Jeder Autofahrer kennt das: Im letzten Moment die Radarfalle am Straßenrand entdeckt, den Wagen gerade noch rechtzeitig runtergebremst, um danach gleich wieder mit Vollgas zu beschleunigen. Das wird beim Streckenradar, den das Bundesland Niedersachsen als erstes Bundesland testen will, nicht mehr möglich sein.
Dabei wird die Geschwindigkeit von Autofahrern über einen längeren Abschnitt kontrolliert - und das funktioniert so:
Eine Kamera fotografiert jedes Fahrzeug am Beginn des Abschnitts von hinten. Die Daten sollen verschlüsselt zwischengespeichert werden. Am Streckenende wird das Auto erneut erfasst. Wenn ein Fahrzeug die Strecke in einer Zeit zurücklegt, die nur durch die Übertretung des Tempolimits erreicht werden kann, wird das Kfz-Kennzeichen gespeichert.
Heißt konkret: Dann wird das Fahrzeug auch von vorne geblitzt, mit Fahrer und amtlichem Kennzeichen. Das Knöllchen, unter Umständen mit einem Fahrverbot, folgt dann wenig später.
Der Feldversuch in Niedersachsen soll mit einer Ausnahmegenehmigung im Frühjahr 2015 etwa 18 Monate lang auf einer Außerortsstrecke stattfinden. Dort werden die Fahrer deutlich auf diese Form der Kontrolle hingewiesen.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat glaubt, dass man durch die Messung der Geschwindigkeit über einen längeren Abschnitt ein besseres Bild des jeweiligen Fahrverhaltens erhält. Darüber hinaus entfalle das übliche Abbremsen und anschließende Beschleunigen im Bereich stationärer oder mobiler Punktmessungen.
Der Strecken-Radar bietet die Möglichkeit, stark gefährdete Autobahnabschnitte wirkungsvoller zu überwachen. In Gefahrenbereichen wie zum Beispiel Unfallhäufungsstrecken, Tunnelanlagen oder Baustellen werde die Verkehrssicherheit effektiv erhöht.
Technisch soll das System aus drei untereinander vernetzten Kameras bestehen. Zwei Kameras nehmen das KFZ-Kennzeichen bei Ein- und Ausfahrt des Kontrollabschnittes auf. Eine dritte Kamera fotografiert den Fahrer, wenn dieser zu schnell durchgefahren ist.
Entsprechendes Equipment produziert die Firma Vitronic, die auch die Kamera-Systeme für die Maut-Kontrollbrücken auf deutschen Autobahnen liefert. In dem Pilotversuch werden die strengen Vorgaben des deutschen Datenschutzes eingehalten, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD). Sollte sich das mit einer Ausnahmegenehmigung zugelassene Pilotprojekt bewähren, müsste entweder bundesweit das Straßenverkehrsgesetz oder nur in Niedersachsen das Gefahrenabwehrgesetz angepasst werden. Darin ist das problematische KFZ-Scanning geregelt.
Vier Bedingungen für den Modellversuch
2009 hatte sich der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) für einen Modellversuch in einem Bundesland ausgesprochen und dafür vier Bedingungen formuliert:
- Das Streckenradar soll auf Strecken zulässig sein, auf denen häufig Unfälle passieren.
- Die Daten dürfen nur für die Geschwindigkeitsüberwachung verwendet werden.
- Die Fahrzeugdaten müssen sofort automatisch und spurlos gelöscht werden, wenn kein Tempoverstoß vorliegt.
- Der überwachte Streckenabschnitt soll gut beschildert sein.
Das Verfahren wird bereits erfolgreich in europäischen Nachbarländern eingesetzt. Nach Angaben des Europäischen Verkehrssicherheitsrates (ETSC) halbierten sich in Österreich auf einem Tunnelabschnitt der Donauufer-Autobahn in Wien seit Einführung der Section Control die tödlichen Unfälle. Unfälle mit Personenschaden gingen um ein Drittel zurück.
Auch das Pilotprojekt auf zwei Autobahnabschnitten in der Schweiz brachte positive Ergebnisse für die Verkehrssicherheit: Die Anzahl der erfassten Geschwindigkeitsüberschreitungen durch Pkw sank um 30 bis 40 Prozent, der Verkehrsstrom wurde flüssiger. Bei Fahrzeugen, die mehr als zehn Kilometer pro Stunde zu schnell waren, wurde sogar ein Rückgang von bis zu 60 Prozent erreicht. In den Niederlanden wurden nach der Installation des Systems an einer Autobahn im Jahr 2002 nur noch 0,5 Prozent Geschwindigkeitsübertretungen registriert, die Zahl der Verkehrsunfälle sank dort um 47 Prozent.
In Italien haben notorische Raser den Streckenradar aber schon überlistet: Sie durchrasen den ersten Teil der Strecke mit hoher Geschwindigkeit. Danach trinkt der Fahrer an einer Raststätte einen Espresso. Danach fährt er die radarkontrollierte Strecke zu Ende - und liegt dank der Pause unter der Geschwindigkeitsbegrenzung.