Steuerrecht Der Steuer-Wahnsinn eskaliert

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Rasterfahndung der Finanzbehörden

Künftig müssen Unternehmen viele Daten elektronisch den Finanzämtern übermitteln - Die Folge ist ein elektronisch auswertbarer Informationspool von noch nie bekanntem Ausmaß Quelle: dpa

Das maschinelle Risikomanagementsystem der Finanzbehörden funktioniert ähnlich wie die Rasterfahndung, die in den Siebzigerjahren im Kampf gegen die Rote Armee Fraktion eingeführt wurde. Dabei würden die Ämter ihre vernetzten Datenbestände und die Steuererklärungen von Bürgern und Unternehmen gezielt nach bestimmten Auffälligkeiten durchscannen, erklärt Alexander Oldenburg von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte.

Erleichtert wird die fiskalische Rasterfahndung durch die Einführung der E-Bilanzen. Unternehmen müssen den Finanzämtern künftig viele Daten elektronisch übermitteln. Kapitalgesellschaften, so Oldenburg, hätten bei der Bilanz rund 170 statt bisher 62 Pflichtfelder auszufüllen, bei der Gewinn-und-Verlust-Rechnung seien es über 210 statt 31 Positionen. Oldenburg: „Die Finanzämter erhalten einen elektronisch auswertbaren Informationspool von noch nie gekanntem Ausmaß.“

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In dem fischt der Fiskus nach Unregelmäßigkeiten. Die Suchfilter sind auf große Veränderungen gegenüber dem Vorjahr eingestellt oder auf ungewöhnliche Abschreibungen. Von eingekauften Pappschälchen und anderem Geschirr, beobachtet Steuerberater Becker, wird bei Metzgern etwa auf den Absatz im Außer-Haus-Verkauf geschlossen. Auch Geschäftskontakte zu einem Partyservice können Anlass zu weiteren Ermittlungen geben.

Tatsächlich dachte Fleischer Nier daran, für Teller, Tische und Lieferung einen externen Partyservice zu beauftragen. Doch selbst dieser Ausweg aus der 19-Prozent-Falle sei verbaut, erklärt Becker seinem Mandanten, weil der Fiskus auch in diesem Fall von der Gesamtheit der Leistung ausgehe – und 19 Prozent verlange.

Gefühlte Willkür des Steuerrechts

Nier ärgert sich also weiter. Ein bisschen Michael Kohlhaas blitzt aus den Fleischeraugen. „Es geschehe Recht, und wenn darüber die Welt zugrunde gehen sollte“, lautete die Devise des Pferdehändlers in der Novelle von Heinrich von Kleist. Damals kämpfte Kohlhaas gegen den aufziehenden Absolutismus – heute leidet Nier unter der gefühlten Willkür des Steuerrechts, in dem Finanzbeamte und -richter über Mehrwertsteuersätze entscheiden – oder über die Anerkennung von Fahrtkosten, Arbeitszimmern und Ausbildungskosten.

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