Streit in der Union Wenn Seehofer Merkel (nicht) demontiert…

Ein Jahr vor der Bundestagswahl verliert die Union eine Wahl nach der nächsten. Wenn Angela Merkel und Horst Seehofer ihren Streit nicht beilegen, droht der Partei ein Fiasko. Nur: Was will der CSU-Chef eigentlich?

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Flüchtlingskrise: Angela Merkel und Horst Seehofer sind sich weiterhin uneinig. Quelle: dpa Picture-Alliance

Angela Merkel und Horst Seehofer legen in diesen Tagen ein beeindruckendes Schauspiel hin. Inhaltlich trennt die beiden nicht viel, dennoch streiten sie um Worte und ringen sich gegenseitig öffentliche Zugeständnisse ab. Am Donnerstag treffen sich die beiden, um über die vertrackte Lage zu beraten.

Was passiert ist: Einen Tag vor der Wahl in Berlin sagt die Kanzlerin der WirtschaftsWoche, ihr Satz „Wir schaffen das“ sei zu einer „Leerformel“ geworden, weshalb sie ihn kaum noch wiederholen mag. Dann erleidet die CDU in der Hauptstadt eine bittere Niederlage und Merkel legt mit einem Entschuldigungs-Reigen nach. Die Flüchtlingskrise habe ihre Regierung „eher unvorbereitet“ getroffen. Wenn sie könnte, würde sie die Zeit um viele Jahre zurückdrehen.

Merkel hat sich nicht dafür entschuldigt, dass sie die Flüchtlinge ins Land gelassen. Für den zeitweiligen Kontrollverlust an den deutschen Grenzen aber schon – ein Novum. Dabei hat die Kanzlerin ihre Politik längst geändert. Mit der Türkei hat sie im Namen der EU ein Abkommen geschlossen, wodurch die Zahl der ankommenden Flüchtlinge massiv reduziert werden konnte. Tagtäglich kommen noch maximal 100 Flüchtlinge und Migranten ins Land. Vor einem Jahr waren es zu Hochzeiten bis zu 10.000 Menschen.

Die Union hat seitdem massiv Wähler an die AfD verloren. Der Merkelsche Politikwechsel ist in der breiten Bevölkerung schlichtweg noch nicht angekommen. Besonders Merkels Satz, Deutschland könne nicht kontrollieren, wie viele Menschen ins Land kämen, sei bei vielen Bürgern schlecht angekommen und halle nach, meint Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin.

Wie können Merkel und Seehofer ihr Gesicht wahren?

„Das war ein Armutszeugnis für die Politik“, sagt der Politikwissenschaftler. Politik müsse schließlich Probleme lösen.

von Gregor Peter Schmitz, Sven Prange

Genau das ist Horst Seehofers Punkt. Er hält Merkels Flüchtlingspolitik im Kern für falsch und glaubt nicht, dass sich mit ihrer Haltung die Wahl im kommenden Jahr gewinnen lässt. „Merkel muss klar machen, dass sie die Dynamik von 2015 unterschätzt hat. Und Seehofer muss das Wort Obergrenze aus seinem Wortschatz streichen.“, sagt Niedermayer. Nur so könnten beide ihr Gesicht wahren und den Streit beilegen.

Für den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr empfiehlt der Wissenschaftler eine Doppelstrategie. „Merkel und Seehofer müssen klar machen, dass beide für die Union sprechen.“ Merkel könnte sich weiterhin als liberale und weltoffene Politikerin präsentieren. Und mit Seehofer hätte sie jemanden an der Seite, der konservative Wähler anspricht. „Sie dürfen sich nicht in Widersprüchen verfangen, aber durchaus unterschiedliche Akzente setzen“, sagt Niedermayer.

Worum geht es Seehofer - Bayern oder Berlin?

Die Frage ist, ob die beiden zu einem solchen Kompromiss und einer gemeinsamen Politik nach einem langen Jahr voll Streit und Demütigung bereit sind. Kommt Merkel dem CSU-Chef so weit entgegen, dass der seine Attacken aus München tatsächlich einstellt? Oder verfolgt Seehofer ein ganz anderes Ziel?

Wolfgang Bergsdorf, Politikwissenschaftler und langjähriger Büroleiter von Helmut Kohl, ist überzeugt, dass Seehofer vor allem Bayern im Blick hat. „Für die CSU ist die bayrische Landtagswahl 2018 viel wichtiger als die Bundestagswahl.“

Warum Merkel jetzt Fehler eingesteht

Wenn die CSU dort die absolute Mehrheit verlöre, wäre das wohl die größte vorstellbare Niederlage für Seehofer. Der CSU-Chef würde in diesem Szenario im Bund weiterhin Stimmung gegen Merkel machen, um in Bayern einen erneuten Wahlsieg sicherzustellen. Das käme einer Demontage der Kanzlerin gleich.

Streit könnte "Katastrophe" für Union werden

Bergsdorf glaubt aber nicht, dass es soweit kommt. „Wenn die beiden zerstritten in den Bundestagswahl gehen würden, kann das für die Union insgesamt eine Katastrophe werden“, warnt der CDU-Kenner.

Das glaubt auch Niedermayer von der Freien Universität Berlin. „Seehofer und Merkel dürfen nicht dein Eindruck erwecken, dass der eine den anderen demütigen will.“ Diese Form von Auseinandersetzung goutiere der Wähler nicht – „schon gar nicht in einem Wahljahr“.

Im Oktober wollen CDU und CSU erste inhaltliche Vereinbarungen für die Bundestagswahl treffen. „Bis dahin muss der Streit beigelegt sein“, meint Bergsdorf.

Dann wäre nur noch die Frage offen, wer die Union in den Wahlkampf führt? Erneut Angela Merkel, die 2017 seit zwölf Jahren im Amt sein wird. In Deutschland gab es bislang nur zwei Kanzler, die vier Legislaturperioden im Amt waren. Konrad Adenauer wurde letztlich von den eigenen Leuten gestürzt, Helmut Kohl vom Wähler.

„Ich bin mir nicht sicher, ob Merkel das Risiko wagt, womöglich ein ähnliches Schicksal zu riskieren“, sagt Bergsdorf. „Ich halte es jedoch für wahrscheinlich, dass sie erneut antritt.“

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