Straftaten-Statistik Osten ist Spitzenreiter bei Gewalt gegen Flüchtlinge

Anschläge, Steinwürfe, Schüsse: Auch in diesem Jahr sind Flüchtlinge Ziel von Attacken gewesen. Die meisten Straftaten wurden in Brandenburg registriert. Eine Studie sieht einen Zusammenhang mit Hassparolen der AfD.

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Zwar ist die Zahl der Straftaten insgesamt zurückgegangen, Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gibt es aber weiterhin. Quelle: dpa

Berlin Bundesweit gibt es nach Erhebungen der Amadeu Antonio Stiftung und von Pro Asyl jeden Tag durchschnittlich mehr als vier flüchtlingsfeindliche Straftaten. Wie die Organisationen unter Verweis auf eine gemeinsame Chronik mitteilten, sind in Relation zur Einwohnerzahl die Neuen Bundesländer „allesamt traurige Spitzenreiter“ bei Straftaten gegen Flüchtlinge.

Dabei führt Brandenburg mit 85 Fällen je Million Einwohner die Liste an, gefolgt von Sachsen (61 Fälle je Million Einwohner) und Sachsen-Anhalt (55 Fälle je Million Einwohner). Die im Vergleich zur Einwohnerzahl wenigsten Fälle von Gewalt gegen Flüchtlinge sind für Bremen dokumentiert (3 Fälle je Million Einwohner) sowie für Nordrhein-Westfalen (5 Fälle je Million Einwohner) und Hamburg (7 Fälle je Million Einwohner).

Deutschlandweit wurden laut den Organisationen in diesem Jahr mehr als 1.700 Straftaten registriert, die sich gegen Flüchtlinge oder deren Unterkünfte richteten. Im vergangenen Jahr seien es über 3.700 gewesen. Selbst wenn die Zahl der Übergriffe im Vergleich wieder zurückgehe, könne von Entwarnung keine Rede sein. „Rassistische Gewalt gegen Asylsuchende bleibt ein deutschlandweites Problem“, sagte der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank. Rassistisch motivierte Täter verübten Anschläge auf bewohnte Unterkünfte und nähmen dabei den Tod von Menschen in Kauf. „Dass Brandanschläge und gewaltsame Angriffe auf Geflüchtete heute kaum noch eine Randnotiz wert sind, ist Teil des Problems“, kritisierte Reinfrank.

Besonders erschreckend sei die „Willkür und Brutalität“ mit der gegen Asylsuchend vorgegangen werde, erklärten die beiden Organisationen. Beispielhaft nannten sie zwei Fälle aus den vergangenen Wochen des Jahres 2017. So sei etwa einem Flüchtling im mecklenburg-vorpommerschen Neubrandenburg „unvermittelt“ mit dem Hammer mehrmals ins Gesicht geschlagen worden. Im niedersächsischen Burgdorf hätten Angreifer einen Flüchtling niederschlagen und anschließend ihre Hunde auf ihn gehetzt.

Unter den 1713 in diesem Jahr dokumentierten Fällen befinden sich den Angaben zufolge 23 Brandanschläge und 1364 andere Übergriffe wie Sprengstoffanschläge, Steinwürfe, Schüsse, aber auch Hakenkreuz-Schmierereien, andere Formen von Volksverhetzung und Hass-Propaganda. Daneben dokumentiert die Chronik 326 tätliche Übergriffe, darunter Angriffe mit Messern, Schlag- oder Schusswaffen und Faustschläge. Für das Vorjahr 2016 dokumentierte die Chronik insgesamt 3768 flüchtlingsfeindliche Vorfälle, davon 116 Brandanschläge und 595 tätliche Übergriffe.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) hatte zuletzt von rückläufigen Zahlen gesprochen. Das BKA zählte bis 18. Dezember 2017 insgesamt 264 entsprechende Straftaten, fast alle (251) begangen von rechtsmotivierten Tätern. Damit ist die Anschlagszahl auf rund ein Viertel der Vorjahre gefallen. In den Jahren starken Flüchtlingsandrangs 2015 und 2016 waren es jeweils rund 1000 Taten (995 und 1031), wie das BKA mitteilte.

Ein Hauptgrund für den Rückgang dürfte die Entwicklung des Flüchtlingszustroms sein: Inzwischen schaffen es weit weniger Flüchtlinge in die EU und nach Deutschland. Viele Notunterkünfte konnten deshalb geschlossen werden.

Zu den registrierten Delikten zählen Propagandataten wie etwa Schmierereien (84), Sachbeschädigungen (65) und Gewalttaten (39). In 16 Fällen von Gewaltdelikten versuchten die Täter Flüchtlingsheime in Brand zu stecken. Zweimal kam es zu Explosionen, jeweils an Neujahr: in Kraichtal in Baden-Württemberg und in Altusried in Bayern. In Altusried ließen die Täter einen nicht frei verkäuflichen Böller in einem Standaschenbecher vor dem Heim hochgehen. Der Eingangsbereich wurde demoliert; verletzt wurde niemand.


Maas: „Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit bleibt beschämend“

Die Bundestagsabgeordnete Petra Pau von den Linken hält den Rückgang der Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte für erfreulich, verweist aber auf eine Zunahme von Angriffen auf Asylbewerber außerhalb der Heime. In den ersten drei Monaten seien 318 Menschen angegriffen und 54 verletzt worden. Im dritten Quartal seien es schon 425 Angriffe und 76 Verletzte gewesen.

„Das sagt etwas über die gesellschaftliche Stimmung aus. Übergriffe auf Flüchtlinge oder vermeintliche Flüchtlinge haben etwas mit Veränderungen des Klimas zu tun“, sagt Pau. Dazu habe der Wahlkampf mit Flüchtlingsthemen beigetragen. Und das gehe nicht nur auf die AfD zurück. „Wir sind alle gut beraten, keine Kontroversen über dieses Thema auszutragen.“

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Das Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit bleibt beschämend für unser Land. Die Täter müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.“

Zu den schwerwiegendsten Anschlägen zählten 2017 Übergriffe in Kremmen in Brandenburg, in Artern in Thüringen und Neuenstein in Baden-Württemberg. In Kremmen warfen die Täter in der Nacht zu Ostersamstag Brandsätze auf ein Heim. Sicherheitspersonal konnte das Feuer vor dem Gebäude löschen. Zwei Verdächtige wurden später gefasst und kamen in Untersuchungshaft. Es geht um versuchten Mord, versuchte schwere Brandstiftung und Verstoß gegen das Waffengesetz.

Einen Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen Flüchtlinge und flüchtlingsfeindlicher Hetze der AfD hat die University of Warwick festgestellt. Die Wissenschaftler haben dazu auf Basis der Daten der Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl die Verbindung von Hasskommentaren auf der Facebook Seite der Alternative für Deutschland (AfD) und Übergriffen auf Flüchtlinge in Deutschland untersucht.

Die Studie unter dem Titel „Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime“ sieht demnach eine „starke Verbindung“ zwischen Kommentaren zu Flüchtlingen auf der Facebook Seite der AfD und zu rassistischen Übergriffen. Demnach finden Übergriffe auf Flüchtlinge gehäuft in den Wochen statt, in denen auch mehr Hasskommentare über Flüchtlinge auf der AfD-Facebook-Seite gepostet wurden. Die Forscher sehen insgesamt einen „spezifischen Effekt rechtsgerichteter Aktivität“ in sozialen Netzwerken.

Die Datengrundlage der von den beiden Organisationen erstellten Chronik sind öffentlich zugängliche Berichte in Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen der Polizei sowie Meldungen lokaler und regionaler Register- und Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

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