstößt der bisher ermäßigte Steuersatz nach einem EuGH-Urteil gegen das Gemeinschaftsrecht.
Gebt uns Rechtssicherheit
Das Thema Steuervereinfachung hat in der Wirtschaft inzwischen höchste Priorität. Robert Heller, früherer Mitarbeiter des Bierdeckel-Reformers Friedrich Merz (CDU) und heute Leiter der Steuerabteilung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK, fordert: „Gebt uns Rechtssicherheit!“
Das wünschen sich längst auch Finanzbeamte und Steuerberater. In den sich häufenden Zweifelsfragen, klagt der Lemgoer Steuerberater Becker, könne oder wolle ihm selbst das Finanzamt kaum noch verbindliche Auskünfte geben.