In Lübeck haben sich die Pessimisten durchgesetzt. Die Hansestadt war Tagungsort der 136. Steuerschätzung, auf deren Ergebnis Politiker und Bürger lange hingefiebert haben. Nun ist die Prognose öffentlich.
Danach werden Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr 510 Milliarden Euro Steuern einnehmen. Verglichen mit dem Aufkommen in 2009 von voraussichtlich 524 Milliarden Euro ist das wenig, heißt es nun verständnisvoll im ganzen Land. Wie bitte, wenig?
Auch wenn die Steuerzahler 2010 tatsächlich wie prognostiziert 14 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr in die Kassen der Finanzämter spülen, bleibt das Steueraufkommen im historischen Vergleich gewaltig.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind die Steuereinnahmen, von Ausnahmen abgesehen, nahezu stetig gestiegen. Noch 2006 lag die Summe knapp unter der 500-Milliarden-Euro-Grenze, und niemand zweifelte damals an der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates.
Doch nun instrumentalisieren einige Politiker den befürchteten Einnahmenrückgang, um Diskussionen über Steuerreformen und Entlastungen zu ersticken. Dabei hatten sie versprochen, sich nach der Steuerschätzung der Debatte zu stellen. Eine Ausrede, um unangenehme Wahrheiten bis nach der auch bundespolitisch bedeutenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu verschweigen?
Steuerzahler fügen sich in ihr Schicksal
Vielleicht. Doch die Treuherzigkeit, mit der sich die Mehrheit der Steuerzahler ihrem Schicksal als Melkkuh ergibt, lässt daran zweifeln, ob das Stimmvieh die Regierung tatsächlich für die hohe Abgabenlast strafen würde. Banker, Krisen, Griechen – da bleibt kein Spielraum für Steuersenkungen. Brave Bürger nicken und zahlen bereitwillig weiter.
Warum nur? Dass der wichtigste staatliche Einnahmeposten wegen der Wirtschaftskrise zusammenschmilzt, hätten selbst Steuerlaien vorhersehen können. Einige unumstößliche fiskalische Wahrheiten gelten unabhängig von den erstaunlich präzisen Prognosen der Steuerschätzer. Was wir schon immer über Steuern wissen wollten, müssen wir nicht die Experten aus Lübeck fragen.
Seit Jahrzehnten liegt der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stabil bei einem knappen Viertel. Das bedeutet: Wächst die Wirtschaftsleistung, nimmt der Staat hohe Steuern ein. Sinkt das BIP, müssen sich Kämmerer und Finanzminister mit weniger Einnahmen zufrieden geben.
Wachstum ist also das einzig nachhaltige Mittel, die Staatseinnahmen stabil zu halten. Um Kräfte für den Aufschwung zu entfesseln, müssen krisengebeutelte Unternehmen und Haushalte erstmal von Belastungen befreit werden. In guten Zeiten darf der Fiskus dann wieder mehr kassieren, um Reserven für spätere Krisen aufzubauen.
Davon abgesehen: Der Nutzen einer Steuerreform liegt nicht nur in der Entlastung. Es hilft schon, das undurchschaubare Dickicht der steuerlichen Bemessungsgrundlage zu lichten, absurde Steuerarten abzuschaffen und ungerechte Privilegien zu streichen.
Selbst eine aufkommensneutrale Reform könnte steuerrechtlich bedingte Verzerrungen unternehmerischer Entscheidungen aufheben und einen volkswirtschaftlich effizienteren Einsatz knappen Kapitals ermöglichen. Auch das bringt Wachstumspunkte.
Es reicht also nicht, nur am Tarifverlauf der Einkommensteuer zu basteln, wie es etwa die FDP als Mittelpunkt ihres Reformansatzes verkauft. Wer dagegen den deutschen Steuer-Dschungel durchforstet, wird schnell auf unzählige sinnlose und teure Paragraphen treffen. Diese beizubehalten, können wir uns nicht leisten.