Stickoxid-Belastung Noch fünf Tage warten – Fahrverbots-Urteil vertagt

Das Bundesverwaltungsgericht vertagt seine Entscheidung zu Diesel-Fahrverboten auf Dienstag. Die betroffenen Städte werden unruhig.

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Diesel-Fahrverbot: Noch fünf Tage warten – Diesel-Urteil vertagt Quelle: dpa

Leipzig Die Entscheidung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über Diesel-Fahrverbote für bessere Luft in Städten wird vertagt. Der 7. Senat will seine Entscheidung am 27. Februar um 12 Uhr verkünden, wie der Vorsitzende Richter, Andreas Korbmacher, am Donnerstag sagte.

Das Rechtsgespräch habe deutlich länger gedauert, als vorgesehen. Ursprünglich war für Donnerstag die Entscheidung angedacht.

Die Richter in Leipzig hatten zu entscheiden, ob das scharfe Schwert der Fahrverbote rechtlich zulässig ist, um die Grenzwerte zur Luftreinhaltung einzuhalten. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe unter anderem in Stuttgart und Düsseldorf, wo die Verwaltungsgerichte Fahrverbote als zulässiges Mittel betrachtete hatten.

Sie seien die „effektivste“ Maßnahme (Stuttgart) und müssten „ernstlich geprüft“ werden (Düsseldorf). Die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hatten Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt, um die Frage höchstrichterlich klären zu lassen.

Der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher verwies in der Verhandlung darauf, dass es nicht um die vielfältige Problematik des Diesels gehe, sondern allein um die Frage, ob Fahrverbote nach geltendem Bundesrecht zulässig seien.

Die Juristen der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg legten dar, dass aus ihrer Sicht der Rechtsanspruch nicht bestehe, da das Bundesimmissionsschutzgesetz den Ländern und Städten keine ausreichenden Möglichkeiten gebe, Fahrverbote auszusprechen.

Der Anwalt der Deutschen Umwelthilfe hingegen sah diese Möglichkeiten und erklärte, dass Grenzwerte schnellstmöglich eingehalten werden müssten. Es wurden mehr als drei Stunden Fragen des Europarechts, des Bundesimmissionsschutzgesetzes und der Straßenverkehrsordnung beraten. Es ging lange um die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs, schließlich könnten bis zu zehn Millionen Dieselfahrzeuge betroffen sein. Und es ging um die Frage, ob die Kommunen Fahrverbote überhaupt kontrollieren können.

Die Bundesregierung spielt seit Monaten auf Zeit. Sie lehnt es bislang ab, eine Verordnung auf den Weg zu bringen, die regelt, wie die Kommunen Fahrverbote umsetzen können. Dazu gehört etwa eine blaue Plakette, die der Deutsche Städtetag seit langem fordert. Erst im Wahlkampf gab es wegen des öffentlichen Drucks einen ersten Dieselgipfel mit den Autobauern, danach noch einen mit den Kommunen. Der nächste soll stattfinden, wenn eine neue Regierung endlich ihre Arbeit aufnimmt.

Die rund 70 Städte, die die von der EU vorgegebenen Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Stickoxide in der Luft überschreiten, stehen vor der Frage, ob sie als letzte Maßnahme auch Fahrverbote verhängen. Das aber würde allerdings die zehn Millionen Besitzer älterer Diesel vergrätzen.

Von „kalter Enteignung“ spricht etwa der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Und Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident in Baden-Württemberg, warnte vor einem Flickenteppich und forderte erneut eine Plakettenlösung des Bundes. „Anders ist das nicht zu händeln“, sagte er.


Was die betroffenen Kommunen fordern

Die Regierung muss einer Klage der EU vor dem Europäischen Gerichtshof zuvorkommen, die sie vermutlich verlieren würde: Der Gerichtshof hat Polen verurteilt, weil das Land zu wenig gegen Luftverschmutzung tut.

Der Bund hatte deshalb der EU-Kommission als Alternative zu Fahrverboten einen kostenlosen Nahverkehr ins Spiel gebracht. Diesen will er in fünf Städten testen. Von dem Plan der Regierung, dies in fünf Städten zu testen, sind aber weder die Nahverkehrsunternehmen noch die Städte begeistert. Sie wollen Fahrverbote anders verhindern.

Mannheim etwa versucht seit Jahren, den Autoverkehr zurückzudrängen und baut dazu den Nahverkehr und das Radwegenetz aus. Der Erste Bürgermeister Christian Specht hofft, dass Mannheim als Modellstadt, „kurzfristig innovative und vor allem wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in unserer Stadt anwenden zu können“.

Dazu zählt er nicht unbedingt einen kostenlosen Nahverkehr, mit dem die Stadt 80 Millionen Euro Fahrgeld einnimmt, dass dann der Bund zahlen müsste. „Sinnvoller erscheint es daher, Finanzmittel für den Ausbau der Infrastruktur und in die Beschaffung von Bussen und Bahnen bereitzustellen“, sagte Specht.

Reutlingen versucht auch in Zukunft ohne Fahrverbote auszukommen. „Das, was eine Stadt aus eigener Kraft tun kann, werden wir in Reutlingen tun“, sagte Oberbürgermeisterin Barbara Bosch. Es gelte, die Gesundheit der Bürger zu schützen. „Zugleich müssen wir aber auch darauf achten, unsere Innenstadt nicht lahmzulegen“, sagte sie. „Die Vermeidung von Fahrverboten bleibt daher ein zentrales Thema für die Stadt.“ Allerdings sollen durchfahrende Lkw aus der Stadt verbannt werden.

Der Verband der Verkehrsunternehmen fordert ein Sofortprogramm zur Luftreinhaltung. Dazu gehört als erste Maßnahme, den Kauf von 1000 modernen Dieselbussen durch den Bund zu fördern. „Wir benötigen jetzt wirksame und kurzfristig umsetzbare Maßnahmen, wenn Fahrverbote vermieden werden sollen“, erklärte VDV-Präsident Jürgen Fenske.

In Herrenberg fordert Bürgermeister Tobias Meigel ebenso wie Verbraucherschützer, dass die Hersteller im Falle von Fahrverboten Nachrüstungen von Dieseln verpflichtend anbieten und finanzieren – „schließlich sollen Fahrverbote nicht auf dem Rücken der Autobesitzer ausgetragen werden.“

Die Kommunen sehen allesamt die Hersteller in der Pflicht, bei der Lösung des Problems zu helfen. Die aber sperren sich bislang. So lehnen sie etwa ab, ältere Dieselfahrzeuge umzurüsten.

Sieben bis 14 Milliarden Euro würde es laut Experten kosten, alle zehn Millionen betroffenen Fahrzeuge umzurüsten. Eine Expertengruppe beim Bundesverkehrsministerium geht von Kosten von 1500 bis 3000 Euro je Fahrzeug aus.

Laut Daimler würde die Entwicklung und Zulassung von Nachrüst-Kits mindestens zwei bis drei Jahre dauern. Auch gebe es keine gesicherten Erkenntnisse, wie die Nachrüstung im Dauerbetrieb funktioniert und das Fahrzeug beeinflusst. Daher setzt Daimler auf Software-Lösungen. „Im Durchschnitt von über drei Millionen Mercedes-Benz-Fahrzeugen sorgen sie für eine Verringerung der Stickoxid-Emissionen um 25 bis 30 Prozent im normalen Fahrbetrieb“, erklärte ein Sprecher. 

Bei BMW hieß es, Nachrüstungen bei Prototypen seien „relativ einfach“. Für eine Serienentwicklung seien aber drei bis vier Jahre nötig. „Hardware-Nachrüstungen bedeuten generell mehr Gewicht, mehr Verbrauch und Auswirkungen auf die Leistung“, gab ein Sprecher zu Bedenken. „Damit sind die Forderungen der nach unveränderten Fahrzeugeigenschaften nicht haltbar und eine erneute Zulassung ist unvermeidbar“.

Doch auch bei der Frage will die Deutsche Umwelthilfe nicht nachlassen. Mit Fahrverboten hätten „Eigner ein Recht darauf, bei Herstellern Nachbesserung zu fordern oder eben eine Rückgabe“, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

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