Steuerrechts-Experte Thomas Koblenzer "Auch der Fiskus muss sich an Recht und Gesetz halten"

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Finanzverwaltung irrt sich nie

Was kann der Staat denn tun, um Steuerhinterziehern mit Schweizer Konten auf die Schliche zu kommen?
Wenn der strafprozessuale Instrumentenkasten nicht ausreicht, dann ist der Gesetzgeber angehalten, die verfassungskonformen Grundlagen zu schaffen. Nur eins geht nicht: In Ermangelung der Rechtsgrundlagen darf die ausführende Gewalt in einem Rechtsstaat nicht zur Selbsthilfe greifen.

Nachdem das Steuer-Abkommen mit der Schweiz gescheitert ist, fragen sich viele, ob die beschuldigten Steuerfahnder jetzt nicht wieder fürchten müssen, in der Schweiz verhaftet zu werden.
Vom Grundsatz haben Sie Recht. Ich vermute allerdings, dass die Schweiz die Stimmung nicht weiter anheizen will. In der Schweiz sitzt ja zudem ein Mann in Haft, der glaubhaft belegt hat, dass er von NRW wegen seiner Steuerschulden unter Druck gesetzt wurde, um zu kooperieren. Der Mann ist soweit ich weiß Informatiker und wird von den Schweizer Behörden wohl als Zeuge dafür benannt, dass der BND quasi detaillierte Aufträge erteilt habe, welche Informationen bzw. Daten-CDs besorgt werden sollen. Ein über die strafrechtliche Wertung hinaus skandalöser Vorgang.

Michael Balke, Finanzrichter in Hannover, spricht ganz allgemein in Deutschland von „Steuer-Tyrannei“. Teilen Sie seine Auffassung?
Balke ist einer der wenigen Richter, die nur nach ihrer richterlichen Überzeugung handeln. Wenn er von Tyrannei spricht, dann meint er ein Phänomen, das ich auch feststelle: Die Finanzverwaltung hat eine enorme Machtfülle. Im Grunde genommen ist eine Gewaltenteilung in diesem Bereich nicht mehr vorhanden. Die Finanzverwaltung kann Forderungen selbst festsetzen, sie kann sie vollstrecken und sie kann die Strafverfolgung vornehmen. Es gibt also eine fast unkontrollierbare Machtfülle; und diese Machtfülle wird in der letzten Zeit extrem missbraucht, und zwar vor allem in NRW.

Wo Ihnen das Finanzamt Steuern schenkt
Unter einer Lupe sind mehrere Kontoauszüge zu sehen Quelle: dpa/dpaweb
Besen und Schneeschaufel Quelle: dpa
Ein Schild vor einem Kiosk wirbt für belegte Brötchen. Quelle: dpa
Leuchtanzeigen auf einer Schilderbücke über der Autobahn A8 München-Salzburg Quelle: AP
Menschen tippen an ihren Laptops. Quelle: dpa
Ein Plattenbau in Berlin-Reinickendorf Quelle: dapd
Der Briefkasten eines Finanzamtes Quelle: APN

Wie können Sie das belegen?
Die Anzahl der Steuerstrafverfahren im Rahmen von Betriebsprüfungen ist explosionsartig nach oben geschossen. Die Finanzverwaltung neigt dazu, im Zweifelsfall immer sofort ein Steuerstrafverfahren anzustrengen. Wenn wir z.B. in einer Betriebsprüfung sind und wir unterhalten uns über einen Betrag von 150.000 Euro, mit Hausdurchsuchung und allem Drum und Dran. Dann wird man versuchen, den Steuerberater der Beihilfe zu beschuldigen, weil der dann auch nicht mehr an seine Verschwiegenheitspflicht gebunden ist. Wenn also diese Betriebsprüfung in ein Steuerstrafverfahren übergeht, – und es gibt die Anweisung, beim kleinsten Verdacht ein Verfahren einzuleiten! – dann erhöht sich der Druck immens, denn bei 150.000 Euro droht Gefängnisstrafe, ab einer Million ohne Bewährung. Die wenigsten haben die finanzielle Möglichkeit, ihr Recht durch die Instanzen durchzukämpfen. Das kann zehn Jahre dauern.

Sieht die Finanzverwaltung nicht auch mal ein, wenn sie falsch liegt?
Nein, im Gegenteil. Am Ende ist der Steuerpflichtige genötigt, mit der Faust in der Tasche auf einen Deal einzugehen. Die Finanzbehörde weiß das und spielt das nach meiner Wahrnehmung zum Teil auch bewusst aus. Die wissen, dass sie – auch wenn sie im Unrecht sind! – immer noch was rausholen können, weil sich so einen langwierigen Prozess finanziell kaum jemand leisten kann. In NRW muss man von einer regelrechten Betriebsprüfungs-Orgie sprechen. Das permanente Misstrauen der Finanzbehörden stellt eigentlich jeden Bürger von vornherein unter Verdacht der Steuerhinterziehung. Bei einer Betriebsprüfung müsste der Prüfer von Rechts wegen auch mal etwas finden, wo der Geprüfte zu seinen Ungunsten etwas vergessen hat. Aber das ist ja nicht das Ziel einer Prüfung, sondern mehr Steuern einzunehmen. Und wenn der Prüfer nichts findet, werden irgendwelche Sachen konstruiert. Und in bestimmten Bereichen findet man immer etwas, z. B. im Bereich der Bewirtungsbelege und des Fahrtenbuchs. Das muss nicht immer einen vorsätzlichen Hintergrund haben. Viele Steuerpflichtige verzichten da lieber auf ihre Rechte, etwas von der Steuer abzusetzen.

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