Steuerrechts-Experte Thomas Koblenzer "Auch der Fiskus muss sich an Recht und Gesetz halten"

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Offenlegung ist nicht erwünscht

Haben Sie auch persönliche Erfahrungen dieser Art gemacht?
Ja. Bei mir wurde mal mein Fahrtenbuch nicht anerkannt, weil es unter anderem eine Ringbindung hatte. Im Gesetz steht an keiner Stelle, wie ein Fahrtenbuch auszusehen hat. Das basiert alles auf Verwaltungsanweisungen und Richterrecht. Danach muss das Fahrtenbuch in „gebundener“ Form geführt werden. An diesem Punkt wurde dann mit Blick auf das Missbrauchsrisiko behauptet, dass man eine Ringbindung aufbiegen und Seiten austauschen kann. Das können Sie aber nicht mit einem Bundestagsabgeordneten besprechen, weil der das nicht versteht. Er hat ja seine steuerfreie Pauschale von 48.000 Euro im Jahr, für die er keinen einzigen Beleg vorweisen muss. Der Unternehmer oder Freiberufler muss jeden Cent nachweisen. Solche grotesken Regelungen führen dazu, dass die Steuermoral sinkt. Es sind also nicht die Steuersätze, sondern der immense Aufwand, der dem Steuersystem geschuldet ist. Nachweispflichten, eine misstrauische Bürokratie und oft Schikanen ohne Ende.
Die Politiker kritisieren eine angebliche schlechte Steuermoral, scheren sich aber nicht um die Moral des Geldausgebens. Der Steuerzahler sieht, wie Milliarden in Rettungsschirmen oder in immer teurer werdenden Groß-Bauprojekten verbraten werden, und er selbst wird ständig verdächtigt, Steuern zu hinterziehen.

Könnte da ein einfaches Steuerkonzept à la Paul Kirchhoff helfen?
Vom Grundsatz her wäre das sehr gut möglich, diese Missstände zu beseitigen. Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, gut verdienenden Selbständigen anzubieten, den Umsatz mit 35 Prozent pauschal zu versteuern, ohne dass der Betreffende irgendwelche Werbungskosten oder Ausgaben absetzen kann. Ich bin sicher, dass da viele drauf eingehen würden.

Warum ist das Misstrauen gegenüber dem Steuerbürger nirgendwo so ausgeprägt wie in Deutschland?
Da gibt es schon Gründe. Es gibt ja durchaus Steuerhinterziehung. Wir haben durch die Zunahme der Betriebsprüfungen in NRW auch ein erheblich höheres Ergebnis erzielen können. Bei einem Arbeitnehmer ist die Möglichkeit, zu hinterziehen, eingeschränkt. Bei einem Unternehmen ist es oft keine Hinterziehung, sondern eine Interpretationsfrage. Wenn ein Unternehmen international arbeitet, geht es oft um Verrechnungspreise. Hier unterstellt das Finanzamt gerne prinzipiell, dass angeblich Gewinne ins niedriger besteuernde Ausland verlagert werden. Das muss natürlich nicht stimmen, aber es wird unterstellt. Was macht das Unternehmen? Es einigt sich notgedrungen auf einen Betrag, anstatt sich zehn Jahre mit der Finanzverwaltung herumzustreiten.

Die Verstecke der Schwarzgeld-Schmuggler
"Haben Sie Bargeld dabei?"Zöllner kontrollieren stichprobenartig, ob Reisende hohe Bargeldsummen im Gepäck haben. Die Kontrollen können direkt am Grenzübergang stattfinden, aber auch durch mobile Einsatztrupps, die einige Kilometer im Landesinneren lauern. Wer mehr als 10.000 Euro dabei hat, muss dies den Zöllnern mitteilen. Wenn Reisende schweigen und die Ermittler trotzdem hohe Summen finden, informieren sie per Kontrollmitteilung das Finanzamt des Betroffenen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Schmuggelroute Bregenz - Lindau: Besonders häufig sind die Zöllner an den Grenzen zu Luxemburg und der Schweiz unterwegs. Zahlreiche Bargeldfunde melden traditionell die Beamten aus der Region Lindau am Bodensee. Dort - im Dreiländereck Schweiz-Österreich-Deutschland - kommen zahlreiche Steuerflüchtige vorbei, die ihr Schwarzgeld zurück in die Heimat schmuggeln wollen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Daten-CD's schrecken Hinterzieher auf: 2010 war für Deutschlands Bargeld-Fahnder ein Rekordjahr. Die Tatsache, dass der deutsche Fiskus eine CD mit Kundendaten der Schweizer Großbank Credit Suisse gekauft hatte, schreckte zahlreiche Hinterzieher auf. Viele entschieden sich für eine strafbefreiende Selbstanzeige beim Finanzamt, andere versuchten, ihr Geld heimlich zurückzuholen. Aber längst nicht allen Steuersündern gelang es, durch die Zollkontrollen zu schlüpfen. Quelle: Reuters
Angst vor dem Abkommen:Auch 2011 blieb die Angst vor Entdeckung groß - vor allem wegen des Steuerabkommens, über das Deutschland und die Schweiz verhandeln. Es sieht eine engere Kooperation der eidgenössischen Banken mit deutschen Steuerfahndern sowie eine pauschale Strafsteuer für Schwarzgeld vor. Ob das Abkommen in Kraft tritt, steht aber noch nicht fest, da die SPD Nachbesserungen fordert. Quelle: dapd
Scheine ohne Ende: Allein die Fahnder im Großraum Lindau (Bodensee) stellten 2011 rund drei Millionen Euro Bargeld sicher und fanden in den Unterlagen von Reisenden Konto- und Depotauszüge, die auf ein Auslandsvermögen von satten 500 Millionen Euro hindeuten. Schätzungen zufolge dürften sich daraus Steuernachzahlungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich für den deutschen Fiskus ergeben - allein durch Funde in Lindau und Umgebung, wohlgemerkt. Quelle: dpa
Schlechtes Versteck im Koffer:Nur selten liegt das Bargeld ganz offen im Koffer wie im Fall dieses Krimi-Fans, den die Lindauer Zöllner kürzlich schnappten. Die meisten Schmuggler lassen sich bessere Verstecke einfallen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Cash am Körper: Großer Beliebtheit erfreuen sich Taschen, die unter der Kleidung ganz eng am Körper getragen werden. Anfang März erwischten Zöllner am Grenzübergang Bietingen einen 59-jährigen Metzgermeister aus Bayern, der 147.000 Euro in zwei Bauchtaschen schmuggelte. Wegen Nichtanmeldens des Bargeldes muss er nun ein Bußgeld zahlen, zudem wird sein Heimatfinanzamt informiert - dem er dann erklären muss, woher das Geld stammt. Quelle: Hauptzollamt Ulm

Warum wird das Flat-Tax-Steuermodell Kirchhof von vielen als ungerecht empfunden?
35 Prozent von einer Million sind nun einmal mehr als 35 Prozent von 50.000. Es geht doch letztlich nicht um die Höhe des Steuersatzes, sondern darum, wie viel der einzelne bezahlt. Es gibt eine politische Tendenz in Deutschland: Man will gar nicht die Offenlegung und Klarstellung der System-Ungerechtigkeiten, die in Richtung der Leistungsträger gehen. Man will die Leistungsträger stigmatisieren, weil man das System nicht ändern will. Die Politik will diesen nebulösen, nicht nachvollziehbaren Umverteilungstopf erhalten.

Umverteilung ist doch aber kein Selbstzweck, sondern notwendig, oder?
Wenn man das analysiert, wird schnell klar, dass 70 Prozent der Bevölkerung quasi alimentiert werden. Wir leisten uns einen Lebensstandard in der unteren Mittelschicht und in der Unterschicht, der weit über dem liegt, was diese Schichten zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Das ist auch in Ordnung, wir wollen ja nicht leben wie im Busch. Durch die unterschiedlichen Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt entsteht aber rein mathematisch ein Ungleichgewicht, das aufgefangen werden muss. Das funktioniert bislang durch Steuer-Umverteilung und durch Schuldenmachen.

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