Straftaten in sozialen Netzwerken „Man kann Telegram nicht abschalten“

Jochim Selzer vom Chaos Computer Club. Quelle: Presse

Auf Telegram breiten sich auch Kriminelle aus. Wie können strafbare Inhalte gelöscht werden, wenn der Anbieter nicht kooperiert? Jochim Selzer vom Chaos Computer Club erklärt, warum der Staat machtlos ist.

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Der Messengerdienst Telegram hat mehr als eine halbe Milliarde Nutzer weltweit. Per Telegram können Oppositionelle in Diktaturen kommunizieren, per Telegram können aber auch Morddrohungen verschickt, Fake News verbreitet, Drogen verkauft werden. Seit Monaten versucht die Bundesregierung, Telegram dazu zu bringen, Einträge zu löschen und Nutzerdaten von Verdächtigen zu übermitteln. Ohne Erfolg. In einem Interview erwog Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Abschaltung des Dienstes in Deutschland. Doch geht das überhaupt? Ein Interview mit Jochim Selzer vom Chaos Computer Club. 

WirtschaftsWoche: Herr Selzer, die Plattform Telegram steht in der Kritik, weil Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Drogendealer und Querdenker dort unbehelligt ihr Unwesen treiben. Telegram scheint sich bislang nicht um die Beschwerden deutscher Behörden zu kümmern. Deshalb steht die Drohnung einer Abschaltung im Raum. Wäre das technisch überhaupt möglich?
Jochim Selzer: Man könnte auf deutsche Telekommunikationsprovider wie die Telekom zugehen und den Zugriff auf die Serverinfrastruktur von Telegram sperren lassen. Das ist technisch möglich – aber es besteht die Gefahr, dass die Provider mehr sperren, als sie sperren sollten. Die russische Regierung hat vor einigen Jahren versucht, Telegram zu sperren – vergeblich. Telegram konnte auf andere Server ausweichen und war weiter in Russland verfügbar. Kurzum: Man kann Telegram nicht abschalten.

Was halten Sie grundsätzlich von der Idee, Telegram abzuschalten?
Das lehne ich ab. Telegram ist ein Medium, das von vielen Millionen Menschen legal und legitim benutzt wird. Eine Abschaltung würde diese Nutzer genau so treffen. Und die Verschwörungstheoretiker und Verbrecher würden einfach ein anderes Kommunikationsmittel nutzen. Es gibt eine alte Hacker-Binse: Ein gesellschaftliches Problem kann man nur begrenzt mit technischen Mitteln lösen. Wir tun so, als sei Telegram das Problem. Tatsächlich ist Telegram nicht das Problem, sondern das Symptom.



Die Bundesregierung hat den Druck auf Telegram erhöht, indem sie auf Apple und Google zugegangen ist. Die haben Telegram in ihren App-Stores…
Der Weg über Apple und Google ist effektiver. Es wäre relativ einfach, Telegram aus den App-Stores zu werfen. Die Frage ist nur, ob Google und Apple das auch machen, ob der Verstoß gegen die Nutzungsrichtlinien so groß ist, dass sich der Rausschmiss rechtfertigt. Allerdings wäre das dann nur ein Rausschmiss aus dem deutschen App-Store – in anderen Ländern wäre Telegram weiter erhältlich. Unter Android lässt sich Telegram darüber hinaus über alternative App-Stores wie F-Droid beziehen.
Was wäre, wenn europäische Behörden einen Server von Telegram beschlagnahmen?
Der Betrieb würde ganz normal weiterlaufen, andere Server in anderen Staaten übernehmen dann die Arbeit. Theoretisch wäre es möglich, dass die Behörden auf einem beschlagnahmten Server die nur auf dem Transportweg verschlüsselten Nachrichten und Kanäle mitlesen. Ich nehme allerdings an, dass Telegram für diesen Fall vorgesorgt hat und einen kompromittierten Server aus dem Verbund herauslösen kann, so dass er keine Nachrichten mehr verarbeitet.

Kennen Sie Fälle, in denen sich Telegram doch noch bewegt hat?
Es scheint Fälle zu geben, in denen sich Telegram entgegenkommend gezeigt hat. Ich habe gesehen, dass bestimmte Telegram-Kanäle auf Android-Handys einsehbar sind – über iPhones hingegen nicht. Das kann bedeuten, dass in diesem Fall Apple Druck auf Telegram ausgeübt hat – und dass Telegram nachgegeben hat.

Mehr zum Thema: Christoph Hebbecker von der Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Kriminelle auf Telegram. Im Interview erklärt er, wie schwer es ist, die Täter zu identifizieren – und was er sich von der Politik wünscht.

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