




Nun erregen sich die Tugendwächter der Republik wieder. Kaum ist bekannt geworden, dass nun auch Alice Schwarzer und der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) Steuern über die Schweiz hinterzogen hatten, fordert der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann – an dieser Stelle stellvertretend genannt für viele -, das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige für Steuersünder in Frage zu stellen. Der Furor wiederholt sich, im vorigen Jahr entzündete er sich an Bayern Münchens Präsidenten Uli Hoeneß. Dabei vergessen die Tugendwächter – zu denen übrigens einst auch der frühere Zeit-Chefredakteur Theo Sommer gehörte, über den kürzlich bekannt wurde, dass er ebenfalls Steuern hinterzogen hatte -, dass die strafbefreiende Selbstanzeige an strenge Kriterien geknüpft ist. Zu denen gehört beispielsweise die Pflicht zur eigenen Aufarbeitung und zur umfassenden Dokumentation der Steuervergehen. Auch das ist einzigartig, denn bei jedem anderen Strafvergehen hat der Beschuldigte ausdrücklich das Recht, die Aussage zu verweigern. Wenn die Finanzämter und Staatsanwaltschaften statt dessen jedem Bürger seine Steuervergehen auf Jahre zurück nachweisen müssten, bräuchte es viele zehntausend Beamte. Und die könnten ohne Mitwirkung der Sünder selbst nur Bruchstücke zusammentragen. Und sie könnten nur einen Bruchteil der Steuersünder aufspüren. Denn wer keine Chance auf eine strafbefreiende Selbstanzeige hat, der kann gar nicht anders, als sich in die Furche zu ducken und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Die Finanzministerien von Bund und Ländern sehen denn auch keine Alternative zur strafbefreienden Selbstanzeige. Ein Verzicht darauf würde „eine deutliche Verschlechterung der Aufdeckung und Verfolgung von Steuerhinterziehungen zur Folge haben", heißt es im Zwischenbericht einer Facharbeitsgruppe. An dem Papier wirkten auch Mitarbeiter vom nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) mit, der bekanntermaßen nicht in dem Ruf steht, nachsichtig mit Steuerhinterziehern umzugehen. Interessant ist die Begründung der Beamten aus den Finanzministerien: „Trotz fortschreitender Technik und bestehender Amts- und Rechtshilfeabkommen erfahren die Strafverfolgungsstellen ganz überwiegend im Rahmen von Selbstanzeigen etwas über bislang unbekannte Steuerquellen." Darüber hinaus rechnen die Beamten damit, dass das Angebot von Steuer-CDs, die vor allem Nordrhein-Westfalens Finanzminister Walter-Borjans ankaufen lässt, „aufgrund der verstärkten Sicherheitsmaßnahmen der Kreditinstitute" zurückgehen dürfte.
In ihrer nüchternen Analyse sprechen sich die Beamten „nach Abwägung aller verfassungsrechtlichen, fiskalischen und administrativen Aspekte… für die Beibehaltung des Rechtsinstituts der strafbefreienden Selbstanzeige aus“. In ihrer Vorlage für die Staatssekretärsrunde empfehlen die Beamten allerdings einige Verschärfungen, darunter eine Verlängerung der Nachversteuerungsfrist von fünf auf zehn Jahre und eine Anhebung des Zuschlags von 5,0 auf 7,5 Prozent zusätzlich zum Versäumniszuschlag von 6,0 Prozent. Darüber kann man sicherlich reden. Sicherlich dürfte allein die Debatte darüber noch einmal einen Schub von Selbstanzeigen auslösen. Wenn dann immer noch jemand glaubt, sein Leben als Steuerhinterzieher weiterleben zu wollen, dann kann sich dieser nicht mehr damit herausreden, in den 80er Jahren hätten ja viele das getan, womöglich sogar aus Angst vor einem Einmarsch der Sowjets. Doch auch für notorische Steuersünder muss das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige bestehen bleiben. Im Übrigen hindert dies nicht den Staat, Hinterzieher aufzuspüren und anzuklagen – in diesen Fällen natürlich ohne Strafbefreiung.