
Föderalismus kann so ungerecht sein. Wie sehr haben SPD und CDU auf die Steuerschätzung des Bundes gehofft. Mehr Geld in den Kassen bedeutet mehr Geld für die langen Wunschlisten der Arbeitsgruppen. Jetzt steht fest: Ja, es gibt ein bisschen mehr Geld. Im Vergleich zur letzten Prognose im Mai rechnen die Steuerexperten bis 2017 mit bis zu 14 Milliarden Euro mehr. Aber die Mehreinnahmen fließen vor allem in die Länder- und Kommunalkassen.
Zweimal im Jahr schätzen Experten aus den Finanzministerien, der Bundesbank, dem statistischen Bundesamt und Forschungsinstituten die Steuereinnahmen im Land. Die Schätzung ist Basis für die Planung der öffentlichen Haushalte in Deutschland. In diesem Jahr aber hat die Steuerschätzung noch eine weitere Funktion: Sie ist ein Indiz dafür, wie viele Weihnachtsgeschenke die große Koalition den Bürgern machen kann.
Wie schön wäre es gewesen, wenn die ganzen schönen Mehreinnahmen direkt nach Berlin in den Bundeshaushalt geflossen wären. Dann hätten alle Koalitionäre einen weiteres Argument gehabt, mehr Ausgaben zu fordern. Jetzt müssen sie sich neue Wege ausdenken, wie sie die in den Arbeitsgruppen geschlossenen Kompromisse finanzieren können.
Denn der Bund bekommt nur ein Krümel des Kuchens: Grade mal 1,6 Milliarden Euro mehr als bisher geplant gehen in die Bundeskassen, 1,3 Milliarden Euro davon werden schon in diesem Jahr einfließen. Für die Koalitionsverhandlungen bedeutet das: Spielräume gibt es bei den Steuereinnahmen keine mehr. Deutschland habe dennoch eine gute Chance, im nächsten Jahr einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen, sagte Bundesfinanzminister Schäuble. „Aber wir dürfen die Chance nicht durch überzogene Ausgabenwünsche gefährden", mahnte er im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen.
Doch die Wunschliste von Schwarz-Rot ist lang: 6,5 Milliarden für die Mütterrente, 10 Milliarden für die Mindestrente, eine Erwerbsminderungsrente könnte bis zu 7,5 Milliarden kosten, die Wirtschafts-Gruppe wünscht sich 5,5 Milliarden, 7,5 Milliarden für Kinderfreibeträge und Kindergeld und 4 Milliarden für die Infrastruktur. Alles in allem summieren sich die vorgestellten Kompromisse und Ideen schon jetzt auf rund 50 Milliarden Euro.
Frage nach Finanzierung wird die schwerste Verhandlung





Die Frage nach der Finanzierung der vielen Wahlversprechen ist deshalb noch einer der schwierigsten Punkte in den Koalitionsverhandlungen. Zwar haben die Verhandlungsführer von Anfang an angekündigt, dass alle Vorschläge dem Finanzierungsvorbehalt unterliegen und am Ende von der Arbeitsgruppe Finanzen überprüft werden müssen, aber kaum eine Arbeitsgruppe wird ihre bereits lächelnd verkauften Verhandlungserfolge gerne zurücknehmen.
Die SPD wittert darin eine Chance: Sie will die Union dazu verleiten, doch noch die rote Linie der Steuererhöhungen zu überschreiten. „Auf Dauer führt die inzwischen ideologisch überhöhte Ablehnung gezielter Einnahmeverbesserung für notwendige Investitionen in eine Sackgasse", sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Die Arbeitsgruppe Finanzen hat derweil schon eine eigene Untergruppe gegründet, die sich mit der Frage auseinandersetzen soll, wie die Wunschlisten der Arbeitsgruppen finanziert werden sollen - wenn nicht über Steuererhöhungen.
Entscheidend werden die neuen Steuerschätzungen vor allem für die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales. Arbeitsministerin von der Leyen und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verhandeln dort über Rentenpläne. „Ausgesprochen schwierig" seien die Verhandlungen, sagte Von der Leyen zuletzt. Die Wunschliste der Arbeitsgruppe ist lang: Die Union will die Mütterrente, SPD die Rente ab 63 für Fachkräfte, beide zusammen wollen außerdem die Rente von Geringverdienern aufstocken. Um das zu finanzieren machen im Moment Planspiele die Runde, die Rentenbeiträge einzufrieren. Weil die Kassen voll sind, müssten die Beiträge laut Gesetz eigentlich bald gesenkt werden. Verhandlungsführerin von der Leyen blockte eine Diskussion um die Rentenbeiträge aber bis zum Bekanntwerden der Steuerschätzung ab.
Deutschland
Jetzt steht fest: Es sieht schlecht aus. Immerhin: Die Steuerexperten rechnen wie auch schon in ihrer Prognose im Mai mit weiterhin moderat steigenden Steuereinnahmen. Das bedeutet weitere Rekordsteuereinnahmen in den nächsten Jahren, solange das Wirtschaftswachstum weiter konstant bleibt. In diesem Jahr sollen 620,5 Milliarden Euro in die Kassen von Bund, Länder und Kommunen fließen. 2018 könnten es schon 731,5 Milliarden Euro sein. Dass sei allerdings nicht weiter aufregend, betonte Finanzminister Schäuble. Die Entwicklung sei bei stetigem Wirtschaftswachstum normal, größere Spielräume in der Finanzplanung ergäben sich daraus nicht. Die Frage bleibt, ob diese Botschaft auch bei allen Verhandlungsteilnehmern ankommt.